Najat Suleiman in Hassan Tahas Komposition «Into the Ocean» im Programm «Damit ich abreisen kann» bei der Biennale Bern 2012 (photo: Loulou d'Aki)

«In mir brodelt es die ganze Zeit»

Interview
by Theresa Beyer

Der syrische Komponist und Oud-Spieler Hassan Taha erzählt im Interview von seinem musikalischen Weg von Damaskus über Maastricht nach Bern, von der Notwendigkeit des globalen Denkens und den Sorgen um seine Heimat.

 Hassan Taha

[Theresa Beyer]: Hassan Taha, in Ihrer Musik beeinflussen sich östliche und westliche Eigenschaften – sofern man das überhaupt so sagen kann – gegenseitig. Wie sehen die Wechselwirkungen in Ihrer musikalischen Biografie aus?

[Hassan Taha]: Ich hatte als Jugendlicher zuerst Oud gelernt. Weder in Homs, noch in Damaskus gab es damals ein Konservatorium, also nahm ich Unterricht bei einem Freund der Familie. Er war Cellist und hat mir die Welt der westlichen klassischen Musik geöffnet. 1990 wurde dann in Damaskus eine Musikhochschule eröffnet. Damit verbunden war der Aufbau des Syrian Symphony Orchestra, wofür noch ein Hornist fehlte. Ich wollte zwar lieber Komponist werden, aber es gab für mich damals keine andere Möglichkeit Musik zu studieren. Es war also eher ein militärischer Befehl als ein freier Entscheid.

[TB]: Wie war die Situation damals in diesem regierungsnahen Orchester?

[HT]: Aussen war es ein prachtvolles Gebäude. Aber hinter der Fassade hatten die Wände Ohren. Ich wurde die ganze Zeit beobachtet, was mich gestresst hat. In dieser Zeit habe ich es verinnerlicht, meine Meinung nicht öffentlich zu äussern. In der Schweiz musste ich mich erst mal daran gewöhnen, dass man das hier darf.

[TB]: Selbst jetzt während des Bürgerkrieges spielt das Orchester regelmässig Konzerte. Haben Sie Kontakt zu Ihren ehemaligen Kollegen?

[HT]: Ja, es ist absurd, das Orchester spielt Konzerte während Krieg herrscht, es ist ein reines Propagandainstrument. Wenn ich mit meinen Kollegen von damals diskutiere, sage ich, dass sie mit ihrer Musik nicht die Weste des Regimes weiss waschen dürfen und ihre Karriere lieber im Ausland fortsetzen sollten. Aber ich habe den privilegierten Aussenblick und bin vielleicht manchmal etwas streng mit ihnen. Sie stehen unter Druck und kämen vielleicht ins Gefängnis, wenn sie sich weigern würden.

[TB]: Welche Bedeutung hatte es für Sie, vor zehn Jahren Syrien zu verlassen?

[HT]: Ich hätte ein Stück wie «Der Würfelspieler» nie komponiert, wenn ich als Oudspieler in Homs oder als Hornist beim Symphonieorchester geblieben wäre. Nach meinem Abschluss an der Musikhochschule in Damaskus studierte ich in Maastricht bei John Slangen. Da hörte ich zum ersten mal John Cage – das hat mich sehr inspiriert. Als ich dann in Damaskus unterrichtete, spielte ich meinen Studenten Cage vor – ein grosser Schock für sie. Ich träume davon, irgendwann an der Musikhochschule eine Sektion für Théâtre Musical einzurichten.

Wer bin ich denn euch zu sagen,
Was ich euch sage ?
Weder ein Stein war ich, den die Gewässer polierten
Zum Gesicht
Noch ein Rohr, das Winde durchbohrten
Zu einer Flöte.

(aus «der Würfelspieler» von Mahmoud Darwisch)

[TB]: Wie haben sich diese Perspektivwechsel auf Ihre Musik ausgewirkt?

[HT]: Ich lernte dadurch globaler zu denken. Als mein Mentor Xavier Dayer das erste mal mein Streichquartett No. 1 hörte, wusste er nicht, woher diese Musik kommen könnte – obwohl so viele orientalische Einflüsse enthalten sind. Das hat mir gezeigt, dass es mir gelungen ist aus der engen syrischen Identität auszubrechen.

[TB]: Trotzdem sind Sie ja in bestimmten Kontexten als syrische Stimme gefragt, wie am Berner Flüchtlingstag oder beim Ostermarsch dieses Jahr. Wird Ihre Musik dort mit einer politischen Message aufgeladen, die Ihnen gar nicht entspricht?

[HT]: Das ist schwer zu sagen, denn bei diesen Anlässen bin ich fern von meinen Kompositionen, da spiele ich vor allem Oud – im Duo mit meiner Frau, der Sängerin Najat Suleiman. Ich bin dann ein Künstler aus Syrien, der traditionelle Musik spielt und eine bestimmte Atmosphäre schafft. Das ist an und für sich nicht politisch.

«Damit ich abreisen kann» bei der Biennale Bern 2012 (photo: Loulou d'Aki)

[TB]: Viele Ihrer Kompositionen sind hingegen explizit politisch. In «Into the Ocean» für Stimme, Viola, Bassklarinette und Satur kritisieren Sie Konsum und Kapitalismus. Nach der Uraufführung des Stück an der letzten Biennale Bern hatte ich mich gefragt, inwiefern es darin um die spezifische Situation in Syrien geht. Wie klar ist der Bezug?

