Wie sich Geld vertonen lässt

In seinem Werk thematisiert der Deutsche Komponist der Neuen Musik Johannes Kreidler immer wieder das Thema Geld. Im Norient-Podcast und im Interview erläutert er dessen Auswirkungen auf die Konzepte seiner Musik und sagt, inwiefern Kultursubventionen ein Problem darstellen. Ein Podcast aus der Norient-Ausstellung Seismographic Sounds, produziert von Olaf Karnik und Jörg Follert.

Das Interview zum Podcast

[Olaf Karnik]: Bekannt geworden sind Sie mit spektakulären Aktionen und Werken wie der GEMA-Aktion oder der «Charts Music» auf YouTube. Worum ging es Ihnen dabei, und was haben solche Aktionen und Werke mit Geld zu tun?

[Johannes Kreidler]: Ich finde Geld ein sehr geeignetes Thema für die Kunst. Als Künstler will ich sensible Kunst machen, und es gibt wohl kaum etwas Sensibleres als Geld. Wenn es um Geld geht, ist in der Musik das Urheberrecht Dreh- und Angelpunkt. In einer meiner Aktionen ging es darum, wie man in digitalen Zeiten einen Ausgleich zwischen Vergütung und Verbreitung der Musik finden kann. So habe ich ein 33 Sekunden langes Musikstück mit 70’200 Fremdzitaten bei der GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) angemeldet, mit 70’200 Formularen. Und auf dem Höhepunkt der Finanzkrise habe ich Aktienkurse in Melodien umgewandelt und diese in eine Kinderkompositionssoftware eingespielt. Dabei entstand ein Widerspruch zwischen den wegen des ökonomischen Desasters immer abwärts verlaufenden Melodien und dem «happy sound» der Software. Ein andermal habe ich einen Kompositionsauftrag bekommen, den ich an Komponisten in Indien und China weitergeleitet habe. Die haben das Stück für mich für einen Bruchteil dessen komponiert, was ich selber als Honorar für den Auftrag bekommen habe. Oder ich habe die Gehälter des Vorsitzenden der Deutschen Bank und eines durchschnittlichen indischen Arbeiters vertont. Bei einem Ton pro Euro ergibt das beim Arbeiter eine Miniatur von 20 Tönchen, während es beim Deutschen Banker 1.3 Millionen Töne sind.

[OK]: Die Neue Musik ist ja Bestandteil der Bundesdeutschen Subventionskultur. Ist das ein Problem?

[JK]: Das ist insofern ein Problem, als dass diese Beiträge bei der Empfängerin oder dem Empfänger einen gewissen Legitimationsdruck erzeugen. Man muss zeigen, dass es einen Sinn hat, was man da macht. Es wird ein gesellschaftlicher Nutzen erwartet, ein pädagogischer Wert, ein Wert für Aufklärung und Demokratie. Eigentlich sollten Künstlerinnen und Künstler aber frei sein und die Tatsache, dass man nicht unter einem direkten wirtschaftlichen Konkurrenzdruck steht, sollte der Kunst selbst zugute kommen.

[OK]: Ihr stark konzeptkünstlerisch geprägtes Verständnis von Musik verträgt sich eigentlich viel besser mit Popmusik als mit der Neuen Musik, wenn ich da zum Beispiel an Punk oder die britische Band The KLF denke. Welche Herausforderungen und Hürden bestehen für jemanden wie Johannes Kreidler im Kontext der Neuen Musik?

[JK]: Meine Werke stossen teilweise auf Unverständnis. Eben habe ich zum Beispiel ein Orchesterstück komponiert, welches auf dem «Boléro» von Maurice Ravel beruht. Ich habe für dieses Stück keine einzige Note geschrieben. Im Gegenteil: Ich habe in der Partitur alle Melodien ausradiert. Das Orchester hat sich dann erst geweigert, das Stück zu spielen, da es kein Kunstwerk sei. Dass Konzepte in der Musik oft nicht begünstigt werden, hat sicherlich auch mit der Tatsache zu tun, dass Musik eine Zeitkunst ist. Das heisst, die Zuschauerin und der Zuschauer können nicht frei durch eine Ausstellung gehen wie bei der bildenden Kunst, sondern sitzen in einer Aufführung gefangen. In diesem Bereich tut sich aber gerade sehr viel. Die Digitalisierung ermöglicht neue Formen der Publikation und der Kontextualisierung. Im Ausstellungsbereich etwa werden diese Grenzen aufgebrochen, und man findet Formate, wie man so etwas wie Musik oder Klang ausstellen kann.

[OK]: Neben meist multi-medialen Kompositionen zählen Aktionen und Theoriebildung zu Ihren Tätigkeiten. Sehen Sie das als Erweiterung oder Ergänzung Ihrer Kompositionstätigkeit in Richtung eines Gesamtkunstwerks?

