Hinterteile sind in Videos von US-Popsängerinnen ein wichtiges, aber streitbares Accessoire. Doch die Frage bleibt: wer trägt sie, und wenn ja, in welcher (Haut-)Farbe? Sonja Eismann über Miley Cyrus’ und Taylor Swifts ironisches Twerking und den tobenden Arschkulturkrieg um den Big Booty. Aus dem Norient Buch Seismographic Sounds (hier bestellbar).
«Oh my gosh, look at her butt!» Im Video zu «Anaconda» von Nicki Minaj ist der unsichtbare Chor der weissen «skinny bitches», deren Hautfarbe durch den Valley-Girl-Slang unüberhörbar wird, fassungslos. Wie selbstbewusst will Nicki Minaj ihren «big fat ass», an dem sich am Ende sogar der Rapper Drake verbrennt, denn bitte noch durch die Gegend schleudern? Kann es, darf es sein, dass eine im Mainstream erfolgreiche Musikerin so viel «junk in the trunk» hat und diese Fülle auch noch rahmensprengend zu einer neuen Kapitalsorte für massig weisse Dollars macht?
Nachdem Miley Cyrus und später auch Lily Allen oder Taylor Swift, die regierenden (mal mehr, mal weniger) skinny bitches der internationalen Charts, mit ihrem leidlich ironischen Hi-Jacking von Twerking alle mediale Aufmerksamkeit abgeräumt und erhitzte Debatten über diese Form von kultureller Aneignung ausgelöst hatten, ist ein Arschkulturkrieg ausgebrochen, der mit immer neuen Übertrumpfungsstrategien aufwartet. Weisse Künstlerinnen entdecken ihre Rückseite nun als zusätzlich vermarktbares Asset im Ersatzteillager der Kulturindustrie, während bis vor kurzem die Zuschreibung von (irgendwie «primitiver») Sexiness via üppigem Hinterteil einerseits streng rassialisiert war, andererseits aber auch von People of Color als ein Ausklinken aus dominanten Schönheitsnormen gefeiert wurde.
Als das Modemagazin Vogue, bisher nicht unbedingt als Zentralorgan von Diversität und Fat Empowerment bekannt, im September 2014 in Erwartung des neuen Videos von J. Lo und Iggy Azalea offiziell die Ära des Big Booty ausrief, hagelte es wütende Netzrepliken. Denn hier wurde die schlanke, hellhäutige Jennifer Lopez zur mutigen Gründermutti einer Popo-positiven Bewegung auserkoren, bezüglich der die Hochglanzzeitschrift selbst noch etwas unsicher schien, ob man Jenny from the block denn nun dafür dankbar sein oder es ihr übel nehmen solle. War doch ein dickes Hinterteil, wie der Vogue-Artikel mit einer gewissen Wehmut äussert, über Jahre etwas, das man beziehungsweise natürlich nur frau mit viel Fitnessdisziplin bekämpfen musste.
Mit Repliken wie «Actually, Vogue, The Era of The Big Booty began a long ass time ago» riefen ob so viel Geschichtsignoranz entnervte Kommentatorinnen in Erinnerung, dass es in nicht-weissen Communities schon lange als schön und eben nicht monströs gelte, wenn ein «Baby got back» – um Sir Mix-A-Lots Spassrap-Ass-Hymne aus dem Jahr 1992 zu zitieren. Kim Kardashian, die in den USA aufgrund ihres in dritter Generation armenisch-amerikanischen Vaters als irgendwie «ethnic» und damit jedenfalls als nicht-weiss wahrgenommen wird, setzte in der ihr eigenen Dezenz im November noch einen drauf und versuchte, mit Fotos ihres ausladenden, eingeölten Hinterteils das Internet zu sprengen. Was wiederum die Komikerin Tina Fey dazu veranlasste festzustellen, dass die vermeintliche Akzeptanz «diverser» weiblicher Körperformen dazu geführt habe, dass nun von jeder Frau erwartet würde, kaukasisch blaue Augen, asiatisch glatte Haare, schwedisch lange Beine, die Hüften eines neunjährigen Jungen und den Arsch einer jamaikanischen Dancehall-Tänzerin zu haben.
Und ja: Diplo, der mit Videos wie «Bubble Butt» selbst bekennender Arsch-Ikonoklast ist, gab kurz vorher per Twitter die Parole aus, Taylor Swift doch bitte über Kickstarter einen Hintern zu finanzieren, was wiederum deren Freundin Lorde mit der Bitte um Abhilfe für Diplos winzigen Penis’ konterte. Was uns letztlich zu der interessantesten Frage führt: Wo sind eigentlich, abseits von den glotzenden Augen, die Männerkörper in dieser Debatte?