Nigerias Slumdog Millionär: Vocal Slender
Der Nigerianische Slumdog Millionär: Vocal Slender. Der Weg eines Müllmanns zum Dancehall Botschafter Nigerias.
«Lagos – Centre of Excellence» steht auf jedem Nummernschild der Mega City mit 16 Millionen Einwohnern. Oft wird über Lagos einseitig als Moloch berichtet, in dem Armut und Perspektivlosigkeit regieren. Ganz anders sieht das Vocal Slender, der 28-jährige Dancehall Künstler aus Ajegunle, dem grössten Ghetto der Stadt. Er verdient sein Geld als Müllsammler auf einer Müllhalde. Für ihn ist Lagos die Stadt der Gegensätze. Oft nicht weiter als ein Katzensprung entfernt, existiert eine Welt in Luxus und Reichtum neben dem harten Ghetto-Alltag. «Du kannst aus dem Ghetto kommen und morgen gehörst du zu den größten Stars im Land. Kreativität und Möglichkeiten sind überall.» Er selbst ist dafür wohl das beste Beispiel.
Jeden Tag kommen über 9’000 Tonnen Müll aus den Vororten von Lagos auf die Müllkippe Olusosun, am Rande des Regierungsbezirks. Eric Obuh, wie er mit bürgerlichen Namen heisst, sammelt alles ein, was einen Wert besitzt und an die Händler verkauft werden kann: alte Kabel aus Kupfer, Alu Dosen, Flaschen, Plastik und natürlich Dinge die weggeworfen wurden, obwohl sie noch immer benutzt werden können. Einmal hat Eric sogar eine Goldkette gefunden. Daran kann sich jeder hier auf Müllkippe noch erinnern. Wie Eric mit einem breiten Grinsen über die Müllkippe zu seiner Hütte schlenderte, wo er unter der Woche wohnt. Auch die hat er sich äußerst innovativ, aus herumliegenden Teilen selbst zusammengebastelt. Es ist eine regelrechte Kleinstadt mitten auf dem Müllberg entstanden. Sie bietet rund 1’000 Leuten eine Lebensgrundlage. Es gibt Bar’s hier, Restaurants, Kino’s, ja sogar eine Moschee. Hier ist es wo Eric Tag für Tag von einem besseren Leben träumt, wie es ihm die grossen Helden am Musikhimmel Nigerias vorleben: Künstler wie 2Face oder D’banj, deren Musikvideo’s Afrikaweit ein Bild eines neuen Nigerias, das des «African Dreams» präsentieren. Erst neulich hat die Nigerianische R’n’B und Dancehall Gruppe P Square die Kora Awards in der Kategorie «Best African Act» gewonnen. Grosse Sonnenbrillen und jede Menge Goldschmuck tragen die Jungs die man nie im gleichen Outfit nochmal sieht. Das Preisgeld war 1. Millionen Doller, unklar ist jedoch ob es jemals ausgezahlt wurde.
Eric steht jeden Tag sehr früh auf, wenn die Sonne noch nicht auf die Müllkippe herunter sticht, es unerträglich heiss wird und der Gestank zunimmt. Leicht kann man sich in den Bergen von Müll verletzten. Ab und an bricht ein Feuer aus und die Luft auf der ganzen Müllhalde wird zur Belastungsprobe für Hals und Lunge. Viele sind krank geworden. Doch Eric hat sich daran schon lange gewöhnt. Seit 5 Jahren arbeitet er hier. Ein Freund hatte ihm die Müllkippe gezeigt. Damals als sein Geld knapp wurde und er einen Job suchte, weil die Musik allein nicht das nötige Geld einbrachte. Seitdem spart er jeden Cent, den er für das Sammeln und Trennen des Mülls verdient, für die Aufnahmen seines ersten Studioalbums.
Das er Talent hat und einen grossen Willen besitzt, davon sind seine Kollegen überzeugt. Doch das allein reicht nicht in Lagos. Die Konkurrenz der zweit grössten Stadt Afrikas ist einfach zu gross. «Hier in Lagos ist niemand faul», sagt Slender, «jeder sieht die enormen Möglichkeiten. Man darf sich nicht zu sehr von den negativen Dingen beeinflussen lassen. Man muss seine Möglichkeiten wahrnehmen, nur dann kann man es schaffen!»
Eines Tages kam ein Filmteam aus England von der BBC auf die Olusosun Müllkippe. Als sie die Arbeiter sahen, waren sie sprachlos, erzählt Slender: «Ich rief ihnen auf Patois zu: ‹Hey gwan whity, why you look me whiteboy?› Sie begannen zu lachen und kamen auf mich zu. Sie wollten mich filmen, und ich sagte: Nein, das könnt ihr nicht machen! Doch dann habe ich ihnen gezeigt, dass die Leute hier glücklich sind und erfolgreich mit der Arbeit ihre Familien unterhalten. Ich hab ihnen auch erzählt, dass ich Musik mache und nächste Woche wieder ins Studio gehe. Sie haben gemeint, dass sie vielleicht vorbei kommen wollen. Und dann sind sie tatsächlich aufgetaucht.»
Nachdem die Dokumentation in England ausgestrahlt wurde, bekam Eric einen Anruf von einem nigerianischen Promoter aus England. Er hatte ihn gesehen und wollte ihn nach England holen und ein Konzert organisieren. Als Eric dann am Flughafen in London ankam, bildete sich eine Traube von Fans um ihn herum. Sie brachten ihm Kleider und wollten ihn unterstützen. Seine ersten Shows liefen gut. «Der nächste Schritt ist ein eigenes Video zu ‹Send dem Come›, meiner Single, und dann werde ich auch in Nigeria Erfolg haben», erhofft sich Slender.
Auch dort hatte man von der BBC Doku mitbekommen. Im Gegensatz zu den Leuten in England waren die Beamten von den Bildern von der Müllkippe alles andere als begeistert und liessen die Hütte von Vocal Slender einreissen. Ihm ist das egal, er arbeitet jetzt an seiner Karriere und möchte ganz gross rauskommen: «Ich werde nicht mehr auf dem Dump arbeiten und auch nicht mehr dort schlafen, ein neues Kapitel meines Lebens hat begonnen und ich habe jetzt neue Aufgaben zu bewältigen.» Auch wenn die Geschichte einem Hollywood-Märchen gleicht und wohl jeder Teilnehmer einer deutschen Talent-Show zu Tränen gerührt sein müsste, wenn er von Slender’s Geschichte hört, bleibt unklar ob sein Erfolg länger anhält als der, der Teilnehmer von den besagt Shows.
Biography
Published on August 07, 2010
Last updated on April 30, 2024
Topics
How does this ideology, but also its sheer physical expressions such as labor affect cultural production? From hip hop’s «bling» culture to critical evaluations of cultural funding.
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