Irgendwann muss man schlafen...
Seit die DJs und Produzenten Gebrüder Teichmann in Kenia das Album BLNRB produziert haben, gehen sie entspannter ins Aufnahmestudio. Ein Interview mit Andi Teichmann.
[Selina Nowak]: Mit welchen Erwartungen seid ihr nach Kenia geflogen?
[Andi Teichmann]: Es war ein grosses Experiment und zwar in musikalischer, sozialer, wie auch kultureller Hinsicht. Wir haben sehr viel Zeit auf engem Raum miteinander verbracht und es war nicht von Anfang an klar, wo es hingeht. Es war auch nicht wirklich zwingend geplant, dass am Ende ein Album dabei herauskommt. Man hat sich aneinander herantasten müssen und sehen, was passiert. Das war eigentlich das Spannende, und im Rückblick denke ich, dass jede Seite um einen wahnsinnigen Erfahrungsschatz reicher geworden ist.
[SN]: Zum Beispiel?
[AT]: Etwa, dass wir europäisch geprägten Menschen öfter mal denken: «So, ich möchte jetzt einmal die Türe zumachen und meine Ruhe haben. Ich mag nicht immer 24 Stunden lang mit 100 Leuten rumhängen und alles teilen, sondern ich will mich auch mal zurückziehen.» Im Laufe des Monats, den wir in Nairobi verbrachten, hatte es sich herumgesprochen, dass wir da sind, und es kamen immer mehr Musiker oder andere Leute im «Madhouse» vorbei, die nicht von vornherein eingeplant waren. Rund um die Uhr kamen da einfach mal wieder ein paar MCs hereingeschneit und haben gesagt «Hey, jetzt hab ich Lust, lass uns was aufnehmen!» Über vier Wochen hinweg geht das natürlich nicht. Irgendwann muss man schlafen, und irgendwann muss man auch all die schönen Aufnahmen bearbeiten. Aus solchen Gründen gab es dann auch wirklich mal Streit.
[SN]: Gab es auch musikalisch unterschiedliche Auffassungen oder Reibungspunkte?
[AT]: Auf jeden Fall gab es unterschiedliche Herangehensweisen. Zum einen dass die Deutschen – das ist jetzt echt ein Klischee, aber das stimmt irgendwie – sehr viel technischer denken. Das heisst, wir waren sehr penibel, wollten alles zehn Mal machen und immer weiter perfektionieren. Das wird in Kenia, gerade wenn man mit MCs und Sängern arbeitet, ganz anders gemacht. Dort wird eher schneller aufgenommen und nicht alles so super genau auf den Punkt bearbeitet. Dafür geht es mehr um die Lebendigkeit der Aufnahmen und um Spontanität.
Den Kenianern waren hingegen unsere Beats ziemlich fremd, vor allem die eher finsteren. Sie mussten sich erst daran gewöhnen, dass bei uns nicht immer alles positiv klingt. Da mussten wir einen Mittelweg finden, wie zum Beispiel bei dem Track Msoto Millions.
[SN]: Welchen sozialen Hintergrund haben die kenianischen Musiker, mit denen ihr gearbeitet habt?
[AT]: Die 25 kenianischen Musikern sind wirklich ein Querschnitt durch die gesamte Gesellschaft. Die Rapperin Nazizi war zum Beispiel schon sehr erfolgreich, hat Mann und Kind und eine kleine Villa. Auch unsere kenianischen Produzenten-Kollegen von Just A Band hatten in dem Jahr, als wir dort waren, in Kenia grossen Erfolg und sind ziemliche Stars geworden. Andere leben dagegen wirklich auf der Strasse. Dazwischen gibt es alles: Die gesamte Spannweite.
[SN]: Während eures Aufenthalts habt ihr auch ein Konzert in Kibera, dem grössten Slum Ostafrikas organisiert.
[AT]: Ja, das ist eine schöne Geschichte. Wir hatten von Anfang an Kontakt mit einem Kunstverein namens Maasai Mbili, der in Kibera ansässig ist. Einige der Künstler, mit denen wir gearbeitet haben, leben auch dort und sind Mitglieder des Vereins. Die sind ganz oft zu uns ans andere Ende der Stadt gefahren, wofür sie jedes Mal drei Stunden lang unterwegs waren – mit Matatu-Bussen, dem billigsten Nahverkehrsmittel in Nairobi. Da dachten wir uns, wir fahren stattdessen mal zu ihnen und machen dort was. So sind wir mit Platten, Equipment, einer Anlage und einem Stromgenerator nach Kibera gefahren, und haben dort gemeinsam mit den Maasai-Mbili-Künstlern eine spontane Party gemacht.
Weil die Party am Nachmittag stattfand, hatten wir sehr viele Kinder im Publikum. Und auf einmal kamen da die zwei Zehnjährigen zu uns auf die Bühne, haben sich als Little King und Robo vorgestellt und fragten, ob sie die Mikrofone haben könnten. Unseren erwachsenen kenianischen HipHoppern ist die Spucke weggeblieben, denn die Kids hatten es einfach total drauf! Wir haben sie dann am nächsten Tag von der Schule abgeholt, zu uns ins Studio gebracht und mit ihnen das Stück «Take it higher» aufgenommen.
[SN]: Habt ihr mit den Künstlern über die Texte gesprochen, die ihr gemeinsam aufgenommen habt?
[AT]: Wir haben schon manchmal über die Texte diskutiert. Gerade Sasha Perreira von Jahcoozi hat immer ein Auge drauf gehabt, dass keine sexistischen Phrasen vorkommen, wie im US-Hiphop, der auch in Kenia für viele ein Vorbild ist. Dann gab es wiederum die sehr religiösen und metaphorischen Texte der Rap-Gruppe Ukoo Flani. Die haben wir uns übersetzen lassen, denn sie waren grösstenteils auf Suaheli. So war das ein gegenseitiger Dialog.
[SN]: Was denkst du, habt ihr - Deutsche und Kenianer - voneinander gelernt?
[AT]: Also was die Kenianer von uns gelernt haben – da will ich jetzt keine Hypothesen aufstellen. Nur für Just A Band kann ich die Frage beantworten. Ich und mein Bruder arbeiten viel mit analogen Synthesizern und seitdem wir dort waren und zusammen gearbeitet haben, kaufen sie sich auch mehr und mehr Synthesizer und Geräte, weil sie doch sehr beeindruckt davon waren. Ich persönlich habe auf jeden Fall gelernt, offener zu sein. Ich bin nicht mehr ganz so nerdig und gehe entspannter ins Studio. Und Afrika an sich hat es mir angetan. Ich hatte ja vorher keinerlei Bezug zu afrikanischer Musik.
Biography
Published on July 27, 2011
Last updated on August 24, 2020
Topics
From classism in techno clubs to clashing ideals of masculinity in Brazilian «bate bola».
What happens when a Muscovite electronic producer meets Circassian folk musicians? What rules are needed for intercultural cooperation between individuals?
Why does a Kenyan producer of the instrumental style EDM add vocals to his tracks? This topic is about HOW things are done, not WHAT.