Malikah (photo: Tanya Traboulsi)

Hip-Hop ist nicht blosse Unterhaltung

Portrait
by Jonathan Fischer

Malikah ist eine der bedeutendsten Stimmen im arabischen Hip-Hop. Die libanesisch-französische Rapperin setzt sich ein für politische Freiheiten und weibliche Selbstbestimmung. Sie provoziert dabei das Establishment zwischen Beirut und Kairo.

«Malikah» heisst auf Arabisch Königin. Die Bilder in Malikahs Video «Heik Sayra Bledna» jedoch zeigen die zierliche junge Rapperin nicht als Königin, sondern als Vamp: in bauchnabelfreien Tops, mit hochhackigen Designerschuhen; oder auch amazonenhaft mit umgehängtem Maschinengewehr posierend. Diese feminin-provokative Selbstdarstellung hätte bei Lady Gaga, Madonna oder einem westlichen R'n'B-Star niemanden überrascht. Aber bei einer arabisch-muslimischen Rapperin? Die 25-jährige Malikah aus Beirut, so viel ist klar, bestimmt selbst, wie sie sich einer Umwelt präsentiert, in der es Frauen schwer haben, angehört zu werden. Lynn Fattouh alias Malikah ist allerdings eine der respektiertesten Stimmen der arabischen Hip-Hop-Szene. Keine andere Rapperin und nur wenige männliche Kollegen haben so viel Erfolg wie sie: weil sie die Wünsche der arabischen Jugend verkörpert und international gut vernetzt ist.

Hip-Hop als Sprachrohr

Jüngst hat sie das Berliner Haus der Kulturen zum Projekt «Translating Hip-Hop» eingeladen: eine Reihe von Workshops, in denen Rapper aus fünf Metropolen sich gegenseitig ihre Songtexte übersetzten und neue Interpretationen erarbeiteten. Nach Auftritten in Manila, Bogotá, Beirut und Nairobi hatte Malikah so die Möglichkeit, im November auch in Berlin aufzutreten. Im Zusammenspiel mit Nazizi aus Kenya und Diana Avella aus Kolumbien – die drei Rapperinnen sind als Trio Lyrical Roses auf Tournee – zeigte Malikah, dass Hip-Hop allen kommerziellen Auswüchsen zum Trotz immer noch als Sprachrohr derjenigen taugen kann, die sonst keine Stimme haben.

«Für mich», erzählt Malikah im Haus der Kulturen, «brachte die Übersetzungsarbeit eine wichtige Erkenntnis mit sich: Dass wir über alle Unterschiede hinaus eine gemeinsame Agenda haben. Wir rappen alle gegen autoritäre Strukturen. Gegen religiöse und politische Sektiererei. Und für mehr Selbstbestimmung.» Arabische Rapper hatten in letzter Zeit grossen Einfluss auf die politischen Proteste in ihren Ländern und machten so die politische Sprengkraft des Genres sichtbar – auch weil sie ihre Kritik oft an der Zensur vorbeischleusten. «Zwar gilt meine Heimat Libanon als relativ liberal», sagt Malikah. «Aber wenn du über Religion oder Regierungsgeschäfte rappen willst, solltest du deine Worte mit klugen Metaphern verschleiern. In dieser Hinsicht müssen wir uns mehr bemühen als unsere westlichen Kollegen.»

Dabei wirft bereits das forsche Bühnenauftreten der 25-jährigen Beiruterin, die schon als Support-Act von Snoop Dogg auf der Bühne stand und hauptberuflich für eine Werbeagentur in Dubai arbeitet, fast alle traditionellen Rollenvorstellungen ihrer Umwelt über den Haufen. So öffnet sie mit Hip-Hop eine Tür aus dem Gefängnis der Konventionen. Und sie stellt rappend jede Menge politisch heikle Fragen: Muss eine echte Revolution nicht auch die Rechte von Frauen und Minderheiten verteidigen? Darf man Menschen nach ihrer Religion beurteilen? Und sollte die Regierung sich nicht eher vor ihren Bürgern fürchten als umgekehrt?

Wer verstehen will, was die gebildete, säkulare Jugend Arabiens denkt, findet in Malikahs Texten Antworten. Allerdings rappt Malikah unterdessen auf Arabisch. Nur in ihren Anfangstagen, sagt die Queen of Arab Hip-Hop, habe sie auf Englisch gerappt. «Der Krieg von 2006, als die Israeli Beirut bombardierten, veranlasste mich, in meine Muttersprache zu wechseln. Ich wollte einen Song für mein Volk schreiben. Eine Hymne, die jeder verstehen konnte. Im Nachhinein war diese Entscheidung die beste Wahl, was meine Karriere und meine Identität als Repräsentantin des arabischen Hip-Hops betrifft. Ich fühle mich seitdem stolzer denn je, Araberin zu sein.»

