Angola tanzt den harten Hintern
Kuduro mit seinen harten Raps ist das beatlastige Dancefloor-Gewitter aus dem süd-westafrikanischen Angola. Szenestar Titica wurde als Mann geboren. Sie schert sich keinen Deut um die Reaktionen zwischen Toleranz und Transphobie und setzt zu einer internationalen Kuduro-Karriere an.
Titica rauscht in pinken 16-Zentimeter-High-Heels, Etui-Minirock und lachsfarbener Flatterbluse ins auf 17 Grad klimatisierte Sitzungszimmer ihrer Agentur LS Produções in der angolanischen Hauptstadt Luanda. Die glamouröse 25-Jährige singt und tanzt Kuduro. Sie ist frisch zurück von einer Tournee mit Auftritten in Brasilien, den USA und Mosambik. 2009 und 2010 wurde sie zur besten Kuduro-Tänzerin gekürt. Im Herbst 2011 wurde ihr von Radio Top Kuduro der Titel «Beste Kuduro-Künstlerin» verliehen. Titica ist in Angola allgegenwärtig – in TV, Radio und Presse. Neben ihrer Musikkarriere modelt sie. Mit ihrem Trademark-Schrei «Aaaaahhhh – Assume!» («Steh dazu!») sorgt sie neuerdings auch international für Furore.
Pop zwischen Kolonialismus, Sozialismus, Bürgerkrieg und Kapitalismus
Die Künstlerin lebt in einem Land, in dem die rund 500 Jahre portugiesischer Kolonialherrschaft noch immer in alle Bereiche hineinwirken. 1975 wird Angola unabhängig. Fast 30 Jahre Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Befreiungsbewegungen verwüsten grosse Teile Angolas und zwingen Millionen zur Migration ins Ausland oder in die Hauptstadt. Luanda wird zur Megacity mit ausufernden informellen Vierteln. 2002 ist endlich Frieden. Angolas Reichtum an Öl und Diamanten lockt internationale Förderfirmen ins Land und treibt den Bauboom voran. Während heute ein paar megareiche AngolanerInnen Firmen im krisengeschüttelten Portugal aufkaufen, hangeln sich Millionen unter prekärsten Bedingungen durch das postsozialistische System.
Ab 1961 etabliert sich in Luanda eine urbane, populäre Musikszene, die gleichzeitig international vernetzt und lokal verwurzelt ist. Angolanische Stile wie Semba und Kizomba festigen die Nationalidentität Angolanidade. Kongolesische Stile wie Soukous oder Ndombolo prägen in den 80er-Jahren die Musikkultur des Nachbarlandes Angola. Seit etwa 1990 legen die DJs in Luandas Innenstadtdiskotheken elektronische Tanzmusik von Chicago-House bis Eurodance auf. MCs beginnen über diese Instrumental-Tracks, die Batidas, zu rappen. Mit Tony Amados Stück «Amba kuduro» («Tanz den harten Hintern») manifestiert sich Kuduro 1996 als eigenständiges Genre mit hartem Beat um die 140 bpm, Gesang und Tanz.
Spannungsgeladene Wortduelle
Ende der 90er-Jahre verbreitet DJ Sebem die Musik schliesslich per Radiosendung über die ganze Stadt. Nach dem Ende des Bürgerkrieges 2002 wird Kuduro zum Massenphänomen mit Stars, Hits, umkämpftem Gründungsmythos und seit 2009 auch eigener TV-Show. Die weitere, grösstenteils informelle, Verbreitung funktionierte dann über unzählige kleine Studios, MP3-Compilations, Strassenhändler, Radiosendungen, Bluetoothübertragungen zwischen Mobiltelefonen und Blogs. Auch tänzerisch hat Kuduro viel zu bieten: Ähnlich wie im jamaikanischen Dancehall wird zu jedem Kuduro-Song ein gleichnamiger Tanz präsentiert. Kuduro-Sänger und Sängerinnen tanzen entweder selbst oder kommen mit mehreren Tänzern und Tänzerinnen auf die Bühne. Eine gewisse Loyalität dem eigenen Viertel gegenüber spiegelt sich in den Texten und spielerischen verbalen Duellen wider, die in Anlehnung an US-amerikanischen Hip-Hop Bife («Beef») genannt werden. Bifes lassen sich allerdings auch auf den angolanischen Karneval oder auf Estiga genannte Wortduelle zurückführen, die unter angolanischen Kindern üblich sind.
