Der Hip Hop-Ableger «Trap» hat zwei Gesichter: Entstanden aus dem Dirty South-Rap um 2003, wandelte er sich um 2010 zu «Elektronischem Trap» mit Einflüssen aus Dubstep und Drum & Bass. Eine historische Annäherung.
«Trap» ist eine diffuse Musikrichtung. Denn sie hat grundsätzlich zwei unterschiedliche Ausprägungen: Der 2003 entstandene «Dirty South» aus dem Süden der USA, vornehmlich im Grossraum um Atlanta, Georgia, das Laien wohl am ehesten als «Gangsta Rap» identifizieren würden – und den Trap, der Ähnlichkeiten mit Dubstep und Drum & Bass aufweist. Ob und wie genau sich diese Stile («Südstaaten-Trap» und «Elektronischer Trap») gegenseitig beeinflusst haben und inwiefern sie stilistisch und kulturell miteinander in Verbindung stehen, hat Maximilian Falk in seiner wissenschaftlichen Hausarbeit analysiert. Darüber hinaus analysiert er die musikalische Ästhetik und die Produktionstechniken beider Stilrichtungen. Im zweiten Teil erfolgt eine Einteilung der Klanggestalt nach verschiedenen ästhetischen und musikalischen Konzepten anhand einiger Beispiel-Songs bekannter Künstler beider Strömungen. Das erste Kapitel über die frühe Form des Trap, den «Südstaaten-Trap», ist hier in Auszügen zu lesen.
Südstaaten-Trap - Entstehung und Verortung des Genres
In seiner Dissertation Trap(ped) music and masculinity: the cultural production of southern hip-hop at the intersection of corporate control and self-construction hat sich der Kommunikationswissenschaftler Murali Balaji 2009 unter anderem intensiv mit der damals relativ «frischen», aber bereits angemessen verortbaren Strömung der «Trap Music» im Gangster-Rap des «Dirty South» der US-Ostküste auseinandergesetzt und diese treffend analysiert, weswegen ich seine Erkenntnisse hier heranziehen möchte. Da ich das bis heute aktuelle Phänomen des «Atlanta Trap» ebenso wie Balaji als aus dem «Dirty South» entsprungen ansehen möchte, soll zunächst eine kurze Einordnung dieses Stils erfolgen: 2001 ernannten der Rapper Ludacris und der Produzent Jermaine Dupri Atlanta zur «new capital of the hip-hop nation» und lieferten mit «Welcome to Atlanta» gleich die passende Hymne für die neue Bewegung. Atlanta wurde als «New Motown of the South» angesehen, um den besonderen Bedingungen der Region hinsichtlich ungewöhnlicher und breit gefächerter Produktionspraxis Rechnung zu tragen (Balaji 2009, 83). Ein Song der Gruppe Goodie Mob mit dem Namen «Dirty South» sollte dann auch den passenden Namen für das neue dominante Genre südlich der «Mason-Dixon line» liefern.
Eine Wandlung der musikalischen Ästhetik von «teeny-bop styles» hin zu härterem, progressiveren Sound hatte sich vollzogen, welcher gut dafür geeignet schien, die harten Lebensbedingungen junger Afroamerikaner im Süden der USA zu beschreiben (Balaji 2009, 83). Balaji stellt fest, «that Southern rappers were eager to create a distinct musical genre and a commodity that could equal other geographic regions in commercial distribution» (ebd. 36), womit die damals übermächtige Konkurrenz des Hip-Hop aus New York – hier als «their Northern counterparts» (ebd. 37) bezeichnet - und von der US-Westküste gemeint sein dürfte, welche hinsichtlich Breitenwirkung und Produktionsweise Anfang der 2000er im Prinzip als Pop-Musik firmierten. Im Gegensatz dazu setzte die Szene in Atlanta zu Beginn auf «fairly self-contained cultural industry comprised mostly of smaller independent labels» (ebd. 36), eine Einstellung, die sich bis heute trotz grossen kommerziellen Erfolges mancher Künstler des «Atlanta Trap» weitestgehend fortgesetzt hat, wie wir noch sehen werden. Ebenso wie später die «Trap Music» basiert der «Dirty South», wie ihn Ludacris und bald darauf Künstler wie Lil‘ Jon und T.I. als «crunk» produzierten (ebd. 87), abgesehen von «masculinist delivery» auf deutlich basslastigeren Beats sowie einer Abwertung von Lyrics zugunsten der reinen Musik (ebd. 96).
