Global Player zwischen Portugal und Angola
Kudoro heisst der Tanz- und Musikstil aus Angola, den Buraka Som Sistema auf Europas Dancefloors heimisch gemacht hat. In London liegt das DJ-Kollektiv aus Portugal genauso im Trend wie in Rom oder Berlin. Mit dem Album Komba im Gepäck will es nun auch Lateinamerika seine Aufwartung machen.
Die Konzerte in den europäischen Metropolen, bei denen das neue Album Komba vorgestellt wurde, seien phantastisch gewesen, sagt João Barbosa. Doch nun freut er sich zusammen mit seinem DJ-Kumpel Rui Pité auf die nächste Herausforderung: «Die Resonanz auf unsere Songs war in Lateinamerika sehr enthusiastisch», ergänzt Rui Pité. Deshalb wollen die vier DJ des derzeit erfolgreichsten portugiesischen DJ-Kollektivs demnächst durch Lateinamerika reisen – von Brasilien über Kolumbien nach Mexiko.
Wie sich das auf die Musik auswirken könnte, lässt sich im Ansatz bereits auf Komba heraushören, unter den zahlreichen Gastmusikern finden sich nämlich etwa auch die Kolumbianer von Bomba Estéreo. Mit ihrem Electro Tropical, einer treibenden Mischung aus Cumbia, Rock und Electro, hat die Band auch ausserhalb Kolumbiens Erfolge feiern können. Und die Zusammenarbeit im Enchufada-Studio in Lissabon, dem Hauptquartier von Buraka Som Sistema, soll sehr entspannt gewesen sein. Da ist in naher Zukunft eine Fort setzung der Zusammenarbeit zu erwarten – genauso wie auch im Falle von Stephan Doitschinoff, einem in São Paulo ansässigen Street-Art-Künstler. Dieser hat sich in seinen Bildern mit religiösen Aspekten der brasilianischen Kultur auseinandergesetzt, was den DJ aus Lissabon gut gefallen hat. Die Bühnendekoration oder ein Cover könnte alsbald brasilianisch sein – «das passt einfach gut zu Komba», sagt Rui Pité.
Kuduro
Das Album Komba thematisiert ein religiöses Ritual – den angolanischen Totenkult. Sieben Tage nach dem Hinschied eines Menschen organisieren Freunde und Verwandte eine Feier. Dabei werden die Lieblingsspeisen und -getränke des Toten serviert, ebenso wird zu seiner Lieblingsmusik getanzt. Dieses Ritual hat Buraka Som Sistema – unter den DJ findet sich mit Andro Carvalho auch ein gebürtiger Angolaner – in Angola selber kennengelernt. Ohnehin ist die Formation aus Lissabon gefesselt von der angolanischen Kultur – insbesondere auch von Kuduro, dem trendigen angolanischen Dance-Style: einer Mischung aus traditionellen Klängen, Techno und House.
Die DJ von Buraka Som Sistema sind mitverantwortlich, dass Kuduro in Lissabon seit Jahren sehr gefragt ist. 2006 erschienen sie auf der Dancefloor-Bildfläche und organisierten im Lissabonner Klub Mercado Partys. «Vier, fünf Monate lief das grossartig, dann wurde der Klub geschlossen», so erinnert sich João Barbosa. Just in dieser Zeit aber formierten sich die vier Freunde, die eine Vorliebe für coole Samples und harte Beats haben, zu einer festen Gruppe, die mit Kuduro zahlreiche Anhänger fand. Zum Erfolg trug von Beginn an bei, dass man von vornherein auch afrikanische DJ aus Lissabon und deren Vorstadt Amadora einlud – zum Beispiel DJ Znobia.
João Barbosa und Rui Pité selbst sind in Amadora aufgewachsen. Die Stadt ist durch die Emigration geprägt, hier leben viele Zuwanderer aus Angola, den Kapverden und Moçambique. João und Rui fingen hier schon in der Schulzeit an, gemeinsam Musik zu machen; sie spielten in einer Band. Doch das lästige Proben ging den beiden mit der Zeit auf den Wecker. Schliesslich investierten sie in einen Sampler und einen Computer, um nun die ersten Loops, die ersten harten Beats und Dance-Tracks zu produzieren. Und da die beiden nun schon einmal etwas zu bieten hatten, gingen sie mit den ersten Kreationen in der Nachbarschaft hausieren. So lernten sie Kalaf Angelo und Andro Carvalho alias DJ Conductor kennen – und mit ihnen auch den Kuduro, der aus Luanda nach Portugal geschwappt war. Die Klubabende im «Mercado» wurden prägend für das DJ-Quartett, das erste Tracks als EP auf dem eigenen Label Enchufada veröffentlichte. Dank einer grossen Präsenz auf den Internet-Portalen Youtube und MySpace löste die Musik bereits viel Aufsehen in der internationalen DJ-Szene aus. Für den Durchbruch sorgten indes die ersten Konzerte in Londons Kultklub Fabric Ende 2007. 2008 erschien dann «Black Diamond», das erste komplette Album. Die Single-Auskopplung «Sound of Kuduro» stand ganz im Zeichen von Luandas DJ-Ikonen Puto Prata und Sabrosa, und die Videos zum Album wurden auch in Luanda, London und Lissabon gedreht. Kuduro (was übersetzt so viel heisst wie «harter Arsch») war auf Europas Dancefloors angekommen.
Den Erfolg unterstrich 2008 ein MTV Music Award für die beste portugiesische Band sowie die wachsende internationale Nachfrage. Buraka Som Sistema war 2008 und 2009 fast durchgehend auf Tour und kam erst 2010 dazu, sich mit neuen Stücken zu beschäftigen. Nun sammelte das Quartett Loops, Melodien und Beats und bastelte an neuen Songs, die sich in das inhaltliche Gesamtkonzept von Komba einfügten. Das Album zeigt, dass die Band gewachsen ist, die Erfahrungen aus unzähligen Live-Gigs hat die Musik beeinflusst – der Sänger Blaya, der zur Live-Besetzung zählt, greift gleich zweimal zum Mikrofon und ist nun sozusagen die Nummer fünf des Buraka-Projekts.
Ein offenes Projekt
Wie schon beim Debüt sind auf Komba auch wieder zahlreiche Gäste zu hören. Buraka Som Sistema funktioniert eben nicht als nach aussen abgeschlossene Band, sondern als offenes Projekt mit einer Kerngruppe und wechselnden DJ, Sängern und Produzenten. Solche Gäste sorgen auf Komba für neue Facetten. Im Allgemeinen wird der harte afrikanische Kuduro, mit dem Buraka Som Sistema den Dancefloor eroberte, unterdessen etwas gedämpft, er schwingt nun subtiler. Das schafft neue Möglichkeiten für Stimmen wie jene der portugiesischen Sängerin Sara Tavares. Aber auch die Reise nach Lateinamerika wird Buraka Som Sistema – unterdessen wird das Kollektiv in einem Atemzug mit Elektro-DJ-Koryphäen wie Justice oder Digitalism genannt – weiterbringen. Es heisst, die vier DJ hätten unterdessen die Samba für sich entdeckt.
Biography
Published on February 03, 2012
Last updated on April 30, 2024
Topics
From breakdance in Baghdad, the rebel dance pantsula in South Africa to the role of intoxications in club music: Dance can be a form a self-expression or self-loosing.
Does the global appropriation of kuduro exploit or reshape the identity of Angolans? How are «local» music genres like guayla sustained outside of Eritrea?