And.Ypsilon ist ein echter Klangforscher. Als Beatproducer für Die Fantastischen 4 prägte er den Sound von deutschen Hip Hop. Norient traf ihn in in seinem Studio für ein Gespräch über elektronische Musik und seine Wiederentdeckung von Modular-Synthesizern. Ein Interview im Rahmen des Forschungsprojektes Cult Sounds.
Der Soundspezialist, Produzent und der elektronischen Popmusik zugewandte Musiker And.Ypsilon wurde vor allem durch seine künstlerische Arbeit als viertes Mitglied der deutschen Hip Hop Band Die Fantastischen 4 bekannt. Der als Andreas Rieke 1967 in Stuttgart geborene Musiker bezieht seine expliziten Technologie-Kenntnisse aus einem Studium für technische Informatik. Mit den ersten Alben der Fantastischen 4 gelangen ihm innovative und individualistische Meisterstücke abseits der plumpen Übernahme US-amerikanischer Hip Hop Klischees.
And.Ypsilon begann sich bereits in seiner Jugendzeit für Synthesizer, elektronische Instrumente und deren Produktionstechniken zu interessieren. Er hat sich intensiv mit Sampling und der organischen Integration von Samples und Loops in eine gesamthaftes musikalisches Geschehen befasst. And.Ypsilon bewegt sich heute durch die Auseinandersetzung mit elektronischen Sounds auf einer nahezu molekularen-wissenschaftlich orientierten Klangsuche. Dabei stehen primär modulare Systeme zur Disposition. Nicht nur die Physis und Haptik eines einzelnen Klangmoduls, sondern auch die Interaktion und das Zusammenwirken von Oszillatoren, Filtern, Hüllkurven und LFO’s wird von And.Ypsilon in einem Akt der Dekonstruktion und Rekonstruktion praktiziert um zu innovativen Sounds zu gelangen. Dafür nimmt sich And.Ypsilon alle Zeit der Welt.
Ich habe den Klangkünstler zweimal in seinem Studio in Stuttgart besucht und ihn in Bezug zu meinem Forschungsprojekt Cult Sounds interviewt. Sein musikalisches Wissen ist immens, ein unendlicher Fundus an Sound-Reflexionen. Bei der Arbeit mit Popmusik-Studierenden kommen völlig neue Perspektiven zutage.
Die Produktionen der Fantastischen 4 unter der Handschrift von And.Ypsilon sind komplexe Sound- und Groove Gefüge, die es gilt, aufeinander abzustimmen. And.Ypison steckt nicht in alten Mustern fest, er definiert sich mit jedem technologischen Paradigmenwechsel neu. Erst Sampling, dann die Digitalisierung und Virtualisierung, heute die Modularisierung und die Rückkehr zum Moment. Denn: modulare Systeme können nichts speichern. Ein Rückschritt? Ja, ein Schritt zurück zum Experiment mit unvorhersehbaren Ausgang.
Video-Interview
Interview-Transkript mit And.Ypsilon
[Immanuel Brockhaus]: Was reizt dich an elektronischer Musik?
[And.Ypsilon]: Ja, also als ich mit elektronischer Musik angefangen habe, das war ja schon in den Kindertagen, das fand ich besonders interessant, dass man unerhörte oder ungehörte Klänge, dass man die damit hören...hörbar machen kann. Also mich hat von vornherein ... die Hörerfahrungen standen im Vordergrund. Darum habe ich als 12-jähriger einen Korg MS20 Synthesizer angeschafft, was gleichzeitig so das Ende meiner Klavierunterrichtskarriere dargestellt hat. Ja ... äh ... Elektronik ist für mich immer mit Forschung verbunden, für mich war das jetzt nie ... die ... die grundlegende Idee war nicht, schon vorhandene Klänge nachzubilden, also irgendwie nachgemachte Pianos oder sonstige Instrumente finde ich uninteressant, dafür braucht man nicht zwingend Elektronik. Ist natürlich schön, dass wir jetzt heute im Studio alle möglichen Echtklänge simulieren können und man einen Haufen Klänge parat hat, das ist schön auf der einen Seite aber auch ein bisschen inflationär auf der anderen Seite.
[IB]: Die nächste Frage, da hatten wir ja vorher schon ausgiebig drüber gesprochen, wie hast du den Wandel von der analogen in die digitale Technologie und insbesondere eben Sampling auch wahrgenommen?
[AY]: Ok, ja... Als die digitale Technologie auftauchte, das war für mich ein bewusstes Novum, da war ich grade so im Teenager-Alter, da hörte ich von der Möglichkeit des Samplings, nicht zuletzt auch ein bisschen durch die Hiphop-Platten die ich damals emsig im Importladen gekauft habe. Aber auch schon ... ich bin mit nicht ganz sicher ob ich auch unabhängig davon durch mein Interesse an New-Age-Musik, da trat Sampling nämlich auch schnell oder frühzeitig auf ... ähm ... das Label New-Age-Musik das gabs erst später für diese ganze Musiksparte als alles ein bisschen abgekitscht ist, da hiess es dann New-Age-Musik. Das ist nicht ganz das was ich meine (leises Lachen).
