Der Teufelskreis des Geldes
«Das Internet ist nicht demokratisch», sagt Andreas Ryser, Präsident des Musikverbands IndieSuisse, Produzent, Verleger und CEO von Mouthwatering Records. Auch in sozialen Netzwerken bestimme das Geld, welche Musik gefunden werde, ist Ryser überzeugt. Gleichzeitig sieht er in der Digitalisierung auch Chancen und Perspektiven für die Finanzierung des Musikschaffens. Aus dem Norient Buch Seismographic Sounds (hier bestellbar).
[Hannes Liechti]: Welches sind 2015 die wichtigsten sozialen Netzwerke, auf welchen Musiker und Musikerinnen in der Schweiz präsent sind?
[Andreas Ryser]: Noch ist Facebook das Kommunikationstool, um die meisten Leute zu erreichen. Das ändert sich aber. Gerade pushen wir bei unserem Label einen neuen Künstler, den wir fast nur noch über Instagram präsentieren werden, denn dort ist auch seine Szene. Auf Facebook hat er 200 Follower, auf Instagram schon über 1800. Wo du präsent bist, hängt also von deiner Szene ab. Wenn du aber über deine Nische hinaus Leute ansprechen willst, musst du dort hingehen, wo die anderen sind. Und das ist im Moment noch Facebook. In Zukunft wird aber wohl auch Apple kräftig mitmischen: Ihr neu vorgestellter Streaming-Dienst beinhaltet unter anderem auch ein soziales Netzwerk.
[HL]: Auf Facebook wird es immer schwieriger, Leute zu erreichen. Wer möchte, dass die Beiträge von einem Grossteil der mühevoll aufgebauten Follower oder gar von einem breiteren Publikum gesehen werden, muss diese Reichweite bezahlen.
[AR]: Ich kenne die Entwicklung, die übrigens mit Sicherheit bald auch bei anderen Netzwerken wie Twitter oder Instagram einsetzen wird. Auch die werden sich ein Businessmodell aus den Fingern saugen müssen. Ich glaube aber, dass man mit sehr guten Inhalten dagegen halten kann: Guter Inhalt wird geteilt, und so kann es gelingen, auch ohne Finanzen Reichweite zu generieren.
[HL]: Was bedeutet das für Musikschaffende?
[AR]: Sich Likes zu erarbeiten, braucht Zeit und Energie, das gehört zum Geschäft. Und wenn man sieht, was diese Plattformen alles bieten, ist ein kleiner finanzieller Aufwand, um die Reichweite zu steigern, vertretbar. Leider ist ja auch das Musikerdasein nicht wirklich ein funktionierendes Businessmodell. Dementsprechend haben Musikschaffende nicht viele Möglichkeiten, Geld in Marketingplattformen zu investieren. Ein Teufelskreis.
Band und Nebenjob wichtig
[HL]: Digitalisierung bedeute Demokratisierung, wird oft behauptet. Doch gibt nicht auch im Web das Geld den Ton an?
[AR]: Das Internet ist überhaupt nicht demokratisch. Wer Geld hat, kann seine Reichweite vervielfachen und wird gesehen. Facebook ist ein gutes Beispiel, dort existiert gar eine Form von Zensur. Sobald nämlich jemand einen Post als anstössig oder als Spam meldet, wird die Reichweite eingeschränkt. Mit anderen Worten: Dritte können direkt beeinflussen, wie viele Leute einen Post sehen. Das hat doch nichts mit Demokratie zu tun! Ich denke aber, das Hauptproblem liegt anderswo: Die Digitalisierung führt dazu, dass mittlerweile viel zu viel gute Musik immer und überall verfügbar ist. Ein massives Überangebot.
[HL]: Welche negativen Auswirkungen hat denn ein frei zugängliches Archiv an guter Musik?
[AR]: Nicht nur die Musik, sondern auch die Finanzen sind breiter gestreut. Das heisst, dass jeder und jede ein bisschen etwas bekommt, aber nicht davon leben kann. Noch viel krasser ist diese Entwicklung beim Streaming: Ein Album generiert heute vielleicht über die nächsten 70 Jahre hinweg Geld, wirft aber im Moment kaum etwas ab. Alles in allem führen diese Entwicklungen zu einer Amateurisierung des Musikschaffens. Musiker und Musikerinnen müssen also andere Finanzierungsstrategien verfolgen, die wiederum Zeit brauchen. Für das Publikum sollten sie aber dennoch konstant verfügbar sein. Gerade für ein Management wird es beispielsweise besonders schwierig, wenn jemand viele verschiedene Projekte gleichzeitig verfolgt.
[HL]: Weshalb?
[AR]: Langfristig wird er oder sie mit keinem Projekt ein Level erreichen, das für ein Management finanziell interessant ist. Die beste Variante ist schlicht: Eine Band, ein Projekt, gekoppelt an einen Nebenjob.
Günstig wohnen
[HL]: Crowdfunding, Sponsoring oder Support durch das vermögende Elternhaus sind weitere Strategien zur Finanzierung des Musikschaffens. Was gibt es noch?
[AR]: Eine günstige Wohnung! In der Schweiz und einigen wenigen anderen Ländern kommen dann noch die Kultursubventionen hinzu. Und schliesslich: Crowdfunding und Support durch das Elternhaus gehören für mich zusammen. Es ist letztlich vor allem die Entourage der Musikerinnen, Musiker und Bands, die Geld spendet. Selbst bei relativ bekannten Namen.
[HL]: Gibt es denn im Blick auf die Finanzierung des Musikschaffens auch Chancen und Perspektiven der Digitalisierung?
[AR]: Klar gibt es die. Gerade mit spannenden Nischenprodukten kann es durch das Internet gelingen, global präsent zu sein und in jedem Land die richtigen Leute anzusprechen. Dadurch kann die Nische so erweitert werden, dass Musiker und Musikerinnen auch finanziell überleben können. Das schaffen aber wirklich nur herausragende Produktionen.
Das Interview wurde am 20.5.2015 in Bern, Schweiz geführt. Dieser Text wurde erstmals publiziert im zweiten Norient Buch «Seismographic Sounds».
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Published on February 20, 2018
Last updated on August 24, 2020
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