Der Trickster aus Accra
Wanlov The Kubolor, ghanaisch-rumänischer Herkunft, läuft barfuss durch die Strassen Accras mit Rastamähne und Rock, eckt in TV-Sendungen an und schockiert durch spielerisch-derbes Vokabular. Er ist das Enfant Terrible von Ghanas Hiplife, jener mal süsslich-kommerziellen, mal progressiven Mischung aus Highlife und Rap.
Er ist das, was wir in unseren Breiten einen Paradiesvogel nennen würden. Barfüssig läuft er durch die Strassen Accras mit Rastamähne und Rock, eckt in TV-Sendungen an, schockiert durch spielerisch-derbes Vokabular. In Ghanas Hiplife, jener mal süsslich-kommerziellen, mal progressiven Mischung aus Highlife und Rap nimmt er die Position des enfant terrible ein. Wanlov The Kubolor ist ein witziger Sonderling, ein temporeicher Trickster, der vagabundierend zwischen rasantem Pidgin-Rap und urwüchsigem Gypsy-Sound seine ganz eigene Musikwelt kreiert hat.
Eigentlich heisst der in Rumänien geborene und seit früher Kindheit in Ghana aufgewachsene Musiker Emmanuel Owusu-Bonsu. Sein Künstlername bildete sich in Etappen heraus: «Auf der Highschool hatte ich den Spitznamen Spooky, aber als ich dann mit der Musik anfing, sagte man mir, Spooky sei ein negatives, abfälliges Wort», erinnert er sich. «Ich begann also, den Namen Wanlov zu verwenden, denn ich hatte damals schon Dreadlocks, war ein Rasta. Kubolor kam später dazu. Nach einem Konzert kamen ein paar Ghanaer zu mir und sagten: ‹Von deinen Texten her bist du ein richtiger Kubolor.› In Ghana runzelt man zwar eher die Stirn über dieses Wort, denn es heisst Vagabund. Für mich aber ist das positiv: Kubolor ist für mich ein Entdecker, er hat jugendliche Energie, wie Peter Pan. Der Name erinnert mich an meine Kindheit, als ich soviel gelernt habe, auf meinen Streifzügen durch den Busch, in den Kletterbäumen, am Fluss.»
Wanlovs Freiheitsdrang äussert sich unter anderem darin, dass er schon kurz vor seinem Schulabschluss aus dem Unterricht ausbüxt, um ausserhalb des Klassenzimmers frühe Gehversuche im Pidgen-Rap zu unternehmen. Sein Partner ist dabei der fast gleichaltrige M3nsa, Sohn von Tumi Ebo Ansah, einst Gitarrenlegende der Afrorocker von Osibisa. Eine Partnerschaft, die noch viele Früchte tragen wird. Doch zunächst verlieren sich die beiden aus den Augen, denn Wanlov geht nach dem Abschluss in die USA, wo er mehrere Jahre lebt. Seine Erfahrungen als ghanaischer Rumäne in der Neuen Welt giesst er schliesslich in die Scheibe «Green Card». Das ungeheuer vielfältige Debüt, vor originellem Sampling strotzend, erscheint auf Pidgen Music, das Label des progressiven ghanaischen Produzenten Panji Anoff.
«Ich habe sieben Jahre in den Staaten gelebt und nach meiner Rückkehr verarbeitete ich diese ganze Emigrantenthematik auf dem Album», sagt Wanlov. Sein Aufbegehren gegen die Einteilung von Menschen in Hautfarben formuliert er in Songs wie «My Skin», wohingegen es bei «Human Being», ein Song, den er für die UNICEF schreibt, um den Handel mit Kindern geht. Doch auch die Ghanaer und ihr Alltag sind Thema auf diesem Album mit den Zügen eines turbulenten Hörspiels, sei es das Essen in «Chop Time» oder das berüchtigte ghanaische Lauffeuer der Gerüchte in «Kokonsa», das auf einem Fela Kuti-Loop aufbaut.
Nach diesem fulminanten Albumstart zeigt Wanlov den Ghanaern 2010 in CD-Form passend zur Fussball-WM augenzwinkernd die «Yellow Card», das allerdings nur ein Randthema seines Hauptprojektes ist. Denn er hat wieder das Teamwork mit seinem alten Schulfreund M3nsa aufgenommen. Die beiden nennen sich fortan FOKN Bois – was angeblich «Fear Of Knowing Nothing» heisst: «Das haben wir für die konservativen Leute erfunden», grinst Wanlov schelmisch. «Aber wir können es in jede beliebige Abkürzung ändern, zum Beispiel: ‹Fast Orange Karate Ninjas›. Dabei ist ‹fokn› im Ghanaischen kein sexuelles Verb, sondern ein Adjektiv, wie töricht oder dumm. Wenn du etwas machst, was die anderen aufregt, dann kann sogar deine Grossmutter dich in aller Öffentlichkeit ‹fokn boy› nennen. Es ist nicht vulgär.»