Jedenfalls, da gabs auch extreme Sampling-Pionier-Taten, ich darf an dieser Stelle mal Burgner-Meier und Zuschrader aus Österreich erwähnen, die auf dem Erdenklang-Label wirkliche Pioniertaten in ... was in der Musik als Sampling als Instrument für sich, Sampling mit Naturklängen, das haben die frühzeitig betrieben, dass hat mich sehr fasziniert und inspiriert weil das natürlich die Idee von Sampling war, dass man Klänge mit Eigenschaften wie sie nur natürlich vorkommende Klänge haben, in die elektronische Sphäre reinziehen kann und damit dann wie mit anderen elektronischen Klängen eben auch umgehen kann. Das war für mich als Elektroniker ein totales Faszinosum, diese natürlichen nennen wir es mal Features die diese Sounds haben, mitzuverarbeiten.
Natürlich kann man das nach wie vor mit traditioneller Elektronik kombinieren und auch so bearbeiten, dass man sich ästhetisch eher wieder in eine abstraktere Richtung begibt mit den Klängen, aber trotzdem das Arbeiten mit natürlichen Gefühlskomponenten dabei, das fand ich das ganz Spannende... Dann im weiteren Verlauf kamen natürlich die Loop-Sampling-Technik im Hiphop dazu und diese Technik ... äh ... war für mich so eine Art, ja, man kann schon sagen es ging damals um das Recyceln von bereits vorhandener Musik die älter ist, die natürlichen, ich nenne sie gerne physikalische Instrumente, die mit physikalischen Instrumenten gemacht wurden ... oder physikalisch-akustischen Instrumenten, die akustischen sind eine Subgruppe der physikalischen Instrumente Musik und diese ganzen Grooves der Black Music, das drohte in dieser Zeit unterzugehen.
Kein Mensch kannte das mehr, mein Generation kannte das nicht mehr aus den direkten Quellen, aber die DJ-Experten und Plattensammler, die kannten das noch und gleichzeitig war diese Gruppe von Menschen sehr wichtig um auszufiltern aus dem riesigen Angebot was es gab, was die wirklichen immer noch brauchbaren Highlights dieser Musik waren. Die dann zu sampeln und zu loopen, also in den streng repetitiven Kontext zu setzen, das fand ich ästhetisch absolut das Richtige und dass ich das mit Sampling, also mit Computertechnik im Allgemeinen, dass ich das machen konnte, dass fand ich das Spannende. Weil die Computertechnik an sich war gerade so am aufkeimen, aus heutiger Sicht muss man das immer noch sagen, das war noch gar nicht so mächtig wie jetzt, darum brauchte man überhaupt Sampler als externe Geräte, also Computer selber konnten damals noch nicht sampeln, das überstieg die Rechenleistung dieser Maschinen.
Naja, jedenfalls die Sampletechnik im Loopsinne vom Hiphop war eine schöne Recycling-Methode und das Aufeinandertreffen von verschiedenen Samples, das Umgehen mit den organischen Komponenten der Samples, das war für mich besonders spannend, wie moderiere ich zwischen verschiedenen Quellen, wie bringe ich programmiertes Zeug und handgespieltes Zeug zusammen. Dabei habe ich natürlich viel über handgespieltes Zeug gelernt, indem ich mein Programming-Zeug dagegen gehalten habe und dann musste ich mal gucken, wo der Hase lang läuft.
[IB]: Wie stehst du zu Presets?
[AY]: Presets... Ich würde sagen – Speicherbarkeit von Sounds, was ja dann zu Presets führt, ist natürlich ein Segen, aber auch Fluch gleichzeitig. Also klar ist es für mich auch ein Segen, wenn jetzt während eines musikalischen Schaffens ein Sound gebraucht wird, dass ich schnell mal einen aus der Tasche zaubern kann. Allerdings bin ich dann schnell verleitet zu sagen, ich brauche aber jetzt einen besonders passenden Streichersound und da geht die Katastrophe los, da fange ich nämlich an 1000 Presets durchzuhören, aber nach eigentlich 20 Presets bin ich schon emotional taub, kann gar nicht mehr wirklich beurteilen was wirklich gebraucht wird für diese Musik die ich grade mache. Dieses Durchsuchen von Presets ist also gefährlich für den Schaffensprozess.
