Der afghanische Rubab-Spieler Khaled Arman (*1965) lebt seit 30 Jahren in Genf. Nach 25 Jahren ist erst zum ersten Mal in seine Heimatstadt Kabul zurückgekehrt. Eine norientalische Wiederbegegnung.
Im Café des Berner Kulturzentrums Progr schlägt Khaled Arman zum ersten Mal das grüne Programmbuch des Musikfestivals auf: «Ich bin ja auf der ersten Seite, das ist grossartig!» Gleich fügt er an, dass sich diese Freude weniger auf seine Person beziehe als vielmehr darauf, was er als Artist in Residence bewirken will: «Seit langem assoziiert man mit Afghanistan nur Krieg. Es motiviert mich, über die Musik die Vielfalt meines Landes zu vermitteln und meinem Heimatland zu einem besseren Image zu verhelfen.» In Afghanistan sind unterschiedliche ethnischen Gruppen beheimatet und es treffen indische, persische und zentralasiatische Musikkulturen aufeinander. Arman findet diese Mischung spannend: «Zum Glück respektiert Musik keine geografischen Grenzen.»
Die meditativen Rhythmen, die virtuosen Ornamente und mitreissenden Improvisationen von Armans Musik machen diese Einflüsse hörbar. Seine Kompositionen für das Ensemble Kaboul – in dem auch Vater Hossein, Schwester Mashal und Cousin Osman spielen – basieren aber ebenfalls auf afghanischer Popularmusik, die in den 50ern und 60ern für Radio Kabul geschrieben wurde.
Tradition und Experiment
Khaleds Vater Hossein Arman war getreu der Familientradition Gesanglehrer und hatte einen verantwortungsvollen Job in der Kulturabteilung von Radio Kabul. Mit dem Abzug der Sowjets 1989 wurden die Konservatorien geschlossen und Musiker systematisch unterdrückt. Hossein ging ins Exil nach Genf, wo er das inzwischen mit dem BBC World Music Award gekrönte Ensemble Kaboul gründete und sich dem Weiterleben afghanischer Musik verschrieb. Die meist traditionellen Texte machen die ferne Heimat immer wieder präsent, wie im ergreifenden Lied «Kaboul»:
Kabul, ich bewundere dich,
ich weine vor lauter Liebe für dich.
Bis zum Abend meines Todes
werde ich deinen Kummer tragen.
Afghanistan, mein Land, mein liebstes,
die Erde meiner Geburt, mein Herz leidet für dich.
Das Eigene in der Fremde
Hossein Armans Sohn Khaled ist schon Jahre vor seiner Familie nach Europa gekommen: 1981 verliess er Kabul, um in Prag klassische Musik zu studieren. Der erfolgreiche Gitarrist brauchte aber noch Zeit, bis er zum afghanischen Nationalinstrument Rubab griff und den Klängen seiner Jugend eine neue Form gab: «In der Verbindung von Tradition und Experiment kann ich tiefste Gefühle ausdrücken. Für das Finden meiner Musik war es wichtig, in Europa noch eine zweite musikalische Sprache zu lernen. So konnte ich über den Tellerrand blicken und mich selbst in Frage stellen.»
Heute schreibt Arman an einem Methodikbuch für die Rubab und spielt zwei eigens für ihn gebaute Instrumente. Von der Streich-Rubab träumte er seit 20 Jahren: «Um auf der Rubab nordindische Ragas spielen zu können braucht es eine Klangästhetik, welche der menschlichen Stimme besonders nahe kommt. In Indien wurde dafür die Sarod entwickelt. Um aber auch mit der Rubab singen zu können, habe ich ein Instrument so anpassen lassen, dass es auch mit dem Bogen gespielt werden kann.» Die gezupte Rubab bleibt sein Steckenpferd, doch auch hier hat er einen Instrumentenbauer eingreifen lassen. Mit längerem Hals und aufgestockten Bunden konnte er den Tonumfang des mit Ziegenfell umspannten Instruments aus Maulbeerholz erweitern, so dass er nun auch Bachkantaten spielen kann. Unlängst haben seine Landsleute nicht schlecht gestaunt, als er bei seiner Afghanistanreise ein Ständchen gab. Leidenschaftlich beschreibt er diesen Moment, doch dann wird er nachdenklich. Es war der erste Besuch seiner Heimat nach 25 Jahren.
Ein anderes Kabul
Zurück in Kabul erkannte Arman, wie viel sich dort verändert hat: Drei Millionen Menschen auf engstem Raum, einerseits 60 Fernsehkanäle und 120 Radiosender, andererseits unübersehbare Armut – und viele Fragezeichen hinter der musikalischen Zukunft des Landes. Nachdem die Familie Arman nach Europa floh, wurde die Lage für Musiker in Afghanistan noch drastischer. Das Taliban-Regime verurteilte Musik als dämonisch und verbannte sie bis auf eine bestimmte Art des unbegleiteten religiösen Gesanges aus dem Alltag – eine ganze Generation ist so ohne Musik aufgewachsen.
Die Führungsnationen der Wiederaufbauteams versuchen das Loch nun zu schliessen, zum Beispiel mit der Gründung des vom Goethe-Institut und der World Bank subventionierten Afghan National Institute for Music. Auf den Fotos der Homepage sind Kinder mit Trompete, Violine und Gitarre zu sehen, Rubab und Tabla tauchen seltener auf. Khaled Arman, der sich vor 10 Jahren aus der Ferne am Aufbau des ANIM beteiligte, steht der Ausrichtung der Musikschule kritisch gegenüber: «Es wird viel westliche klassische Musik unterrichtet, sie scheint die Hauptreferenz zu sein. Ich bin nicht prinzipiell dagegen und halte es durchaus für eine Bereicherung, aber erste Priorität sollte traditionelle afghanische Musik haben. Auch sie kann bestens für die musikalische Bildung von Kindern und Jugendlichen aufbereitet werden und sollte nicht verdrängt werden.» Khaled Arman ist es wichtig, diese Vorgänge nicht schön zu reden und stets zu hinterfragen. Dabei scheut er sich nicht, die aktuelle Situation in Afghanistan als Kolonialismus zu bezeichnen: «Der Prozess der Übernahme des westlichen Systems ging sehr schnell und jetzt ist das Land orientierungslos. Ich mache mir wirklich Sorgen, wie es weiter geht.»
Khaled Arman beim Musikfestival-Workshop zu indischer und persischer Musik
09.09.2011 im Musikwissenschaftlichen Institut Bern