2012 ist es in Luanda rund um die Uhr laut. Junge Männer rufen die Ziele der blauweissen Minibustaxis aus, Strassenhändler übertönen den allgegenwärtigen Baulärm mit Megafonen. Ein Hinterhoffest übertrumpft das nächste mit übersteuerten Soundsystems, aus denen angolanische, kongolesische und südafrikanische Beats donnern. Kindergeschrei mischt sich in das Brummen der Generatoren, die die regelmässigen Stromausfälle für die betuchteren Bewohner und Bewohnerinnen Luandas überbrücken. Aufjaulende Motorräder können auf wundersame Weise die mit Geländewagen verstopften Strassen durchdringen. Ständiges Stop-and-Go, Drängeln, Schieben und den richtigen Moment Abpassen gehören zum Alltag. Sich durchboxen, trotz oder gerade wegen grosser Widerstände zu insistieren, lauter, schneller, härter zu agieren als das Gegenüber – für diese Überwindungsdialektik wird im Kuduro der Begriff Carga verwendet. Carga bedeutet auf Portugiesisch «Ladung», im elektrischen oder transporttechnischen Sinne, aber auch «schwere Aufgabe». Im Kuduro steht Carga für spannungsgeladene Performance in puncto Beats und verbalem Ausdruck, in Tanz, Körpersprache und Styling.
Von Teca Miguel Garcia zu Titica
In ihrem aktuellen Hit «Olha Boneco» («Schau mal, die Puppe») singt Titica: «Ich bin die schwerste Ladung, die Batterie, die auflädt.» Wer im Kuduro die krasseren Dance-Moves draufhat, noch buntere Hairstyles oder gewagtere Outfits trägt, noch härter rappt – der oder die gewinnt. Gewinnt zumindest für den Moment Distinktion und vielleicht über längere Zeit ein Standing und ein Einkommen. Titica wird als Junge mit dem Namen Teca Miguel Garcia in Luanda geboren. Schon mit 14 Jahren tanzt er sogenannten traditionellen afrikanischen Tanz. Über die kongolesische Familie bekommt Teca Nbombolo und andere kongolesische Styles mit, die immer noch in den Rhythmen und der Instrumentierung von Titicas Songs mitschwingen. Vor vier Jahren liess Teca sich in Rio de Janeiro Brustimplantate einsetzen und nahm öffentlich die weibliche Persona Titica an.
Mehrere Jahre tanzt Titica für Kuduro-KünstlerInnen wie Própria Lixa, Noite Dia oder Puto Português, schreibt Refrains für deren Stücke und träumt von einer eigenen Gesangskarriere. Dann singt Titica im Duett mit Tuga Agressiva das Stück «Afrike Moto». Als ihr Übergang von der Tänzerin zur Sängerin vollzogen ist, konzentriert sich Titica auf die Solokarriere. 2011 dröhnt ihr Hit «Chão» («Boden») mit der eingängigen Tanzanleitung «Boden, Boden, Boden, Boden – hoch, hoch, hoch, hoch» durch alle Sammeltaxis, Radiosender, Clubs und Hinterhofpartys Luandas. Ihre Beats werden von Starproduzent DJ Devictor gebaut. Titica lässt ihre Tracks im teuersten Studio der Stadt mastern. Auf ihrem im Oktober 2011 erschienenen Album experimentiert Titica auch mit anderen angolanischen Genres als Kuduro: «Ich will nicht berühmt werden, sondern Karriere machen. Deswegen mache ich jetzt auch Stücke im Stil von Tarraxinha, Kizomba oder Kilapanga.»
Angeknüpfte Dreadlocks und Pink-bunte Männermode
Im Video zu «Olha Boneco» ist Titica eine Braut, die sich mit ihren Girlfriends aufbrezelt und durch die Stadt cruist. «Schliess deinen Mann ein, Titica ist im Haus. Mach Schluss mit der Diskriminierung, vernetz dich mit der Globalisierung», singt sie. Ihr Song «Sida não» («Aids: Nein») ruft zu Safer Sex auf. Sonst geht es in ihren Texten ums Tanzen, Feiern und darum, wie begehrenswert sie selbst ist. Drag im Sinne einer hochgradig ausformulierten Inszenierung von Geschlecht ist in Angola auch dann üblich, wenn sich biologisches und soziales Geschlecht decken. Viele Frauen in Angola tragen Megapumps, knappe Garderoben und Glamour-Make-up so offensiv, dass europäische Dragqueens daneben wie Hausmütterchen dastehen. Kunsthaare und Perücken sind für Frauen in Luanda normal. Auch bei Männern sind angeknüpfte Dreadlocks keine Ausnahme.
Kuduro-Peformerinnen mit Namen wie Tuga Agressiva («Agressive Portugiesin»), Dama Rebenta («Berstende Dame»), Lily Fogosa («Feurige Lily») präsentieren mit selbstverständlichem Sexappeal ihren Body-Mass-Index über 27. Viele männliche Kuduristas zeigen sich in pink-buntem Styling, kleiden ihre knabenhaften Körper in Tchuna Baby genannte Shorts und frisieren die gefärbten Iros mit viel Hingabe. Auch bunter Schmuck, Glitzerdeko oder das Tragen von Röcken sind für Männer nicht ausgeschlossen.