Ich kann gut verstehen wenn einer sagt: Ok, ich hab jetzt hier meine 10 Lieblings-Streichersounds, die müssen reichen – Das halte ich für ein vernünftiges Vorgehen, also eigentlich muss man mit Presets sehr viel arbeiten, bis man zu einer persönlichen Preset-Sammlung kommt, die dann für die eigenen Zwecke wirklich funktioniert und die einen dann nicht mehr verwirrt. Ich selber bin ein bisschen zu faul für die Arbeit mit riesigen Presets-Bänken, da mir welche rauszusuchen, selbst bei Drum-Sounds tu ich mir schon schwer. Tausende von Bass-Drums durchzusuchen nach meinen 10-20 Favoriten ... ist ein bisschen blöd.
Ich hab mich deshalb jetzt wieder der Modular- ... was heisst wieder ... im verstärkten Masse der Modulartechnik zugewandt, hier kann man überhaupt nichts speichern, ich schaffe die Sounds nur für den Augenblick und für die Musik die ich grade mache. Darin liegt für mich ein gewisser Reiz. Ich würde jetzt die zwar gern speichern können die Sounds, aber es ist nicht der Knackpunkt, also es verhindert nicht, dass ich auf diese Art Musik mache und auf diese Art inspirierte Musik machen kann, weil lasse Sounds tatsächlich gern wachsen, in die Form hineinwachsen, die sie in dem musikalischen Kontext der grade anliegt einfach brauchen.
Und das gelingt mir mit dem Modular-Synthesizer eben schon, da kann ich zu Beispiel eine Bassdrum designen, wie sie in diesem Groove einfach am allerschönsten funktioniert, und das dauert auch nicht länger als 100 Bassdrums durchzusuchen. Dann ist es erfahrungsgemäss natürlich immer so, dann finde ich in meiner Bassdrum-Library, die auch durchaus personalisiert ist, find ich natürlich eine Bassdrum die ganz gut passt, aber nach einer Stunde mit dieser Bassdrum schleicht sich das Gefühl ein, die passt nicht. Und dann fängt man an, daran herumzuschrauben, mit tontechnischen Mitteln – Equalizern, Kompressoren usw. – Ich bin da handwerklich durchaus versiert, darum geht mir so schnell nicht die Luft aus was ich alles mit einem Basissound machen kann, auf tontechnische Art und Weise. Es ist trotzdem blöd, weil man dann eine Stunde lang an der Bassdrum rumschraubt, bis ich das Gefühl habe, dass sie mir jetzt genügt, dass sie mir gefällt oder sogar super ist, aber das war die Stunde zu viel. Dann bin ich raus aus dem eigentlichen musikalischen Flow.
[IB]: Was zeichnet eigentlich deinen individuellen Sound aus?
[AY]: Was zeichnet meinen individuellen Sound aus... Eine unglaubliche AndYpsilonigkeit natürlich, das kann ich nicht näher erklären (lacht)... Vielleicht kann ich es doch ... Also ich bin sehr bemüht darum, organisches Gefühl auch in der abstraktesten Elektronik, es darf ganz abstrakt sein, das hindert mich nicht, das was ich als organisch und damit in gewisser Weise als natürlich empfinde, diese Empfindung soll da als Brücke zu dieser abstrakten Welt auch vorhanden sein. Natürlich ist lange nicht alles was ich gemacht habe abstrakt-elektronisch, aber eigentlich komme ich von der abstrakten Elektronik mit dem Umweg über das Loop-sampeln und auch über die Arbeit mit unseren Bandmusikern, ich habe dann angefangen mit ganz vielen Musikern zu arbeiten und ich weiss was da alles toll daran ist, dieses Tolle möchte ich gerne auch in der abstrakten Elektronik haben, das möchte ich generell immer haben. Es ist eine funktionale Qualität der Musik, wenn sie sich in gewisser Weise vertraut und auch für den Körper verständlich anfühlt. Materialeigenschaften sind wichtig, oder auch physikalische Eigenschaften.
Ich habe mal gesagt, dass eine Trommel, eine Bassdrum oder eine Snaredrum aus dem Computer, manche Digitale davon, die sagen nur «Bumm» aber die machen nicht «Bumm» ... also das muss «Bumm» machen, etwas was der Körper auch fühlen kann und der Körper fühlt ständig mit beim Musik hören, selbst wenn er physikalisch nicht betroffen ist. Auch wenn ich nur über Kopfhörer Musik höre, ist meine Erfahrung mit Materialeigenschaften, mit physikalischen Klangereignissen – diese ganze Hörerfahrung, die der Mensch sein Leben lang macht, die sitzt immer mit im Boot und über diese Hörerfahrung kann man ihn ansprechen. Oder man kanns auch sein lassen, dann verpasst man aber die Möglichkeit, tiefergreifende Emotionen im Körper zu provozieren und das Hervorrufen von Emotionen finde ich aber ist so die Grundmechanik der Musik, das macht Musik ja eigentlich aus, dass es Emotionen hervorruft. Wenn man das Physikalische, das Körperliche auslässt, verpasst man eine grosse Gelegenheit die Emotionen des Menschen zu erreichen, also mein Grundanliegen.
Das vollständige Interview ist hier zu lesen.