Marokko: Von Punk bis Death Core
Jugendliche aus der Wirtschaftsmetropole Casablanca und der Hauptstadt Rabat zeigen und erklären, wie sie zwischen Orient und Okzident zerrieben werden und darin sich und ihre Zugehörigkeit zu finden versuchen. Eine Foto- und Video-Reportage über die «Generation Nayda».
Marokko. So nahe von Europa, dem Okzident. Und doch so fern, so viel mehr ist Marokko noch Orient. Ein Land zerrissen zwischen Tradition und Moderne. Ein Land auch, in dem viele Bürger ihr Dasein, ihren Alltag und ihre Ansichten dem Wahlspruch «Gott, Vaterland, König» unterordnen. Marokko. Eine konstitutionelle Monarchie, die sich den ganz grossen Umwälzungen im Zuge des arabischen Frühlings entzog. Seit dem für die Maghreb-Region historischen Jahr 2011 ist es plötzlich nicht mehr das offenste und demokratischste Land in Nordafrika. Generation Nayda ist der Blick in ein Land, das die Jugend in ihrer Identitätsfindung behindert und sie in ihrem Leben, ihrem Alltag und ihrem Heranwachsen einschränkt. Zu sehr wird an traditionellen und religiösen Werten festgehalten, der ernsthafte Wille zu Veränderung und Öffnung fehlt.
Die Bilder zu dieser Arbeit entstanden im Herbst 2010 und im Frühjahr 2011. Die Interviews wurden ebenfalls aufgezeichnet, als die arabische Revolution im März 2011 in Tunesien, Ägypten und Libyen auf ihrem Höhepunkt war. Jugendliche aus der Wirtschaftsmetropole Casablanca und der Hauptstadt Rabat zeigen und erklären, wie sie zwischen Orient und Okzident zerrieben werden und darin sich und ihre Zugehörigkeit zu finden versuchen. Während die Popkultur bei uns längst Mainstream ist, hat sie in Marokko eine weitaus politischere Dimension, da sie von den Jugendlichen als Gegenkultur gelebt wird. Diese Gegenkultur wurde durch den Zugang zum Internet möglich, das erst Ende der 00er-Jahre verbreitet Einzug in die marokkanischen Haushalte Einzug hielt.
Durch soziale Netzwerke wie Facebook und Myspace sind Mode, Gestus und Inhalt von westlichen Popkulturen für die Jugend in Marokko erst greifbar und adaptierbar geworden. Dabei entstanden jedoch nicht bloss Nachahmungen der westlichen Musik- und Lifestyle-Kultur. Vielmehr entwickelten sich durch das Zusammenspiel von westlichen und eigenen traditionellen Lebensweisen neue Jugendbewegungen. Diese werden zu einer Art Projektionsfläche für Selbstbestimmung, niemals aber zur Verleumdung der eigenen Kultur.
Die Gespräche mit jungen Musikern zeigen, dass der eigene religiöse und kulturelle Hintergrund wichtig ist und wichtig bleibt. Wer in Marokko Punk, Death Core oder Heavy Metal spielt, bedient sich Werkzeugen, um eigene Inhalte zu vermitteln und gesellschaftliche Fragen zu reflektieren. Das Nachdenken über gesellschaftliche Zwänge, Moralvorstellungen und Schwierigkeiten im eigenen, unmittelbaren Alltag.
«Nayda» bedeutet aus dem marokkanischen Arabisch übersetzt «aufwärts». Der Begriff spielt auf die spanische Demokratiebewegung «Movida» an, die sich nach dem Tod Francos formierte. Nayda hört man an Konzerten oft als Zwischenruf.
Zum Projekt erscheint ein Buch das man hier für 38 CHF bei Christoph Oeschger bestellen kann. E-mail: ch_oeschger(at)gmx.net
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Published on April 06, 2012
Last updated on April 30, 2024
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From political music in the GDR, the trouble of punk musicians in China and the dangerous life of kurdish folk singers in Turkey.
From priests claiming to be able to shapeshift into an animal to Irish folk musicians attempting to unify Protestants and Catholics.
From Korean visual kei to Brazilian rasterinha, or the dangers of suddenly rising to fame at a young age.