Die frische Kraft der alten Rhythmen
Bands wie ChocQuibTown, Bomba Estéreo oder La Makina del Caribe zelebrieren in ihrer Musik ihre afrokolumbianische Identität und entdecken einen neuen Sound zwischen Tradition und Gegenwart.
Der DJ im Club Këa dreht an den Reglern, dann erklingen die ersten Bassläufe von «De donde vengo yo». Augenblicke später ist die Tanzfläche voll. Der Hit von ChocQuibTown ist in Bogotás Zona Rosa, dem Vergnügungsviertel der kolumbianischen Hauptstadt, regelmässig zu hören. Die drei Rapper aus Chocó, einer Regenwaldregion im Nordwesten Kolumbiens, haben mit kritischen Texten und einem vollkommen neuen Sound auf sich aufmerksam gemacht. Überdies bekennen sich zu Chocó – einer in Kolumbien kaum sichtbaren Region.
Gesellschaftliche Themen
Anders als bei vielen anderen Musikern sind die gesellschaftlichen Verhältnisse Kolumbiens für ChocQuibTown durchaus ein Thema. Die Ausplünderung der natürlichen Ressourcen auf Kosten der Umwelt haben sie in dem Stück «Oro» genauso angeprangert wie die weitverbreitete Ignoranz gegenüber der extremen Armut. Das hat dazu geführt, dass die Band in den Armenvierteln von Quibdó, der Hauptstadt des Verwaltungsbezirks Chocó, sehr populär ist. Hunderte von Jugendlichen eifern auch in der Comuna 13 von Medellín, wo viele Flüchtlinge aus aus Chocó leben, ihren Idolen nach - indem sie eigene Rap-Songs schreiben und sich so mit ihren Wurzeln auseinandersetzen. Dabei entdecken sie afrokolumbianische Rhythmen wie Bunde, Currulao, Bambazú oder Aguabajo wieder und lassen sie in ihre Songs einfliessen.
Dieses Phänomen ist allerdings nicht nur an Kolumbiens Pazifikküste zu beobachten, sondern auch an der Karibikküste und in der Hauptstadt Bogotá. Wo es den Musikerinnen und Musikern früher wichtiger war, was in Miami oder New York passiert, orientieren sich heute viele Bands an den Rhythmen ihrer Väter und Grossväter. Das gilt etwa für La Mojarra Electrica, Bomba Estéreo oder Systema Solar, die bereits Erfolge in Europa feierten, genauso wie für La Makina del Caribe oder Papaya Republik. Das Gros der Bands aus dem neuen kolumbianischen Musikkosmos hat sich mittlerweile in Bogotá angesiedelt. Hier finden sich auch die wichtigsten Klubs und die wenigen alternativen Labels wie etwa Palenque Records von Lucas Silva. Der 39-jährige Produzent spürt seit mehr als fünfzehn Jahren agrokubanische Musik beiden Küsten des Landes auf. Mehr als vierzig verschiedene rhythmische Muster hat er entdeckt, darunter auch einige schwarze Cumbia-Versionen.
Das Genre Cumbia befindet sich nicht nur in Argentinien und Mexiko im Aufwind, sondern dank Bomba Estéreo auch in Kolumbien. Die Band hat sich um die Modernisierung der Cumbia verdient gemacht und sie mit Electro und etwas Rock zu treibendem Electro Tropical erweitert. Der Songwriter Simón Mejia und die Sängerin Lilian Saumet sind in Kolumbien bereits so erfolgreich, dass sie im März im Vorprogramm von Superstar Shakira zu sehen waren. «Wir sind Teil einer Welle von Bands, die unsere eigene Musikkultur neu interpretieren», sagt Simón Mejia. Er stammt aus Bogotá, während die Kollegin Saumet an der Karibikküste mit Champeta, Cumbia und Co aufgewachsen ist.
Gemischte Kulturen
Das ist nichts Ungewöhnliches, denn in vielen Bands mischen sich die regionalen Kulturen. Besonders deutlich wird das in der Musik von La Makina del Caribe, wo jedes der sieben Bandmitglieder aus einem anderen Landesteil kommt. «Dadurch klingt auch jedes Stück anders», erklärt Fabían Morales von La Makina del Caribe. Aus der musikalischen Vielfalt Kolumbiens schöpfen auch Bands wie Systema Solar oder Papaya Republik. Letztere hat eine Vorliebe für rockige Gitarren und funkige Beats und fusioniert diese Einflüsse mit den Rhythmen aus Bogotá.
Der Klub, in dem Konzerte mit bis zu siebenhundert Zuhörern stattfinden können, ist so etwas wie eine Kontaktbörse für DJ und Bands aus dem alternativen Spektrum. Hier legt auch Lucas Silva hin und wieder auf, und hier wurde manche Kooperation zwischen Bands, DJ und Labels lanciert. Und im «Boogaloop» wurde auch die derzeit beste Compilation aus dem kolumbianischen Sound-Kosmos vorgestellt: «Afritanga». Für die Idee zum Projekt zeichnet ein Berliner DJ verantwortlich, der sich in den letzten beiden Jahren in der Klubszene von Bogotá einen Namen gemacht hat. Das ist auch der zentrale Grund, weshalb Steen Thorsson alias Tio Chango keine Probleme hatte, selbst Grössen wie ChocQuibTown für seinen Sampler zu gewinnen.
CD-Tipps
Afritanga. Trikont Records/Musikvertrieb.
Bomba Estéreo. Estalla. Polen Records.
ChocQuibTown. Esto es lo que hay. World Connection.
Mojarra Electrica. Raza. MTM Ltda/Nuevos Medios.
Palenque Palenque. Champeta Criolla & Afro Roots in Colombia 1975–91. Palenque Records/Soundway.
Systema Solar. Systema Solar. Chusma Records/Alive.
Biography
Published on September 30, 2011
Last updated on April 30, 2024
Topic
From westernized hip hop in Bhutan to the instrumentalization of «lusofonia» by Portuguese cultural politics.