photo: David Shankbone/Wikipedia

«This Tent Kills Fascists»

Essay
by Barbara Mürdter

«This tent kills fascists» stand bei Occupy Oakland Ende 2011 auf einem Zelt geschrieben, das als Symbol der Bewegung durch die Strassen getragen wurde. Dieser Slogan ist eine Reminiszenz an einen Vorkämpfer: an den politischen Protestsänger Woody Guthrie, der Anfang der 1940er auf seine Gitarre geschrieben hatte: «This machine kills fascists». Aber warum bringt die US-amerikanische Jugendkultur heute keine neuen Woody Guthries hervor? Bis in die 1970er gab es einen Soundtrack zu sozialen Bewegungen – wo ist der Soundtrack von Occupy? Aus dem Norient-Buch Out of the Absurdity of Life (hier bestellbar).

Als die Occupy-Bewegung im vergangenen Jahr entstand, wurden in den USA Erinnerungen wach. Allerdings nicht an die letzte grosse linksorientierte Bewegung, die hunderttausende US-Amerikanerinnen und Amerikaner auf die Strasse brachte, die Anti-Nuklear-Bewegung der 1970er und 80er. Man fühlte sich vor allem an die 1960er erinnert, an die Anti-Vietnamproteste, an die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner. Tom Morello – Gitarrist der linksradikalen Rockband Rage Against the Machine und solo als Folkprotestsänger unter dem Namen The Nightwatchman unterwegs – begründete diese Assoziation damit, dass es damals mehr um eine reale Bedrohung des eigenen Lebens ging: junge Männer sollten in den Krieg ziehen, andere kämpften um ihr Recht, als gleichwertige Staatsbürger anerkannt zu werden. Heute steht eine ganze Generation gut ausgebildeter junger Menschen vor einer chancenlosen Zukunft.

Der radikale Zeitgeist der 30er und 40er Jahre in den USA

Tom Morello gab auf diversen Occupy-Demos ein Stelldichein und betätigte sich auch als politischer Kommentator. Mehr noch als auf die 60er referiert er dabei auf eine Zeit, die aufgrund der ökonomischen Lage der jetzigen noch ähnlicher war, aber im kollektiven Gedächtnis der US-Amerikaner verdrängt ist: die 1930er und frühen 40er Jahre, die Zeit der «Great Depression», der US-amerikanischen Ausformung der Weltwirtschaftskrise. Die weltweite Rezession, die Ende 2007 begann, ist die seither schwerste und wird deshalb auch die «Great Recession» genannt. Anfang der 30er waren bis zu 25% der US-Amerikaner arbeitslos. Der neu gewählte, bis heute symbolisch für eine soziale Politik stehende Präsident Franklin D. Roosevelt konnte die ökonomische und soziale Katastrophe nur mit einem radikalen, umfassenden Programm – dem New Deal – lindern, welcher die US-amerikanische Gesellschaft entscheidend veränderte. Roosevelt führte u.a. gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine recht effektive verschärfte Bankenkontrolle ein (Emergency Banking Act), organisierte ein gewaltiges staatliches Arbeitsbeschaffungsprojekt (WPA), das auch Künstler/innen und Intellektuelle förderte, und führte ein landesweites staatliches Sozialversicherungssystem ein, was es bis dahin nur rudimentär auf Ebene der Bundesstaaten gegeben hatte.

Mit dem so genannten «Wagner Act» (National Labor Relations Act) von 1935, der die freie Wahl der gewerkschaftlichen Vertretung garantierte, ermöglichte die Roosevelt-Regierung die Herausbildung des radikalen Industriegewerkschafts-Dachverbands CIO (Congress of Industrial Organizations), der bald äusserst populär wurde und mächtige Streiks organisierte, die das ganze Land erschütterten. An vorderster Front waren die Kommunisten, die in grösseren Bevölkerungsteilen mehr Sympathien genossen als man heute glauben mag. Angesichts des sozialen Elends der Depression und vor Bekanntwerden der stalinistischen Verbrechen schien ihnen die Idee des Sozialismus, der gerade in der Sowjetunion entstanden war, eine ganz taugliche Alternative.