Im Gegensatz zum Hip-Hop der nördlichen Ostküste, der schnell und rap-technisch versiert war, legte der «Dirty South» mehr Wert auf Ausgelassenheit und Spass (Balaji 2009, 97f.), wobei das Verhalten der Fans beim Rezipieren der Musik sogar als «similar to slam dancing», also eher ähnlich den in Punk, Hardcore und Metal verorteten «Moshpits», angesehen werden kann – es ging darum, in den Club zu gehen und auszurasten (Hall 2003, 1). Ab Mitte der 2000er waren «Dirty South» und «Crunk» in den USA kommerziell extrem erfolgreich, die prominenten Künstler der Strömung wie auch der damals noch als «ringtone rapper» firmierende Soulja Boy folgten in den Fussstapfen der Vorreiter Goodie Mob und Outkast (Balaji 2009, 86f.). In Abgrenzung zu dieser Kombination aus «dance tunes» und «harder-edged street songs» (ebd. 98) begannen einige Künstler, ihre (angeblichen) Verbindungen zum «drug game», also der Drogenproduktions und – handels-Szene in Atlantas armen Vororten, in den Fokus zu rücken (ebd.). Das berüchtigte Kartell der «Black Mafia Family» zeichnete hierbei finanziell verantwortlich für den Aufstieg diverser Rapper, wie zum Beispiel Young Jeezy (ebd.), der bis heute als eine Art «Pate» der Trap-Szene Atlantas gilt.
Diese neue Strömung wurde zunächst als «dope boy» Musik bekannt, später identifizierten sich die entsprechenden Künstler mit dem Drogenverkauf und der Gewalt in «drug infested areas», die schliesslich als «the trap» bezeichnet wurden (Balaji 2009, 98) – Balaji vermutet, dass die «trap» Musik konkret im heruntergekommenen «Bankhead Courts Housing Complex» ihren Anfang nahm (ebd. 101). Die kriminelle Aktivität in diesen Bereichen wurde schnell als «trapping» bekannt (ebd. 164) und ist bis heute eines der definierenden lyrischen Elemente der Musikrichtung geblieben.
2003 erhielt diese subkulturelle Strömung mit T.I.‘s Album Trap Muzik auch offziell einen entsprechenden Namen (Balaji 2009, 98). Neben diesem «Namenspatron» des Subgenres nennt Balaji im Rahmen seiner Dissertation als typische Vertreter weiter den bis heute einflussreichen – und mittlerweile zum Superstar avancierten – Lil‘ Wayne sowie den bereits erwähnten Soulja Boy, den er als «one-hit wonder» klassifiziert (ebd. 7). Eine Einschätzung, die sich aus heutiger Sicht als trügerisch erweist, da dieser ein eindrucksvolles Comeback vorzuweisen hat und seit 2015 mit «Jumpman» und einigen anderen Titeln reihenweise kommerzielle Hits landen konnte. Im Rahmen einer Fallstudie, die den Schwerpunkt seiner Arbeit darstellt und den aktuellen Stand der «Atlanta Trap» Musik evaluieren soll, beschäftigt Balaji sich mit den 2009 erfolgreichen Künstlern Cody Breeze und Gorilla Zoe (Balaji 2009, 13), die im heutigen Gefüge der «Trap Music» in Atlanta keine Rolle mehr spielen – hier findet sich bereits ein Indiz dafür, wie schnell und unvorhersehbar sich die Szene weiterentwickelt hat. An den grundsätzlichen kulturellen Prämissen hat sich bis zum heutigen Jahre 2016 dennoch kaum etwas geändert, der inhaltliche Fokus auf den Drogenhandel und die Selbstdarstellung als (Ex-)Drogendealer und «self-made millionaire» wird neben den genannten Szene-Vätern auch von aktuellen Superstars wie Young Thug, oder Migos praktiziert. Auf die seit 2003 weitgehend kohärente musikalische Ästhetik des «Atlanta Trap» sowie einige «Aktualisierungen» soll im Folgenden eingegangen werden.
