Slingshot Hip Hop
Die Rapper in diesem Dokumentarfilm wollen Mauern nieder reissen: nicht nur die israelische Mauer, sondern auch geschlechtsspezifische und religiöse Mauern in der palästinensischen Gesellschaft.
Unsere Musik besteht aus 30 Prozent Hip Hop, 30 Prozent Literatur und 40 Prozent von dem da, sagt der palästinensische Rapper Tamer Nafar – und zeigt auf die Gitterstäbe vor seinem Fenster. Nafar ist allerdings nicht tatsächlich eingesperrt, sondern im übertragenen Sinn: als Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft aus der Stadt Lydd fühlt er sich fremd, unerwünscht in seinem Land. Seinen Frust, seine Unzufriedenheit packt er in seine Texte, die er mit seiner Hip Hop-Combo DAM ins Mikrofon rappt. Mit ihrem Song «Meen Irhabi?» – Wer ist ein Terrorist? – landeten die drei einen Download-Rekord (eine Million runtergeladene Dateien) und wurden in der ganzen Region bekannt.
Der Dokumentarfilm Slingshot Hip Hop – zu deutsch Steinschleuder-Hip Hop – porträtiert nicht nur DAM. Er gibt auch Einblick in den tristen, komplizierten Alltag der Palestinian Rapperz PR in Gaza und dokumentiert deren ersten Auftritt in Gaza City: Im Publikum sitzen alt und jung, Familien, Kids in Baggy Pants und klatschen begeistert zu den stampfenden Beats und dem politischen Sprechgesang. Dies alles geschieht noch vor dem Abzug der Israelis im Sommer 2005 und der Machtübernahme der islamistischen Hamas, die – so darf angenommen werden – nicht viel anfangen kann mit Hip Hop, so palästinensisch er auch sein mag. Slingshot Hip Hop erzählt auch die Geschichte von Abeer, einer Sängerin, die mit den Jungs von DAM zusammenarbeitet – wenn immer sie es schafft, unerkannt und heimlich aus dem Haus zu schlüpfen. Ihr Cousin hat sie nämlich bedroht: Rappen und singen gehören sich nicht für ein anständiges Mädchen. DAM, PR, Abeer und allen anderen palästinensischen Rappern, die im Film zu Wort kommen, ist eines gemeinsam: Sie verstehen Hip Hop als Mittel, ihre Wut zu kanalisieren. Musik statt Gewalt lautet die Botschaft.
Slingshot Hip Hop ist weit mehr als ein Musikfilm über Hip Hop in Palästina. Die Filmemacherin Jackie Salloum – Amerikanerin mit palästinensischen und syrischen Wurzeln – verzichtet auf politische Aussagen und zeigt die Lebenswelten und den Alltag der Palästinenser in Israel und Gaza kommentarlos. Jenseits der grossen Schlagzeilen, jenseits der grossen Politik. So ist der Film auf eine geradezu subversive Art und Weise unpolitisch. Es ist gar nicht nötig, des Langen und Breiten über die israelische Besetzungspolitik und Ausgrenzungspolitik zu reden, die Szenen sprechen für sich. Etwa wenn Mahmoud Shalabi, der Rapper aus der palästinensisch-israelischen Stadt Akka, in Tel Aviv von der Polizei kontrolliert wird, nur weil er Arabisch spricht. Oder wenn PR in Gaza unterwegs sind und stundenlang an Checkpoints aufgehalten werden.
Slingshot Hip Hop ist ein starker, berührender und spannender Film, tieftraurig und doch nicht ohne Hoffnung. Jackie Salloum ist an ihren Protagonisten ganz nah dran – und den Zuschauern wachsen sie ans Herz. Wer sich für den Nahost-Konflikt interessiert und dazu noch Hip Hop mag, sollte sich den Film auf keinen Fall entgehen lassen.
Dieser Film wurde gezeigt am 1. Norient Musikfilm Festival in Bern.
Biography
Published on January 04, 2010
Last updated on April 30, 2024
Topics
From Muslim taqwacore to how the rave scene in Athens counters the financial crisis.
From priests claiming to be able to shapeshift into an animal to Irish folk musicians attempting to unify Protestants and Catholics.
From the political implications of human voice to its potential of un-making sense.