Panjabi MC ist ein Pionier der englischen Bhangra-Pop-Szene und der Schöpfer des Megahits «Mundian To Bach Ke», der es 2003 auf der ganzen Welt in die Hitparaden schaffte. Seither ist viel passiert und Panjabi MC hat sich zum Ein-Mann-Unternehmen gemausert.
Er ist der ungekrönte König des Bhangra-Rap: Panjabi MC alias Rajinder Singh Rai. Nun setzt sich der 40-jährige Produzent aus Coventry in Grossbritannien mit seinem aktuellen Album «The Raj» selbst die Königskrone auf. Er weiss nämlich: Panjabi MC wird auf ewig jener Mann sein, der das Genre Bhangra in den Pop-Mainstream katapultiert hat. Und er spielt mit der Krone auf dem CD-Cover natürlich unverhohlen auf die britische Kolonialgeschichte an – und auf die von Kriegen geschüttelte Geschichte des Punjab-Gebiets im Norden von Indien und Pakistan. Von dort stammen seine Eltern. «Wir wurden Immigranten genannt», sagt Rai, «aber ohne uns wäre Bhangra nie geboren worden!»
In den britischen Industriestädten rund um Birmingham haben die Nachkommen der ersten und zweiten Einwanderergeneration die traditionelle Ernte- und Hochzeitsmusik aus ihrer Heimat, dem Punjab, aufgegriffen, gepflegt und immer wieder mit Elementen der westlichen Rap- und Clubkultur verschmolzen.
Seit dem «Bhangra-Muffin» der 90er-Jahre hat sich die Bhangra-Szene in mehrere Stilrichtungen unterteilt, aber ein Merkmal ist geblieben: Die Bhangra-Hybride enthalten oft kleine Sample-Zitate aus westlichen Rap- oder Pophits. Jener kleine Basslauf aus der TV-Serie «Knight Rider» im Panjabi-MC-Megahit «Mundian To Bach Ke» («Nehmt euch in Acht vor den Jungs!») war es letztlich, der dieses Stück vor acht Jahren auch für westliche Ohren so unwiderstehlich machte und europaweit in die Charts katapultierte. Text und Gesang steuerte der Sänger Labh Janjua bei, der allerdings bei sämtlichen Live- und Fernsehauftritten durch die «Bhangra Brothers» aus Stuttgart ersetzt wurde.
Seinen pulsierenden Rhythmus verdankt der Nummer-2-Hit aus dem Jahr 2003 freilich dem Hauptmerkmal des Bhangra, dem Beat der grossen «Dhol»-Trommeln und dem jahrtausendalten einsaitigen «Tumbi»-Instrument aus dem Punjab. Seinen beiden Lieblingsinstrumenten ist Rajinder Rai treu geblieben, auch wenn er inzwischen kein Stammgast mehr in Chartsendungen «Top of the Pops» oder «The Dome» ist.
«Als wir nach England kamen und dort Bhangra-Musik erfanden», so Rajinder Rai, «war die Tumbi eines von zwei, drei Instrumenten, die immer wieder auftauchten.» Man spiele die einsaitige Laute wie eine Gitarre, und könne damit vier bis fünf verschiedene Töne erzeugen. Rai: «Die Ursprünge der Tumbi-Laute liegen in der religiösen Musik des Punjab und sind Jahrtausende alt.»
Je mehr sich Rai mit der Musikgeschichte dieser Region beschäftigte, desto mehr las er auch über die verschiedenen Herrscher quer durch die Jahrhunderte. Rai: «Da tauchen solch illustre Namen auf wie Dschingis Khan und Alexander der Grosse. Aber auch ägyptische Könige und die frühen Sanskrit-Schriften. Also dachte ich mir: das kann man doch mal in einem Rap zusammenfassen!» So steht das Titelstück des neuen Albums «The Raj» als ultimative Hommage an die Heimat, weniger jedoch als Kritik an der britischen Kolonialpolitik.
Im Song «Salute» erweist Rai den Soldaten in der Krisenregion Nordindien, Pakistan sowie Afghanistan seinen Tribut, denkt aber in erster Linie an deren Familien. Sie seien es schliesslich, die am meisten unter der Situation litten. «Es ist auch eine Art Antikriegssong», erklärt Rai. «Aber es geht mir in erster Linie darum, die Sicht der Familien der Soldaten deutlich zu machen, das ist nämlich jene Sicht, die Politiker uns am liebsten verschweigen.»
Überhaupt: politics. Die gibt’s auch im Zusammenhang mit der Plattenindustrie. Und die nervt Rajinder Rai. Nach jahrelangen schlechten Erfahrungen hat Panjabi MC dort einen Schlussstrich gezogen. Er mag es nicht, als der ehemalige Hitproduzent in dubiose Verträge gezwungen zu werden. Unabhängig betreibt er seine Ein-Mann-Plattenfirma PMC-Records vom heimischen Bürosessel aus. Nur für den indischen Markt hat sich Panjabi MC mit dem Musikkonzern Universal eingelassen. Denn er weiss, wie wichtig gerade dieser junge Markt für die Zukunft ist. Die ersten beiden Wochen dieses Jahres hat Panjabi MC in den indischen Metropolen Bangalore, New Delhi und Mumbai verbracht und auf Parties gespielt.
18 Tracks gibt’s auf dem neuen Album und immerhin 15 verschiedene Vokalistinnen und Vokalisten. Generell lag hier immer schon die Trumpfkarte von Panjabi MC: die besten Sängerinnen und Sänger aus dem Punjab auf seinen Alben zu versammeln. Darunter sind diesmal Nachwuchshoffnungen – wie zum Beispiel die Sängerin Kamalmeet Kaur, die im Bhangra-Business bereits als legitime Nachfolgerin von Miss Pooja gehandelt wird.
Ganz in der Tradition des grossen Qawwali-Meisters Nusrat Fateh Ali Khan singt Javeed Bashir im Stück «Dir Mor De», dem progressiven Aushängeschild des Albums. Hier hat Rai seinen ersten Dubstep-Track mit tiefergelegten Bässen produziert. In diese Richtung sollte Panjabi MC in Zukunft weiter marschieren.
Er wird aber auch mit einem Auge weiterhin in Richtung Mumbai schauen, denn die Filmindustrie ist immer noch ein gern gesehener Auftraggeber für Music-Scores. Zuletzt hatte Panjabi MC den Titel «I got the poison» für den Bollywoodfilm «Hiss» produziert.
Auf dem neuen Album findet sich auch eine Zusammenarbeit mit Bappi Lahiri, dem King of Disco. Rai: «Das ist sein allererster Song auf punjabi! Und es klingt fast wie gerappt! Es geht um ein Mädchen aus dem Pandschab.» Dort im Norden verbringt er seine Zeit am liebsten, obwohl es gerade im Januar ungewöhnlich kalt war in Indien. «Fast so kalt wie in England», twitterte Panjabi MC. «Es gab nur keine Heizöfen.»