[JK]: Ich würde den Ausdruck Gesamtkunstwerk nicht verwenden. Aber mein Wunsch ist, Kunst und Leben aufeinander zuzuführen. Ganz konkret bedeutet das, dass ich die Hälfte des Tages erst einmal damit beschäftigt bin, alle mögliche Bürokratie wie Krankenkasse, Versicherungen und Steuern hinter mich zu bringen. Wenn ich mich danach ans Notenblatt oder an den Computer setze, kann ich all das nicht einfach ausblenden. Das muss irgendwie miteinander zu tun haben. Natürlich nicht immer, man kann auch abstrakt Musik machen. Sagen wir mal zu fünfzig Prozent will ich aber Kunst machen, die erkennbar etwas mit dem Leben darum herum zu tun hat.

[OK]: Sie haben mal gesagt, dass viele Komponisten an der falschen Stelle komponierten. Was wäre die richtige Stelle, an der Sie dann komponierten?

[JK]: Die Welt ist extrem voll von Musik. Durch die Digitalisierung wird das noch augenscheinlicher. Wenn ich am Computer eine Schallwelle programmiere, wird mir gleichzeitig bewusst, dass ich ebenda schon hunderte Gigabytes an Schallwellen und im Netz praktisch die gesamte Musikgeschichte habe. Ist es dann wirklich noch nötig und kreativ, dem noch eine weitere Schallwelle hinzuzufügen? Ist es nicht wesentlich kreativer oder sogar ethischer, dieses schon vorhandene gigantische Material zu verwenden und vielmehr zu versuchen, dem noch etwas oben drauf zu setzen? Nur von unten etwas nachzuschieben, sehe ich als relativ schwierig an. Auf anderen Ebenen kommen mir deutlich mehr Ideen, mit denen ich arbeiten kann.

[OK]: Das geht dann in die Richtung dessen, was Sie auch einmal gesagt haben: Sample und Remix sind die Instrumente des 21. Jahrhunderts, Werke sollten Collagen sein.

[JK]: Sozusagen. Eigentlich ist alles im Leben Collage: heutige Lebensphilosophien, das Wahlverhalten, Patchworkfamilien. Meine Steuererklärung ist auch eine Collage aus unzähligen Schnipseln. In der Musik fängt das mit Sampling und Collage an und geht bis dahin, dass ich Daten der Finanzkrise in Töne verwandle.

[OK]: Worin bestünde die Aufgabe der Neuen Musik im 21. Jahrhundert? Und was tragen Sie dazu bei?

[JK]: Die Frage ist eher, worüber man sich in der Neuen Musik überhaupt noch streiten kann. Es kann doch heutzutage jeder und jede machen, was er oder sie will, anything goes, Postmoderne! Der Spass hört aber da auf, wo es um Geld geht. Diese Kunstform kostet nun mal Geld, und es kann zwar jeder machen, was er will, aber es hat nicht jeder Geld, das zu realisieren, was er oder sie möchte. Geld ist also die letzte harte Währung, mit der man sich ästhetisch noch streiten kann. Worin aber die Aufgabe der Neuen Musik besteht? Ich kann und will nicht für die Allgemeinheit sprechen. Wenn es aber ein Paradigma gibt, das ich für gültig halte, dann ist es das folgende: Eine Künstlerin oder ein Künstler soll etwas Neues schaffen. Es heisst auch völlig zu Recht «Neue» Musik. Wenn also irgendetwas Geld und Aufwand wert ist, dann, weil es irgendwie die Welt erweitert, irgendwo dem Denken ein kleines Stück einer neuen Perspektive gibt. Das muss nicht gleich die Weltrevolution sein, das kann auch nur eine winzige Differenz sein, die in der Welt angebracht wird.

Dieser Text wurde aufgezeichnet von Olaf Karnik am 9.3.2015 via Skype, editiert von Hannes Liechti (Norient) und zuerst publiziert im zweiten Norient Buch «Seismographic Sounds».

Biography

Olaf Karnik arbeitet vorwiegend als Autor und Kritiker (unter anderem für WDR 3, Neue Zürcher Zeitung, Spex). Er hat Bücher und Buchbeiträge veröffentlicht und ist als Dozent an verschiedenen Hochschulen tätig. Follow him on his Website.

Biography

Jörg Follert (geb. 1968) arbeitet als Komponist und Produzent in den Bereichen Theater, Film, Fernsehen, Radio und Web. Seit 1997 veröffentlicht er unter verschiedenen Namen (Motel, Wunder, Wechsel Garland,17 pictures) mehrere Alben. Sein neues Projekt heisst Séance der Steine und ist eine Kooperation mit Lydia Schmidt (440Hz Trio) aus Berlin.

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Seismographic Sounds
Seismographic Sounds: Visions of a New World
€50.00
The second Norient book «Seismographic Sounds: Visions of a New World» introduces you to a contemporary world of distinct music and music videos. Written by 250 scholars, journalists, bloggers and musicians from 50 countries.

Published on June 30, 2017

Last updated on August 11, 2020

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