Der spanische Film Hit Me With Music bietet vielseitige Einblicke in das jamaikanische Musikgenre Dancehall. Einer der Dancehall-Pioniere in Bern ist der DJ und Musikproduzent Wildlife!
Wegen seiner teilweise homophoben und Gewalt verherrlichenden Texte wird Dancehall oft stigmatisiert. Dabei geht vergessen, wie wichtig diese Musikströmung für die Popmusikgeschichte ist. Einerseits ist Dancehall die Weiterentwicklung der traditionellen jamaikanischen Musikstile Rocksteady, Ska und Reggae. Anderseits ist der Stil ein wichtiger Vorläufer des Hip Hop. Einige bezeichnen Dancehall sogar als «die Mutter des Hip Hop».
Benannt wurde Dancehall nach den Tanzhallen, die Ende der Vierzigerjahre in der jamaikanischen Hauptstadt Kingston populär wurden. In diesen Tanzhallen boten sogenannte Soundsystems Tanzfeste für die Unterschicht an. Auch in Bern begannen Mitte der Neunziger Jahre ein paar Enthusiasten sogenannte «Bashements» zu organisieren. Darunter Wildlife! mit seinem Soundsystem Goldrush International. Er kaufte sich nicht nur unzählige Platten, sondern beschäftigte sich auch mit der Geschichte des Stils: «Am Anfang legten DJs Platten auf und animierten das Publikum übers Mikrofon. Später begannen sie zu rappen», erzählt er: «Single-Schallplatten hatten damals auf der B-Seite eine Dub-Version, eine Bass betonte Instrumentalversion des Originaltracks. Die DJs sangen darüber ihre Texte. Die populärsten dieser Interpretationen wurden dann wiederum aufgenommen und veröffentlicht und avancierten so zu neuen Hits.»
Dancehall ist eine Kultur der Armen und der Ärmsten – das wird im Film Hit me with Music deutlich. Die Welt ausserhalb ihrer Quartiere kennen diese Menschen oft gar nicht. Wildlife! sieht gerade im Lokalen den Grund, warum Dancehall – im Unterschied zu Reggae – der Welt lange verborgen blieb: «Die Tracks waren ursprünglich thematisch sehr lokal. Der Wortwitz ist sehr subtil. Man muss der jamaikanischen Sprache sehr gut mächtig sein, um daran Spass zu haben.»
Inzwischen findet bei Backpackern aus Nordamerika und Europa ein reger Dancehall-Tourismus nach Jamaika statt. In den Hotels der jamaikanischen Ferien-Resorts hingegen ist der Begriff den meisten Touristen unbekannt. Das zeigt eine, mit Augenzwinkern gedrehte, Interview-Sequenz im Film sehr deutlich.
Hit me with Music zeigt aber auch die düsteren Seiten des Genres: etwa die Gang-Gewalt oder das Phänomen «Bleaching», bei dem sich amaikanerinnen mit giftiger Kosmetik «ausbleichen» und weisser machen. Auch die sexualisierte Kultur mit ihren Widersprüchen und Tabus wird thematisiert. Andererseits sehen wir auch die kulturelle Vielfalt im Dancehall, zum Beispiel die Tanzkultur, die es erst seit wenigen Jahren gibt.
Dass Dancehall heute genau so dynamisch wie in den Anfängen vor über dreissig Jahren ist, fasziniert auch Wildlife!: «Pro Woche werden mehrere hundert Tracks herausgegeben. Wenn ich mir eine Produktion von 2005 anhöre, denke ich, das ist ein anderes Zeitalter! Die Musik ist ständig in Bewegung. Die Digitalisierung der Technologie hat zwar dazu geführt, dass sie für alle erschwinglich wurde. Ein ‹Kollateralschaden› der Demokratisierung der Produktionsmittel ist jedoch der Untergang der professionellen Studios. Die alteingesessenen Produzenten sind von 18- bis 20-jährigen Kids ersetzt worden, die mit ‹gecrackten› Programmen an ihren Laptops Beats produzieren. Dieser Umschwung ist hörbar. In den Achtzigerjahren wurde das Land für seine Soundästhetik, seine Mixes und Masterings von der ganzen Welt beneidet. Das ist leider verloren gegangen.»