Malikah (photo: Tanya Traboulsi)

Diese Haltung mag widersprüchlich erscheinen. Stolz sein auf die arabische Kultur und gleichzeitig eine westlich geprägte Liberalität und Selbstbestimmung gegen konservative Gralshüter in Stellung bringen. Solche Spannungen sind typisch für die arabische Hip-Hop-Szene: Einerseits muss man sich gegen religiös motivierte Vorwürfe wehren. Andererseits ist man stolz auf seine arabische Identität. So preist Malikah, die als Kind algerisch-libanesischer Eltern in Marseille geboren wurde und im Schatten des Bürgerkrieges in Beirut aufwuchs, einerseits die Hip-Hop-Ahnen aus Amerika als «unser aller gemeinsame Wurzel». Andrerseits versichert sie aber: «Wir kopieren niemanden. Vielmehr schöpfen wir als Araber aus unserer eigenen Sprache und Musik.»

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Bereits mit 16 Jahren hatte Malikah einen Hip-Hop-Wettbewerb gewonnen und ihren ersten Plattenvertrag unterzeichnet. 2002 eine selbst für Beiruter Verhältnisse unerhörte Geschichte. Denn Hip-Hop hatte nicht nur einen schlechten Ruf – die Macker-Szene schien den Eltern kaum das richtige Umfeld für ihre Tochter. Lynn Fattouh hatte sich allerdings längst von den Hip-Hop-Platten ihrer Brüder infizieren lassen. Ihre Rapper-Identität musste sich Malikah aus dem Nichts heraus schaffen: «Eine Frau, die nicht gerade religiöse Lieder vorträgt, also den Koran mit verhülltem Gesicht singt», sagt sie, «gilt in meiner Heimat schnell als moralisch zweifelhafte Person.» Sie habe sich als Frau deshalb doppelt anstrengen müssen, um respektiert zu werden. Heute handelt ein Grossteil ihrer Raps von weiblicher Selbstermächtigung. Und das auch, «weil die negativen Frauenbilder in der arabischen Pop-Musik uns das Leben schwermachen». Seien doch die importierten Images aus westlichen Videos auch in der arabischen Welt virulent: Frauen als tanzende, gefügige Groupies. Malikah dagegen verkörpert – erotisches Outfit hin oder her – die selbstbestimmte Macherin.

An Hass-Mails religiöser Fanatiker habe sie sich schon fast gewöhnt, sagt die Rapperin. In ihren Versen wettert sie gegen jede Form von Sektierertum: «Religion ist für mich Privatsache – sie sollte nicht den Ausschlag geben, ob du jemanden als Freund oder Feind anschaust.» Das Gegenmodell findet sie in der Hip-Hop-Szene. Hier spiele es keine Rolle, ob man Muslim oder Christ sei. Tatsächlich spüre sie heute auf ihren Tourneen – ob in Jordanien, Syrien, Marokko, Dubai oder Ägypten – den Geist der revolutionären arabischen Einheit. Auf ihrem neuen Album «Coronation» gibt sie sich entsprechend kämpferisch: Zu Beats, die arabische Kollegen wie Fredwreck (der amerikanische Produzent von Snoop Doggs Doggpound-Crew) produziert haben, erscheint sie nicht nur als Vamp und Party-Göre, sondern auch als Polit-Predigerin. «Arabischer Hip-Hop ist niemals blosse Unterhaltung», sagt Malikah. «Er bietet Jugendlichen oft die einzige Möglichkeit, ihre Meinung vorzubringen und eine freiere Zukunft einzufordern.»

«Hip Hop Don't Stop»

In den gegenwärtigen Zeiten politischer Umbrüche seien Live-Auftritte wichtiger als je zuvor. Vor kurzem, erzählt Malikah, sei sie in Kairo zusammen mit Lokalgrössen sowie Rappern aus Libyen, Jordanien und Palästina aufgetreten. Die Polizei wollte die Show verhindern: Sie blockierte den Eingang und verkündete, das Konzert sei abgesagt worden. «Die Mächtigen haben Angst vor uns: Weil wir die Menschen über ihre Rechte aufklären – und weil die Jugendlichen auf uns hören.» Am Ende aber fanden die Rapper einen neuen Auftrittsort – und alle Fans zogen mit. Was folgte, sagt Malikah, sei einer der aufregendsten Auftritte ihrer Karriere gewesen. «Hip hop don't stop, hip hop don't stop», habe das Publikum angesichts der Polizei skandiert. «Da habe ich gewusst, welche Kraft wir haben.»

Die Fotografin Tanya Traboulsi lebt und arbeitet in Beirut. Sie ist Mitherausgeberin des Buches Untitled Tracks : On Alternative Music in Beirut.

Biography

Jonathan Fischer ist Journalist, DJ und Maler aus München.

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Golden Beirut
Golden Beirut: New Sounds from Lebanon
€18.00
The first CD release by Norient and Outhere Records focuses on a young generation of musicians from Beirut that is tired of war, fed up with politics, sick of religious madness, and angry about Euro-American exoticism.

Published on April 29, 2012

Last updated on April 30, 2024

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