«The Shukar Collective Project»

DJ’s und Roma treffen aufeinander

The Shukar Collective Project ist mehr als ein Dokumentarfilm über ein Musik-Projekt. Es ist eine musikalische Dokumentation des Zusammenpralls zweier Welten. Im Film verwandelt sich der ambitionierte Kulturaustausch in einen heftigen Schlagabtausch.

Im Projekt «Shukar Collective» trifft Tradition auf Moderne. Auf der einen Seite steht die rurale Ursari-Band «Shukar» (das Romanes-Wort für «gut»), auf der anderen international renommierte Bukarester DJ’s. Die alten Weisen der Ursari verzieren elektronische Beats und die wummernden Bässe aus dem Drum-Computer. Die Mischung ist eklektisch: Trommeln, Löffel, folkloristische Gesänge, Loops und Samples. Kurz: «The spookiest band in Romania».

Regisseur Matei-Alexandru Mocanu inszeniert seinen Film als musikalische Reise: von den ersten vielversprechenden Gehversuchen des ungleichen Musiker-Kollektivs zu ihren ersten Erfolgen im In- und Ausland, der Freude über die Erfolge, hin zu ersten Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen. Die DJ’s und Produzenten werden immer in der technischen Umgebung ihrer Studios präsentiert. Sie stehen für die aufstrebende rumänische Metropole Bukarest mit ihren belebten Einkaufsstrassen, historischen Palästen, spröden Plattenbauten und In-Clubs. Im ländlichen Gratia, 50 Kilometer von Bukarest entfernt, begegnen wir den drei Ursari-Musikern Tamango, Napoleon und Classic. Sie sehen wir in ihren heruntergekommenen, einfach möblierten, aber farbenprächtig dekorierten Holzhäusern im trauten Kreise ihrer Grossfamilien. Von elektronischer Musik und ihren Aufnahmetechniken haben die Ursari-Musiker noch so gut wie nichts gehört.

Differenzen sind vorprogrammiert: Wieviel Improvisation verträgt eine perfekte Studioaufnahme? Müssen gute Konzerte bis ins Detail geplant sein? Macht nur Übung den Meister? Oder soll man die Feste feiern, wie sie fallen? Entstehen die besten Konzerte, wenn die Spontaneität den Lauf der Klänge bestimmt? Die «White Chiefs» kritisieren die «Gypsies», sie wollten sich lediglich auf ihre Kosten amüsieren. Die «Gypsies» sind wiederum der Überzeugung, die «White Chiefs» nutzten sie aus, um auf ihre Kosten zu profitieren. Das «Shukar Collective Project» wird zum «Wir» gegen «Sie». Den Erfolg suchen sie am Anfang gemeinsam, doch die innovative Zusammenarbeit zwischen den Meistern der Improvisation und den Tüftlern der elektronischen Perfektion währt nur kurz. Dann ist Schluss. Der Zusammenprall zweier sozialer Realitäten, zweier Lebenswelten macht dem Projekt endgültig den Garaus.

«The Shukar Collective Project»

Unterbrochen von Ausschnitten aus Interviews mit und Gesprächen zwischen den ungleichen Künstlern, wird dieser Dokumentarfilm über weite Teile von der Musik getragen. Zu sehen sind Archivaufnahmen von Konzerten und Videoclips, Bildsequenzen von Bukarester Strassenszenen und dem von Kleinbauerntum und Pferdewagen geprägten ruralen Rumänien – manchmal in schneller Abfolge, hektisch und verwirrend, manchmal gelassener. Nur in der allerletzten Szene verzichtet Monacu auf jegliche musikalische Untermalung: Als der alte, von Krankheit gezeichnete Ursari-Sänger Tamango, die eine Hand an der Krücke, langsam vor seine Haustür tritt, um kurz darauf schwer atmend wieder auf dem Sofa Platz zu nehmen.

Mocanu bedient sich in seinem Dokumentarfilm einer kräftigen Prise tiefgründiger Symbolik, wobei er die Interpretation den ZuschauerInnen überlässt. Eine längere Szene widmet er beispielsweise einer Bärenmutter und ihren Jungen, die in Kehricht-Containern nach Essbarem suchen. Ursari bedeutet Bärzähmer. Roma-Minoritäten unterscheiden sich häufig anhand ihrer Berufsbezeichnungen – und früher diente ihre traditionelle Musik dazu, die Bären zum Tanzen zu bringen. Heute ist das verboten, die Musik aber hat überlebt. Eine andere Szene zeigt einen Schwarm Krähen, der in der Abenddämmerung über Bukarest kreist. Früher galten die Krähen als Signal, dass die «Zigeuner» im Anmarsch sind. Heute werden sie als pejorative Metapher für dieselben verwendet.

«The Shukar Collective Project»

Shukar Collective Project ist ein Film über interkulturelle Kommunikation auf Abwegen. Der Film zeigt die tiefen Gräben auf, die bis heute nicht nur in der rumänischen Gesellschaft existieren, die Gräben zwischen den «Gadschos» und den «Zigeunern» – die Welt der «Gadschos»: die Gesellschaft von geistig verarmten, engstirnigen Heuchlern, die alleine auf ihren eigenen Vorteil aus sind, weltfremd und bisweilen einfach ein bisschen dumm. Ihnen gegenüber steht die fabelhafte Figur des «Zigeuners», entstanden in den Garküchen der sich modernisierenden Zivilgesellschaften, als Antithese zum aufgeklärten, modernen homo oeconomicus, als Archetyp der Rückständigkeit, der Naturverbundenheit und Primitivität, als Überbleibsel der alten Welt. Der «Zigeuner» ist wild, arm und musikalisch. Ist er es nicht, dann hört er auf «Zigeuner» zu sein.

Mocanu folgt in seinem Dokumentarfilm den Spuren dieser über Jahrhunderte gewachsenen und verfestigten gegenseitigen Vorurteile, lässt sie auf die ZuschauerInnen wirken, ohne expliziten Anspruch, sie zu hinterfragen oder damit aufzuräumen. Auf musikalische Weise dokumentiert er den Versuch, Vorurteile zu überwinden, um ihnen schliesslich doch zu erliegen. – Auch wenn die Krähen wohl weiterhin über Bukarest kreisen werden, das «Shukar Collective Project» war «shukar», es war ein gutes Projekt.

Biography

Wilma Rall ist Radiojournalistin und Autorin der wissenschaftlichen Studie «Von Minderheiten und Aussenseitern: Debatten um Stand- und Durchgangsplätze für die Jenischen zwischen 1973 und 1990 in der Deutschschweiz».

Published on January 10, 2012

Last updated on August 21, 2020

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