Exotische und Archaische Alpenkultur
Das Internationale Musikfestival «Alpentöne» hat sich als ideale Plattform für einen kreativen Umgang mit der Musik aus dem Alpenraum erwiesen und evoziert auf überraschende Weise Heimatliches ohne hinterwäldlerischen Beigeschmack.
Schauplatz Telldenkmal, Sinnbild für Altdorf und neu nun auch für das Festival «Alpentöne»: Sechzehn österreichische Blasmusiker, ein Schlagzeuger und ein schwarzer Hüne blasen und trommeln unserem Nationalhelden den Marsch, intonieren Pipi Langstrumpf, zitieren Altbewährtes aus österreichischem Volksgut oder variieren mit modernen Stilmitteln. Reisecars zerschneiden die von den Zuschauern gebildete Traube, der Verkehr reist als unendlicher Bandwurm durch die Schmiedgasse. Die Mnozil Brass Band und Wolfgang Puschnig mit den Mostviertler Birnbeitler proben spontan an Urschweizer Stätte. Ein paar Flaschen Bier, ebenso viele Juchzer und viel schräges Blech stellen eines klar: Alpentöne bereiten Freude und sind exotischer als die «Weltmusik», die immer öfter den Weg über den Ladentisch findet.
Einheimische Exilmusiker
Das Internationale Musikfestival «Alpentöne» sorgt als eines der letzten hiesigen Musikfestivals für Überraschungen und präsentiert waghalsige musikalische Experimente. Hauptziel und Reiz vieler Konzerte ist nicht das wohlklingende oder formvollendete Endresultat, sondern der Versuch, unterschiedliche Einflüsse oder Stile miteinander zu koordinieren. Die meisten Gruppen agieren mit herausragendem musikalischem Können, sprühendem Spielwitz und waghalsigem Draufgängertum; viele Konzerte greifen Erwartungshaltungen vor und profitieren von einem grotesken Exotikeffekt - das Ferne ist uns doch tatsächlich näher als das Nahe! Altbewährte Zutaten werden in verblüffender Art und Weise zusammengeschustert, Volksmusik wagt sich in Richtung Kunstmusik, die Musizierfreude von Volksmusikern verbindet sich mit der Experimentierfähigkeit urbaner Künstler. Fazit: Alpenmusiker sind einheimische Exilmusiker, Musiker, die verlorene kulturelle Wurzeln erkunden und in verblüffenden Ausformungen neu darstellen. Jodel mündet in Obertongesang, Alphörner lehnen sich mit afroamerikanischen Pattern und röhrenden Ausdrucksformen gegen einheimische Konventionen auf, Blech strahlt in formvollendeter Harmonie oder widerlicher Disharmonie - und bayrische sowie österreichische und natürlich auch schweizerische Dialekte bereiten Freude.
«Moderne Alpenmusiker» suchen das Asymmetrische, Archaische und Schräge und setzen sich weit von einer Touristenfolklore oder der volkstümlichen Schlagerwelt ab - Alphorn Fa (Ton zwischen F und Fis) oder der traditionelle Juuz (Urform des Jodels) werden nicht ausgeblendet, sondern bewusst kultiviert. Überraschendes bieten beispielsweise die beiden Klangtüftler Carlo Rizzo und Anton Bruhin. Während der Italiener seinen technisch veränderten Rahmentrommeln unglaubliche Klänge und Rhythmen entlockt, zelebriert der in Handwerkstracht auftretende Schweizer Trümpi-Spieler Anton Bruhin die hohe Kunst der traditionellen und elektronischen Maultrommel. Klangexperimente mit Alphorn, Büchel, Knopfinstrumenten und anderen Hilfsmitteln sind die Trümpfe des Duos Stimmhorn. Christian Zehnder und Balthasar Streiff verdichten in einem szenischen Schauspiel verschiedenste Stilelemente zu einer eigenen neuen Musik. Das Handorgelduett Jonny Gisler/Franz Schmidig, die Schweizer Formation Pareglish und die brasilianischen Gruppe Alegre Corrêa zeigen, was sich alles aus einem Ländlerthema machen lässt. Traditionelle Kompositionen werden von Gisler und Schmidig auf eine aufregende Weltreise geschickt, mit Synthesizer und Elektrobass bearbeitet und am Ende in beschwingter brasilianischer Saudade dargeboten.
Zentral: Puschnig & Co.
Zentrale Gruppe des Festivals ist die Blaskapelle um Wolfgang Puschnig. In den besten Momenten erinnern die elf Musiker bezüglich Klangfarben und technischer Präzision an die Zusammenarbeit von Miles Davis mit dem Gil Evans Orchester, in schwachen Momenten drängt sich Puschnig zu sehr in den Vordergrund und verblassen die Blasmusikanten mit zu schüchternem Spiel.
Puschnig ist denn auch sichtlich begeistert vom Festival: «Altdorf ist der ideale Ort für ein solches Festival. Die Leute sind unglaublich begeisterungsfähig», erklärt er in einem Gespräch. Auch Programmleiter Mathias Rüegg zeigt sich zufrieden, auch wenn der Publikumsaufmarsch noch besser hätte sein können: «Wir werden höchstwahrscheinlich ein zweites Festival veranstalten, in welcher Art und Weise auch immer. Ich könnte mir einen dreijährigen Turnus mit Literatur, Film und Musik, aber auch eine Ausweitung des Themas auf den Mittelmeerraum vorstellen. Spannend wäre auch ein gemeinsames Projekt der Zillertaler Schürzenjäger mit Wolfgang Puschnig.»
Bleibt zu hoffen, dass auch im nächsten Jahr Überraschendes und Unvollendetes den Reiz des Festivals ausmachen wird und die Musik - wie in diesem sehr erfolgreichen Jahr - wiederum den Volkston trifft. Denn eines evozieren die Alpentöne auf verblüffende Art und Weise: frohes Heimatgefühl ohne hinterwäldlerischen Beigeschmack!
Biography
Published on August 09, 1999
Last updated on May 01, 2024
Topics
From Self-Orientalism in Arab music to the sheer exploitation of Brazilian funk music by acclaimed artists: how exotica examine aesthetics playing with the other and cultural misunderstandings.
Music and art that dealing with the unfinished and undefined.
From westernized hip hop in Bhutan to the instrumentalization of «lusofonia» by Portuguese cultural politics.