In der angolanischen Popmusik existiert ein romantisches Fach, in dem Männer über ihre zärtlichen Gefühle singen. Die meisten Kuduro-Frauen geben sich auf der Bühne auch dominanter als die Hyper-Femme Titica. Neben ihr betreten mittlerweile auch andere Trans-Kuduristas wie Edy Sex die mediale Bühne. Flüchtig betrachtet liesse sich schlussfolgern, dass in der angolanischen Popmusik eine ganz besonders interessante Form der Body-und-Gender-Demokratie umgesetzt würde, die auch für den Rest der Gesellschaft gälte. Wenn allerdings im persönlichen Gespräch mit AngolanerInnen aller Schichten und Altersklassen die Rede auf Titica kommt, weisen die Kommentare in eine andere Richtung. Thema Nummer eins sind oft nicht ihre Tanz- und Gesangskünste, sondern die Bearbeitung sekundärer und primärer Geschlechtsmerkmale. Was ist mit ihrem Hintern, zwischen ihren Beinen, mit ihren Lippen, mit ihrem Gesichtshaar los?
Transsexualität als negativer Globalisierungs-Effekt
Angola ist ein sehr christliches Land. Laut Verfassung kann Homosexualität mit Arbeitslager bestraft werden. Gleichzeitig existiert eine kleine offene Homoszene in einigen Nightlife-Spots Luandas. Crossdressing ist gängige Praxis im jährlichen Karneval. Wer sich aufmerksam durch die Baixa, die Innenstadt Luandas, bewegt, kann Boys in Drag begegnen. Anfang Mai 2012 geistert die Nachricht durch die angolanische Klatschpresse, dass Titica beim diesjährigen Brasilienaufenthalt ihren Körper nun dem kompletten Sex-Change unterzogen hätte. Ein älterer Herr aus der Kulturelite kommentiert: «Die Eltern leiden. Kann sein, dass sie jetzt viel Geld verdient, aber die Eltern sind nicht glücklich. Titica hat sich schon immer wie eine Frau benommen, auch vor der Operation.»
Das ist die noch diplomatische Variante der Kritik, die Titica in Angola entgegenschlägt. Aus Kommentaren auf YouTube oder Facebook klingt entweder religiös argumentierende Transphobie oder extremes Fantum, das sich teils geschlechtsblind gibt, teils zu Toleranz aufruft. Zu behaupten, dass Titicas Erfolg ein Zeichen der Offenheit der angolanischen Gesellschaft in Bezug auf vielfältige Lebensentwürfe sei, wäre zu kurz gegriffen. Homosexualität oder Transsexualität gelten für viele als Importe aus Brasilien, als negativer Effekt der Globalisierung, schlicht als unafrikanisch.
«Ich bin eine Frau, ich bin nicht mehr transsexuell.»
Wie geht Titicas Medienpräsenz mit einem derartig ambivalenten bis genderkonservativen Umfeld zusammen? Neben performativer Superpower, unermüdlicher kreativer Arbeit und charmanten Networking-Skills gibt es da noch einen anderen Faktor. Titica geniesst den Support von Semba Comunicação. Die Agentur produziert Content für das Staats-TV TPA2, das die wöchentliche Kuduro-Show «Sempre a Subir» («Immer auf dem Weg nach oben» – da ist sie wieder, die Überwindungsdialektik) oder die tägliche angolanische Variante der David-Letterman-Show «Hora Quente» («Heisse Stunde») sendet. In beiden Shows wird Titica zuvorkommend empfangen. Semba Comunicação regelt nicht nur den Zugang zu bestimmten Medien. Über die Ablegerfirma Da Banda veranstalten sie auch Kuduro-Shows in Paris, Luanda und Berlin, um Angolas Image im Ausland aufzupolieren. Die nach dem angolanischen Nationalsound benannte Medienagentur gehört dem Präsidentensprössling Coréon Dú, seinerseits Musiker und Diskothekenbesitzer.
«Die Köpfe der Leute in Angola sind immer noch sehr verschlossen», kommentiert Titica die Situation im Land. «Ich geh’ da einfach drüber hinweg. Erst komme ich, dann ich, dann ich, dann ich und dann die andern. Ich denke gar nicht an diese Leute.» Ob sie mit ihrer Musik gegen Diskriminierung ankämpfen will? «Nein, nicht unbedingt. Diskriminierung existiert nur in den Köpfen der anderen. Wenn sie nicht über sich hinauswachsen, wachse ich. Ich sage mir immer: Ich bin eine Frau, ich bin nicht mehr transsexuell.»
Dieser Artikel erschien erstmalig im Missy Magazine 03/12 am 3. August 2012.
Biography
Published on August 08, 2013
Last updated on April 30, 2024
Topics
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