An diesen radikalen Zeitgeist von damals, der den kämpferischen Willen zur wirklichen sozialen und ökonomischen Veränderungen in sich trug, versuchte Morello anzuknüpfen, als er von Occupy-Camp zu Occupy-Camp zog und den Besetzern Songs auf der akustischen Gitarre vorspielte. Besonders einer war immer wieder zu hören: «This Land Is Your Land», ein Song, den alle aus der Schule kennen und der von der Linken bis zur Tea Party gern gesungen wird – eine alternative US-amerikanische Nationalhymne. Morello klärte seinen jungen Zuhörerinnen und Zuhörern aber über die politische Bedeutung des Songs – den er als «Zeitbombe des radikalen Protests» bezeichnete –auf und stiess politische Diskussionen an: «Als ich es [das Lied] zum ersten Mal in der 3. Klasse lernte, war mir nicht klar, was für eine revolutionäre Klassenkampfhymne es war, weil sie alle Strophen herauszensiert hatten, die das zeigen würden.»

One bright sunny morning in the shadow of the steeple
By the Relief Office I saw my people –
As they stood hungry, I stood there wondering if
This land was made for you and me.
[…]
Was a high wall there that tried to stop me
A sign was painted said: Private Property,
But on the back side it didn’t say nothing –
This land is your land, this land is my land
This land was made for you and me.

In diesen Zeilen, die nicht in den Schulbüchern stehen, geht es um Menschen, die im reichsten Land der Welt in Suppenküchen anstehen müssen. Es greift sogar die Grundfesten der US-Gesellschaft an, indem es Privateigentum in Frage stellt. Keck stellt der Protagonist fest, dass die leere Rückseite eines Schildes, das ein Grundstück als Privatbesitz ausweist, doch eigentlich bedeute, dass der Rest des Landes dem ganzen Volk gehöre. Genauso ist auch der Refrain gemeint: «Dieses Land ist mein Land, dieses Land ist dein Land – dieses Land gehört uns allen.»

Woody Guthrie, Bob Dylan und der politische Folk

«This Land Is Your Land» hatte der Musiker Woody Guthrie im Februar 1940 in einem billigen, kalten New Yorker Hotelzimmer geschrieben. Erst zwei Jahre zuvor waren dem damals 27-jährigen die Augen aufgegangen über das soziale Elend und die politische Ungerechtigkeit in seinem Land. Er war zu einem radikalen Protestsänger geworden, der sich als Stimme des einfachen Menschen sah: er sang für die Kommunistische Partei und die Gewerkschaften, über die Leiden des Volkes in der Wirtschaftskrise und über das Versagen der Politik und den Kampf für eine bessere Welt. Er wandte sich gegen ausbeuterische Bosse, verräterische Streikbrecher und klagte auch Rassismus an in einer Zeit, als dieser noch relativ unhinterfragt von der weissen Bevölkerungsmehrheit zum «normalen» Alltag gehörte. Ebenso stritt er für die Gleichberechtigung von Frauen.

Guthrie war zu seinen aktiven Zeiten bis Ende der 40er nur in kleinen Kreisen populär, wurde jedoch in den 50er Jahren zur Ikone der aufkeimenden Folkbewegung in New York. Nachdem sich die schlimmsten Zeiten des Antikommunismus unter Senator McCarthy und CIA-Chef J. Edgar Hoover dem Ende zuneigten, kamen die Folkies Anfang der 60er auch mit sozialkritischen und politischen Songs an die Oberfläche. Ihr grösster Star, Bob Dylan, berief sich zum Anfang seines Schaffens fast ausschliesslich auf Guthrie, sang gegen Atombomben, Kriegstreiber und unterstützte gemeinsam mit Joan Baez die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung, die zur grössten sozialen Bewegung der Zeit geworden war. Doch noch bevor er zum Entsetzen seiner puristischen Fans 1965 eine elektrische Gitarre auf die Bühne brachte, hatte er sich von der Sozialkritik verabschiedet. Andere übernahmen diese Aufgabe, besonders afroamerikanische Musiker wie die Last Poets, Gil Scott Heron oder später die politischen Rapper – mit anderen musikalischen Mitteln. Schon zuvor hatte der Soul die Gospelmusik als Soundtrack der Revolution abgelöst, der selten mit explizit politischen Texten, sondern vor allem mit neuen Ästhetiken arbeitete, die afroamerikanisches Selbstbewusstsein demonstrierten. Geklampft wurde immer weniger, und immer seltener mit direkter kritischer Aussage.

