Shaggy in Tansania
Bob Marley ist angeschimmelt. Es gibt ein altes Wandgemälde in Dar es Salaam, das sein Gesicht zeigt, und das die hier erst jüngst entstandene Graffitimode überlebt hat. Marley ist grau, schmutzig und kaum mehr zu erkennen zwischen den frischen Schriftzügen. Aber man muss davon ausgehen, dass sein Bild niemand übermalen wird. Marley hat schon alles ausgesessen in Tansania.
Er war da, als sich das Land noch gegen die Öffnung für den Weltmarkt wehrte, Anfang der Achtziger Jahre. Er blieb, als mit der Liberalisierung private Radios aus dem Boden schossen, die immer den Rüssel im Trog der Trends haben. Er blieb, als Michael Jackson in die Kassettenläden kam, und als er wieder verschwand. Die majah, tansanische Rastafaris, legten jedes Jahr einen Bob-Marley-Grossgedenktag ein, und lokale Reggaegruppen wurden gegründet. Mitte der Neunziger, als HipHop von einer ganzen Generation entdeckt wurde, verloren Reggae und Dancehall an Bedeutung. Heute gehen sie, nachdem die Reime der tansanischen Rapper zunächst hart und melodiefrei unterlegt worden waren, wieder in Bongo Flava auf, dem landeseigenen kiswahilisprachigen HipHop. Erst dominierten Public Enemy-Schriftzüge die T-Shirts. Heute G-Unit und 50 Cent. Und das Gesicht von Bob Marley.
Das alles ist der Versuch einer Antwort auf die Frage, warum von allen Weltstars nicht, zum Beispiel, Celine Dion in Tansania auftritt, sondern Orville R. Burrell: Burrell ist in Kingston, Jamaika, geboren, hat 1996 einen Grammy für das beste Reggae-Album bekommen, und er nennt sich Shaggy. Man kann ihn auch den Party-Bob nennen: die Marley-Partyausgabe. Das qualifiziert ihn dafür, Dar es Salaams grösste Halle fast auszuverkaufen, obwohl jedes Ticket 18 Euro kostet, ein gutes Viertel eines durchschnittlichen tansanischen Monatslohns. Denn das macht den ja meist als Gute-Laune-Onkel wahrgenommenen Shaggy in Tansania zum Mann einer Botschaft, die er freilich nie auszusprechen braucht: der variantenreichen Botschaft, die über Jahre hinweg von Jugendlichen in vielen afrikanischen Ländern Marley zugeschrieben wurde und wird, vor allem, seit er 1980 anlässlich der Unabhängigkeit Zimbabwes auftrat: dass alle Menschen gleich seien, und dass Afrika eines Tages ab durch die Mitte gehen werde.
Shaggy also kommt nach Dar es Salaam, und er singt Hits wie «Oh, Carolina», «My sexy lady» und «Strength of a woman». Nicht gerade hochpolitische Songs. Aber er kommt. Das allein ist schon eine Botschaft in einem Land, das seine für internationale Berühmtheiten bestimmten roten Teppiche wohl öfter zur Mottenvorsorge als zum Gebrauch ausrollen muss. Ein echter Star, noch dazu ein in Jamaika geborener, performt ein starkes Afrika. Egal, ob er das tatsächlich tut – in den Köpfen von Dar es Salaams Jugendlichen kommt es so an. Ein Star, der Marleys Erbe selbst dann fortführt, wenn er nur den ganzen Abend lang unter epileptisch anmutendem Hüftzucken den «Mister Lover-Lover» macht, den «fantastic Mr. Boombastic», als der er 1995 berühmt wurde.
Was in Dar es Salaam passiert ist, bevor Shaggy dort auftritt: Die Radiosender überbieten sich mit Shaggy-Meldungen. Urbane Legenden geraten in Umlauf: etwa dass Shaggy in der Diskothek Bilicanas gewesen sei, mitten unter all den Leuten. Andere wollen wissen, dass er sogar eine Lokalrunde spendiert habe. Gesehen hat es keiner. Aber teilhaben am Event Shaggy will jeder, auch wer es sich nicht leisten kann, das Konzert zu besuchen. Und das ist der grosse Rest der Shaggy-Fans, der den Abend aber ja vor dem Radio verbringen kann. Von den wichtigsten Ereignissen, egal ob große Präsidentenreden oder Shaggy-Konzerte, wird immer live berichtet.
Shaggy kommt in Army-Hosen, mit Silberkette und Baseballmütze. «This is the power of the African people», ruft er ins Dunkel der Diamond-Jubilee-Hall, nachdem ihn das Publikum nach einiger Wartezeit durch Buhrufe auf die Bühne gezwungen hat. Mit diesem einen Satz hat er den Saal zurück auf seiner Seite, 141 Minuten lang. 141 Minuten, während derer 176 Ventilatoren kaum für Luft zu sorgen in der Lage sind und während derer trotzdem der Jubel manchmal die Band übertönt und das Hüpfen, Armwedeln und Tanzen nur durch die Nebenleute eingeschränkt wird. Shaggy macht den Clown und Staraufreisser. Er holt eine Frau auf die Bühne, die sich in Grund und Boden schämt, nennt sie seine «African queen» und betet sie auf Knien an. Eine vierköpfige Dancehall-Band und vier Backgroundsänger unterstützen ihn, und sie stehen ebenso oft wie Shaggy selbst im Vordergrund, schon weil die Lichtanlage eine gleichmässig platte Helligkeit herstellt. Am Ende wird Shaggy sagen, es sei eng, heiß und uncomfortable gewesen. Und die Beleuchtung in der Halle, die sei ja eine einzige Krankheit (wobei er das etwas blumiger ausdrückte). Aber dass er es geliebt habe.
Am Ende spielt die Band noch ein Marley-Medley, alle Hits in zwölf Minuten. «Zeigt mir eure Feuerzeuge», fordert Shaggy, bevor er mit seiner kehligen Vibrationsstimme Marleys «One love» anstimmt. Das Publikum zeigt ihm stattdessen Handy-Displays. Man muss sich nur ein einziges Display zeigen lassen: Das Hintergrundbild zeigt den Umriss eines Marihuanablatts; ein Display-Bild, das in Tansania bei Jugendlichen so beliebt ist wie hierzulande Rülpsklingeltöne. Marihuana ist Rasta. Rasta ist Marley ist Shaggy ist Jamaika. Und Jamaika ist Afrika. 141 Minuten lang darf sich Dar es Salaam, dank eines Jamaikaners, der für die US Marines im Irak war, als Mittelpunkt Afrikas fühlen.
Published on October 17, 2007
Last updated on May 01, 2024
Topics
Desires are produced personally and impersonally: About music as desiring machine and the elasticity of bodies.
About fees, selling records, and public funding: How musicians strive for a living in the digital era.