Am Internationalen Musikfestival Alpentöne in Altdorf nehmen sich Musiker aus verschiedenen Ländern und Genres des Themas der Alpen an. Das gibt Anlass zu einigen Fragen. Norient berichtet in Ton, Text und Video.
Mit seiner ganz grossen Stärke trumpfte das Festival Alpentöne in Altdorf auch in diesem Jahr wieder auf: Es präsentierte erstklassige Musikerinnen und Musiker, die hier zwischen Krach und Klang experimentierten, dort mit populären Melodien und Rhythmen. Auch die siebte Festivalausgabe bot keine kulturelle Massenware. In jedem Konzerte hoffte man letztlich auf den künstlerischen Geniestreich.
Vielfalt der Ansätze
Die Spielvorlage ist die gleiche geblieben: Musikerinnen und Musiker verschiedenster Genres sollen sich des Themas der Alpen annehmen. Sie taten das dieses Jahr höchst unterschiedlich. Konzert für Konzert kristallisierten sich Extrempunkte heraus: von Motivation, Perspektive und künstlerischer Idee. Viele Musiker schienen in den Alpen quasi das ganz Andere zu suchen. Sie schielten nostalgisch nach Stille, Kraft und Tiefe, oder sie zeigten sich tief bewegt von der Poesie des «kleinen Mannes». Andere transportierten den Lärm auf die Bühne, der durch die Alpenlandschaften kracht. Sie nutzen dies als Vorlage zur Parodie. Für Dritte wiederum schienen die Alpen Weitsicht und Weltsicht zu blockieren – und am liebsten hätten sie das Gebirge wohl weggeblasen.
Wichtig schien die Perspektive, aus der heraus die Musiker die Alpen bearbeiteten: als Volksmusiker, Jazzer, Kunstmusiker oder Elektroniker, als Städter, Dörfler oder Bergler. Quer dazu spielte der künstlerische Gestaltungswille: Soll das Material letztlich bewahrt und leicht neu arrangiert werden? Soll es verformt in neuen Kontexten erklingen – vielleicht bloss als exotischer Farbtupfer, total entrückt vom Originalkontext? Oder soll das Alpine zur Unkenntlichkeit verformt werden? Alle diese Konstellationen können letztlich zu guten und zu zwiespältigen Resultaten führen – das zeigten die Alpentöne auch dieses Jahr wieder.
Alpentöne im Podcast
Überzeugende Österreicher
Bei den überzeugendsten Umsetzungen führten meistens Österreicher die Feder. Akkordeonist Otto Lechner bot einen eindrücklichen Auftritt mit dem Casal Quartett. Das erfolgreiche Schweizer Ensemble spielte Streichquartette von Joseph Haydn auf höchstem Niveau, und Lechner schmiegte sich förmlich in diese Musik hinein – mit grösstem Respekt vor der Vorlage. Er improvisierte einmal eher zurückhaltend, dann wiederum spielte er eine der Melodien mit, hob sie so aus der Tiefe ans Licht, und plötzlich war es sonnenklar, wie volkstümlich im besten Sinne diese komplexe Musik eigentlich ist. Die Musicbanda Franui bewegte sich mit ähnlichem Geschick, indem sie Kompositionen von Mahler, Schubert und Brahms in Blasmusik übersetzte. Freude und Respekt vor dem Material schwangen dabei in jeder Note mit, so neu und vielfältig die Musik auch klang. Das Wiener Duo Die Strottern – ein Synonym für Landstreicher und Gauner - transportierte alte Wienerlieder in die heutige Zeit und bot dabei die musikalische Weltsicht des «kleinen Mannes» mit Empathie und Witz dar. Die einzigen Standing Ovations des Festivals waren die verdiente Würdigung einer Band, die am Schluss gar US-amerikanische Fernsehprediger parodierte.
Trixa Arnold vs. Strotter Inst
Die Schweizer überzeugten vor allem auf den kleinen Bühnen. Strotter Inst und Trixa Arnold kontrastierten alte Volksmusik-Langspielplatten mit solchen von Fluglärm und anderen Geräuschen. Durch physische Manipulationen der Plattenspieler zauberten sie aus diesem Material neue faszinierende Klänge und schufen eine eigenständig schwingende Musik.
Auch die Helvetic Fiddlers und das Duo des Bratschisten Walter Fähndrich und des Perkussionisten Christian Dierstein musizierten auf höchstem Niveau. Letztere liessen zwar zuweilen Glocken klingen und Taler kreisen. Dennoch gerieten sie nicht ins Fahrwasser billiger Programmmusik. Vielmehr spielten sie mit einer schier unglaublichen Vielfalt an Klängen und Geräuschen. Auch sie liessen sich so vom «Alpen»-Thema zu etwas Neuem inspirieren.
Wenig Neues im Jazz
Einige andere Aufführungen dagegen liessen einen etwas ratlos zurück. Störend wirkt, dass sich viele Musiker seit Jahren immer wieder derselben Klänge und Motive bedienen, wenn sie «alpin» klingen wollen: Sie setzen auf Jodel, Glockengebimmel und hie und da auf eine Obertonreihe. Die «neue» Volksmusik kommt von diesem Punkt nicht weg. So wenig wie der Jazzsaxofonist Wolfgang Puschnig, der sein diesjähriges Konzert – eine Uraufführung – mit dem «Root March» begann, einem Stück seiner CD «Alpine Aspects», die 1991 bereits erschienen ist.
Matthias Ziegler, Reto Senn und Christoph Baumann verarbeiteten in ihrer Auftragskomposition «Vom Scheiden der Wege» Schweizer Dialekte. Von professionellen Schauspielern und Moderatoren eingesprochene Flüche und Grussformeln erklangen gut inszeniert aus allen Richtungen. Was musikalisch durchaus überzeugte, schien inhaltlich heikler: Lacht das Kulturpublikum im Tellspielhaus hier letztlich über die einfachen, primitiven fluchenden Bergler? Ist das eine exotisierende Sicht aus der Ferne, oder mehr? Im Kontrast dazu standen der Urnäscher Geiger Noldi Alder mit seinem neuen Nois Kwintet. Alder kritisierte aus seiner Innensicht heraus, dass die Appenzeller Musik immer mehr zu einer zweitklassigen Tourismus-Musik wird. Der Auftritt war grell und laut, oft mehr Protest als ausgewogene Kunstmusik.
Die künstlerische Umsetzung des Alpenthemas ist letztlich eine Gratwanderung. Gelten als Kriterien Nähe und Respekt zum Material, Relevanz der Auswahl und Tiefe des Umgangs, blieben bei einigen Darbietungen Fragen offen. Diese Fragen erübrigten sich bei den Höhenflügen der diesjährigen Festivalausgabe. Wenn die Konzerte aber im Experiment stecken blieben, so traten sie umso heftiger hervor.
Beim Tell-Denkmal
Kappelle Josef Menzl
Unsere Favoriten im Bierzelt. Nach dem Motto: «Jetzt isch Schluss met der Kultur!»