Begrabt das Kriegsbeil
Die Paraden der Mardi Gras Indians am Karneval sind wohl der farbenfroheste Ausdruck des multikulturellen Erbes von New Orleans. Der Film Bury The Hatchet schaut hinter die Kulissen dieser afro-amerikanischen Tradition und folgt den Chiefs von drei Stämmen. Zwar sind die Strassenkämpfe zwischen ihnen Geschichte, doch stehen heute grössere Kämpfe an. Eine eindrückliche Langzeitdokumentation.
La Nouvelle Orléans entstand 1718 als Gründung der französischen Mississippi-Gesellschaft. 1762, kurz vor Ende des Siebenjährigen Kriegs, der den Verlust von ganz Französisch Amerika mit sich bringen sollte, wurde die Stadt am Mississippi-Delta vom französischen König Spanien überschrieben. Sie verblieb im Besitz der spanischen Krone bis 1801, als sie zurück an Frankreich fiel. Die zweite französische Periode blieb indes ein Intermezzo, denn bereits 1803 veräusserte Napoleon Bonaparte New Orleans als Teil von Louisiana an die Vereinigten Staaten. Diese bewegte Geschichte hat architektonische Spuren hinterlassen, zum Beispiel stammen die auf das 18. Jahrhundert zurückgehenden Gebäude, die das berühmte Vieux Carré bzw. French Quarter bilden, aus der spanischen Zeit. Sie hat aber auch konfessionelle, sprachliche, kulinarische, musikalische und auch folkloristische Spuren hinterlassen, die der amerikanische «Way of Life» bis heute nicht ganz ausradiert hat.
Mardi Gras Indians
Die farbenfroheste Komponente des multikulturellen Erbes von New Orleans ist der Mardi Gras. Und die pittoreskesten Teilnehmer des Karnevals sind sicherlich die so genannten Mardi Gras Indians: in «Stämmen» («tribes») organisierte Gruppen, deren ausschliesslich afro-amerikanischen Mitglieder in prächtigen, indianischen Gewändern nachempfundenen Kostümen an Mardi Gras durch die Strassen paradieren.
Die Ursprünge des Brauches liegen im Dunkeln. Es wird vermutet, dass die ersten schwarzen «Indianer» um die Mitte des 19. Jahrhunderts, möglicherweise auch schon zuvor, am Karneval auftraten. Um diese Tradition zu erklären, wird gerne auf entlaufene Sklaven verwiesen, die in den Bayous (Sumpfgebieten) von Louisiana bei örtlichen Indianern Zuflucht gefunden hätten. Zu deren Andenken würden sich schwarze Amerikaner als Indianer verkleiden. Dieser Theorie kann aber entgegengehalten werden, dass das Phänomen der Mardi Gras Indians im gesamten karibischen Raum verbreitet ist, der sich in diesem speziellen Fall bis nach Brasilien erstreckt.
In der Vergangenheit waren die Auftritte der «tribes», die an eigentliche Strassengangs erinnern, von gegenseitigen Gewalttätigkeiten begleitet. Noch heute sind die Gangs hierarchisch organisiert, wobei hinter den einzelnen Chargen die einstigen «militärischen» Funktionen unschwer zu erkennen sind. So gibt es Späher, Nachrichtenübermittler und Leibwächter, die den Stammesführer im Getümmel schützen sollten.
Es gilt als Verdienst von Tootie Montana (1922-2005) – charismatischer «Chief of Chiefs» der Mardi Gras Indians von New Orleans – das Kampffeld Ende der 1960er Jahre befriedet zu haben. Die Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Stämmen werden nicht mehr physisch ausgetragen, sondern auf einer symbolischen Ebene: es geht nun darum, wer das extravaganteste Outfit trägt.
Treffen heutzutage zwei kostümierte Häuptlinge aufeinander, so entbrennt ein ritualisierter Hahnenkampf, in dessen Verlauf die beiden Kontrahenten versuchen, sich gegenseitig «auszutanzen». Diese Szenen gehören zu den entlarvendsten Einstellungen in Aaron Walkers Dokumentarfilm Bury the Hatchet, der den Mardi Gras Indians gewidmet ist. Sein Titel, der sich mit «Begrabt das Kriegsbeil» übersetzen lässt, verweist auf die Friedensarbeit von Tootie Montana, der im Film buchstäblich vor den Augen des Publikums stirbt.
Dies geschah während einer Sondersitzung des Stadtrates von New Orleans, an der gegen die Indians gerichtete Polizeigewalt aufgearbeitet werden sollte. Die Indianer wurden dabei von einer Reihe ihrer Häuptlinge vertreten, darunter der betagte Tootie Montana, der während der Anhörung einem Herzanfall erlag. Sein Begräbnis, das ausschnittsweise im Film gezeigt wird, geriet zu einer machtvollen Demonstration des Brauchtums von New Orleans.
Tanzen, Singen, Nähen
Im Fokus der Dokumentation steht indes nicht Tootie Montana, sondern drei aktive Chiefs, denen die Kamera über einen längeren Zeitraum über die Schulter blickt. Dabei ist zu erfahren, dass die Vorbereitungen für den Mardi Grad sechs bis sieben Monate dauern, in denen hauptsächlich an den Kostümen gearbeitet wird. Diese bilden ein eigenes kunsthandwerkliches Genre. Aus dem Gezeigten wird klar, dass ein Häuptling über eine natürliche Autorität sowie über Tanz-, Gesangs-, aber auch Nähkünste verfügen muss. Das Aufgabenfeld der «tribes» beschränkt sich nicht nur auf die Kreation neuer Kostüme. Sie üben auch soziale Funktionen aus, indem sie beispielsweise Schülerinnen und Schüler aus unterprivilegierten Quartieren mit Schulmaterial versorgen.
Hurrikan Katarina
Der Hurrikan Katarina markiert eine brutale Zäsur in der Geschichte von New Orleans, deren Nachwirkungen noch lange nicht ausgestanden sind, wie am Beispiel der drei porträtierten Chiefs deutlich wird. Dies betrifft zum einen die rein materiellen Schäden, die bis zum Totalverlust des eigenen Hauses reichen. In Mitleidenschaft gezogen ist aber auch der soziale Zusammenhalt in der Stadt. Die einzelnen Indianerstämme waren fest in ihren «neighborhoods» verwurzelt. Dieses soziale Umfeld ist stellenweise zerstört, wie die Aufnahmen verwaister Strassenzüge zeigen, deren Bewohner in alle Winde zersprengt sind. Die Wiederbelebung der Stadt geht nur schleppend vor sich. Es bleibt abzuwarten, wie viele der zuletzt an die vierzig «tribes» längerfristig überdauern werden.
Einer der Chiefs bringt es im Film auf den Punkt: Bei den Mardi Gras Indianern geht es nicht einfach um ein Fest, sondern um eine Tradition. Diese Tradition ist um so bedeutungsvoller, als sie einer Bevölkerungsgruppe Halt gibt, die von ihren historischen Wurzeln gewaltsam getrennt worden ist.
Biography
Published on January 05, 2013
Last updated on April 30, 2024
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