Erstes Resultat seiner Zusammenarbeit mit M3nsa wird der 30-minütige Film Coz Ov Moni – das erste Pidgen-Musical der Musikgeschichte: «Die Idee war, ein Konzeptalbum zu machen, auf dem wir zeigen, was zwei Typen einen Tag lang in Accra passiert. Während wir daran arbeiteten, wurde es zu einem Film und jetzt ist es ein langes Musical. Wir zeigen die durchschnittliche Realität in Ghana, ohne Hochglanz. Der Film hat über Ghana hinweg Aufsehen erregt: Wo auch immer die Jugendlichen uns sehen, fangen sie an zu rappen. Für mich schliesst sich da ein Kreis: Als wir in dem Alter waren, haben wir amerikanische Rapper imitiert, jetzt kopieren die amerikanischen Kinder die afrikanischen Jungs.»
Nach dem Erfolgsfilm verschlug es die Fokn Bois von der Strassenrealität Accras mitten ins Herz von Ungarn – zusammen mit der Budapester Band Irie Maffia war nach wenigen Tagen ein grandioses Album mit hitverdächtigem Afro-Technodub im Kasten. Das Treffen kam auf Vermittlung der ghanaisch-ungarischen Rapperin Sena Dagadu zustande, die die beiden noch aus Jugendtagen kennen und die mittlerweile den ungarischen Produzenten Élu Márton von der Irie Maffia geheiratet hat. «Wir waren fünf Tage in Budapest», rekapituliert Wanlov. «Jede Nacht haben wir auf der Bühne gestanden und tagsüber Aufnahmen gemacht. Am Ende hatten wir acht Songs. Sie beherbergten uns, nahmen uns auf, fütterten uns, weckten uns, hielten uns wie Sklaven! Der Titel, The FOKN Duna Quest in Budapest bedeutet übrigens, dass wir während unseres Aufenthalts nach Frauen mit grossen Hintern gesucht haben.»
Wanlovs neueste Suche ist von etwas anderer Natur: Nach der grünen und gelben Karte geht auf seinem neuen Soloalbum das «Kartenspiel» mit der Farbe Braun weiter: «Die ‹Brown Card› ist der Ausweis, den du brauchst, um in Westafrika frei mit einem Fahrzeug herumreisen zu dürfen», erklärt er. «In der Art, wie das die Gypsies schon immer gemacht haben. Nicht von Grenzen behindert werden, die unsichtbar zwischen Staaten gezogen sind. Braun ist aber auch der Farbton der Erde. Und schliesslich steht braun auch für meine Gesichtsfarbe, da mein Vater Ghanaer und meine Mutter Rumänin ist.»
Sowohl auf dem Album als auch auf der Bühne lässt Wanlov rumänische Bläser, Geige und Akkordeon mit Highlife-Hörnern, ghanaischen Lauten und Trommeln kollidieren. Der Untertitel des Albums Brown Card ist «African Gypsy» – für Wanlov nicht nur ein musikalischer Stil, auch eine Lebenseinstellung. «Da ich ein Reisender bin und wegen meines persönlichen Hintergrunds identifiziere ich mich als ‹African Gypsy›. Ich kann nicht immer in einer bestimmten musikalischen Ecke bleiben, denn ich nehme ja ständig eine Menge anderer Einflüsse auf. Meine Musik wird sich immer weiterentwickeln, anderes adaptieren, mal spassiger, mal experimenteller sein und das widerspiegeln, was ich gerade durchlebe.»
Wanlov, der Unberechenbare schwankt stets zwischen kleinen Skandälchen und Engagement, wie auch seine beiden aktuellen Hits zeigen: Mit «The River» hat er den Hit der neuseeländischen Popsängerin Holly Smith adaptiert, um auf die Verschmutzung der ghanaischen Umwelt aufmerksam zu machen. Von anderem Zuschnitt dagegen «Thank God We’re Not A Nigerians» (sic!): Hier verdichtet er mit Partner M3nsa alle Vorurteile, die die Ghanaer in den traditionell gepflegten Frotzeleien gegen ihre anglophonen Nachbarn pflegen. Racial Profiling pur – doch man kann es ihm kaum verübeln. Denn wie so viele provokante Gratwanderungen wird auch diese bei Wanlov zur spielerischen Kunstform.
Biography
Published on January 14, 2012
Last updated on April 30, 2024
Topics
A form of attachement beyond categories like home or nation but to people, feelings, or sounds across the globe.
Does the global appropriation of kuduro exploit or reshape the identity of Angolans? How are «local» music genres like guayla sustained outside of Eritrea?
What happens when a Muscovite electronic producer meets Circassian folk musicians? What rules are needed for intercultural cooperation between individuals?
From post-digital pop mocking the music history to Romanian folk music turning into a meme culture.