Sound und Ästhetik
Obwohl in Balajis Dissertation eher die kulturellen Rahmenbedingungen des «Atlanta Trap» sowie die Konstruktion von Images durch betonte Maskulinität, Drogenhandel und Gewalt im Fokus stehen, erläutert der Autor auch ästhetische Besonderheiten des Musikstils an sich, weswegen ich seine Erkenntnisse hier erneut heranziehen möchte. In Anbetracht der zeitlichen Differenz von mittlerweile sieben Jahren seit Erscheinen seines Werks und der rasanten Entwicklung im Rahmen des Subgenres werde ich allerdings einige Aspekte aus meiner eigenen Hörerfahrung einfliessen lassen, wo es mir nötig erscheint. Der «Trap» aus Atlanta ist dediziert Musik «von der Strasse für die Strasse»: Im Gegensatz zu den eher auf Dancefloor-Tauglichkeit bedachten Beats des «Dirty South» und des «Crunk» ist dieser Stil vorrangig für das «riding», also das laute Abspielen aus dem Kofferraum eines fahrenden Autos, gedacht (Balaji 2009, 99). Balaji schreibt: «Trap music is defined by a hard-driving bass laced with heavy synthetic beats», wobei er ihr Ähnlichkeiten mit dem eher elektronischen Subgenre des «Miami bass», wie es auch McLeod (2001) auflistet und der «booty music» zuschreibt, jedoch mit einem düsteren «brooding tone that highlights a more sinister side to the artist», was veranschaulichen soll, dass der profitable Drogenhandel in der «trap» zugleich finster und kalt ist (ebd. 2009, 99).
Balaji versinnbildlicht diesen Sound am Beispiel von Gorilla Zoe’s «Hood Nigga», dem er in Bezug auf Grem (2006) einen «driving bass» bescheinigt, welcher primär den Hörer anzieht. «Hood Nigga» entspricht meines Erachtens nicht mehr wirklich der Ästhetik, die «Trap Music» heute kennzeichnet - wie genau sich die erwähnte dunkle Atmosphäre sowie andere Charakteristika in anderen, aktuelleren Songs darstellt, soll anhand meiner Beispiele unter Punkt 3 dieser Arbeit genauer betrachtet werden. Laut Balaji kombiniert Atlanta Trap «hard-edged beats, catchy hooks, and notions of laid-back Southern Black masculinity» (Balaji 2009, 106) – vor allem der Aspekt des «laid-back» scheint mir hier zentral, wobei dies, wie ich auch anfügen möchte, mittlerweile nur für bestimmte Ausprägungen der Richtung gilt, die sich heute musikalisch deutlich diverser darstellt als noch 2009. Ferner sei erwähnt, dass die meines Erachtens entscheidenden distinktiven Merkmale des Sub-Genres heute im Vergleich zu anderen Formen von Rap und Hip-Hop wohl einerseits der «Drop», auf dessen regelmässiges «Losbrechen» viele Song-Strukturen hinarbeiten, andererseits das pointiert eingesetzte und sehr schnelle Klirren der Hi-Hat, die das dumpfe Brummen des «Sub-Bass» als Basis der Tracks kontrastiert, sind – auch hierzu mehr unter Punkt 3.
Ähnlich wie im Vorgänger «Dirty South» liegt der Fokus der Rapper im Südstaaten-Trap weniger auf «lyrical wordplay» und facettenreichen Texten, sondern vielmehr auf der «dance-friendliness of the beat» (Balaji 2009, 117), was auch dazu geführt hat, dass im Grossraum Atlanta nicht nur die Künstler, sondern auch deren Beat-Produzenten in noch stärkerem Masse als im «klassischen» Hip-Hop, welcher nicht zuletzt als «a producer’s medium» gilt, bei dem der «MC» oder Rapper zwar Zentrum des Marketings steht, der «producer» jedoch eminent wichtig bleibt, zu Superstars werden konnten.
In Bezug auf das Marketing ist es hier mittlerweile sogar üblich, den Künstlernamen des Produzenten in den Songtiteln als «prod. by [xy]» aufzulisten. In Bezug auf meinen eigenen Höreindruck lässt sich zudem feststellen, dass den Trap-Lyrics oftmals ein starker und gewollter repetitiver Charakter anhaftet, was diese faktisch zu einem weiteren rhythmischen Element im Song-Verbund werden lässt. Hinzu kommt in manchen Fällen exzessiver Einsatz von stimmmodulierendem «Auto-Tune», welches allerdings eher als Stilmittel denn als tatsächlich stimmliche Defizite kaschierendes Mittel angesehen wird. Zusammenfassend lässt sich hier festhalten, dass der Südstaaten-Trap, wie ihn Balaji 2009 und wie ich ihn 2016 stilistisch einordne, eine zwar experimentelle, jedoch weitestgehend dem klassischen «Gangsta Rap» nahestehende Stilrichtung ist, die ein unbedarfter Hörer vermutlich als «Hip-Hop» oder «Rap» einordnen würde. Dies wird sich im folgenden Teil ändern, wo ich mich mit dem «EDM-Trap» befassen möchte.