[HT]: In diesem Stück geht es nicht um Syrien. Ich möchte keine Betroffenheitskunst machen. In Syrien wird viel Blut vergossen, aber die ganze Welt ist in den Konflikt involviert. Ich kritisiere in diesem Stück die globalen Machtverhältnisse – und dass der Kapitalismus immer mehr dabei ist unser Leben zu zerstören. Um das zu pointieren, greife ich auf Texte von George Orwell und Humberto Ak'abal aus Guatemala zurück.

[TB]: Das globale Denken äussert sich auch in ihrem Kompositionsstil. Sie beziehen Mittel des Théâtre Musical ein und Sprache ist sehr präsentes Element. Sind das Prägungen aus Ihrer Studienzeit?

[HT]: Ja sicher, dort wurde ich bestärkt so zu komponieren. Aber ich habe schon früher Musik für Theaterproduktionen geschrieben, es war mir also nicht fremd die Bühne mitzudenken. Wenn ich heute komponiere, sehe ich im Kopf sofort die Bewegungen der Musiker – das macht die Sache nicht unbedingt leichter. Und ich stehe immer noch vor grundlegenden Fragen: Wie soll ich das Szenische notieren? Wir könnten dieses Gespräch, hier auf dem Sofa, nie 1:1 wiederholen. Auch was Sprache betrifft bin ich auf der Suche. Bestimmte arabische Konsonanten können zum Beispiel nicht in sehr hohen Lagen gesungen werden. Ich möchte mit arabischen Buchstaben zeitgenössisch komponieren und die Aufmerksamkeit mehr auf den Sound der Wörter lenken als auf ihre Bedeutung.

[TB]: Ihre Musik ist voller schneller Wechsel, sie ist kämpferisch und lebt von Zerrissenheit. Jetzt nehme ich Sie als einen ruhigen, zurückhaltenden Menschen wahr, der sehr in sich selbst zu ruhen scheint.

[HT]: Ich mag nach aussen vielleicht Ruhe ausstrahlen, aber in mir drin brodelt es die ganze Zeit. Vielleicht kehre ich diese innere Unruhe durch meine Musik nach aussen.

[TB]: Was beschäftigt sie denn derzeit am meisten?

[HT]: Dass ich hier in Bern kein normales Leben führen kann, wenn ich an das ganze Leid in Syrien denke. Ich bin beunruhigt wenn ich sehe, welche Richtung die Syrische Revolution eingeschlagen hat. Die Menschen gingen vor zwei Jahren auf die Strasse um gegen das tyrannische Regime zu protestieren, um einen demokratischen, gerechteren Staat aufzubauen. Jetzt ist das alles überlagert von religiösem Fundamentalismus. Manchmal fühle ich mich schuldig, weil ich nichts tue für die Menschen dort. Andererseits bin ich ein Künstler und helfe indirekt mit meinen Kompositionen. Das heisst, dass ich mich umso mehr dem Komponieren widmen muss.


Hassan Taha wurde 1968 in Homs/Syrien geboren. Bevor er ins Higher Institute of Music in Damaskus eintrat, studierte er traditionelle arabische Musik. Seit dieser Zeit komponiert er Stücke für Laute, die sogenannte Oud. 1998 schloss er sein Musikstudium ab und spezialisierte sich für das Horn und die Oud. 2003 studierte er am Konservatorium in Maastricht Komposition. Seine Werke wurden in Syrien, dem Libanon, in Tunesien, Deutschland und der Schweiz aufgeführt. Er komponierte Bühnenmusiken für Aufführungen des syrischen Nationaltheaters, unter anderem für Trunkene Tage von Saadallah Wannous oder für Ein Volksfeind von Henrik Ibsen. Im Januar 2008 wurde eine Auswahl seiner Werke an der Oper in Damaskus aufgeführt. 2009 wurde sein Stück Kadmus und Europa von einer Gruppe syrischer und europäischer Musiker aus Anlass der 30jährigen Zusammenarbeit zwischen Syrien und der Europäischen Union aufgeführt.

Auf Einladung der Kulturstiftung Pro Helvetia war er 2010 für drei Monate Gaststipendiat in der Schweiz. Sein Stück «Der Würfelspieler» wurde 2011 im Gare du Nord in Basel uraufgeführt. Mit den Komponisten Vinko Globokar und Helmut Oehring arbeitete er im Rahmen von Workshops zusammen. Zur Zeit lebt er in Bern (Schweiz), wo er 2012 einen Master für Komposition an der Hochschule der Künste in Bern erhielt (Betreuung: Xavier Dayer und Christian Henking). Seine neueste Komposition into the ocean wurde 2012 bei der Biennale in Bern und bei OGGIMUSICA in Lugano uraufgeführt.

Dieser Artikel ist entstanden für die Zeitung der Hochschule der Künste Bern September 2013. Hier geht es zur ganzen Ausgabe.

Biography

Theresa Beyer gehört seit 2011 als Editorin, Kuratorin und Mitherausgeberin des Buches «Seismographic Sounds – Visions of a New World» zum Kernteam von Norient und beschäftigt sich mit Themen wie Queeren Musikkulturen, experimenteller Musik in Städten wie Belgrad oder Neu Delhi, und reflektiert in Vorträgen über die Chancen des multilokalen Kuratierens. Neben ihrer Norient-Identität ist sie Musikredaktorin bei Radio SRF 2 Kultur. Follow her on LinkedIn.

Published on September 20, 2013

Last updated on April 09, 2024

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