Dass sich jetzt die Occupy-Bewegung so merkwürdig schwer tat mit einem eigenen Soundtrack, ist eigentlich nur Symptom eines schon länger bekannten Dilemmas: Immer wieder wurde in den letzten Jahren ein neuer Sound zum Protest gesucht. Zur Debatte standen genauso Klampfensängerinnen und -sänger wie wortloser Techno. Und nichts hat richtig funktioniert. Die Songs der wenigen populären politischen Bands wie System of a Down oder Rage Against the Machine eignen sich nicht zum Singen auf Protestmärschen, weshalb sich Morello auch wieder auf die Klampfe besann. Aber obwohl Guthrie und seine Zeitgenossen auf den Occupy-Demos eine kleine Renaissance erlebten – zumal am 14. Juli 2012 Guthries 100. Geburtstag anstand – blieben ihre Songs kaum weniger als eine Fussnote: Zumeist ältere Musiker und Musikerinnen, ausserhalb der Popkultur positioniert, waren es, die sie wieder aus der Mottenkiste holten. Die iPod-Generation blieb aber merkwürdig stumm. Denn der klassische Protestsong ist ihnen fremd, ein Relikt einer anderen Zeit – sowohl in der Darbietungsform zur Klampfe, als auch in seiner direkten politischen Aussage oder sozialkritischen Anklage.

Direkte Aussagen: unschuldig und banal?

Und hier stellt sich dann auch die ästhetische Frage: Heute werden Botschaften und Geschichten über alle möglichen Medien vermittelt – früher war man es gewohnt, den Geschichten der Musikerinnen und Musiker zu lauschen. Man saugte sie begierig auf wie heute ein Filmchen auf YouTube. Im Rocksong und in der elektronischen Musik arbeitet man meist nur noch – wenn überhaupt – mit assoziativen oder verkürzten Texten, selten mit einer offenen gesellschaftspolitischen Message. Zudem hat sich nach all den unschuldigen Kämpfen für ein besseres Leben im vergangenen Jahrhundert in den 1980er Jahren ein Zynismus eingeschlichen. Das gute, gerechte Leben für alle war doch nicht so schnell gekommen, wie man sich noch bis in die 70er hinein erhofft hatte. So klingt heute jede direkte Botschaft ein wenig naiv. Der britische Sänger Billy Bragg stellte bei seiner Beschäftigung mit dem Werk Woody Guthries fest, dass dessen Arbeiten jeder Zynismus fehlt, der heute auch politisch Engagierten als völlig normal erscheint – zumindest im Popkultur-Kosmos. Verlorene Unschuld lässt sich bekanntlich nicht zurückholen.

Hinzu kommt die Angst jener Musikerinnen und Musiker, die von ihrem künstlerischen Schaffen leben wollen, dass sie sich über politische Songs zu sehr festlegen und ihre Verkaufschancen einschränken. Selbst ein Superstar wie Bruce Springsteen hat sich erst spät, mit dem zweiten Irakkrieg, zu seinen politischen Neigungen bekannt, indem er Barack Obamas Wahlkampf unterstütze und mit Pete Seeger arbeitete – einem bekennenden Kommunisten und Weggefährten von Woody Guthrie. Springsteen hatte sich für das Konzert zur Amtseinführung von Obama Anfang 2009 von Seeger sogar überzeugen lassen, die Textzeilen aus «This Land is Your Land» zu singen, die das Privateigentum in Frage stellen – darauf hatte er zuvor verzichtet, möglicherweise, um seinen Wunschpräsidenten nicht in Schwierigkeiten zu bringen. In diesem Jahr erklärte er das Lied in einer Keynote-Rede zur Musikmesse SXSW zu dem vielleicht eingehendsten Song der US-Geschichte, das alle politischen Lager, alle Klassen, alle Ethnien und Glaubensansichten einige. Er spielte dazu kommentarlos ein paar Zeilen an: die fehlenden zu «Private Property».

Gegen politische Radikalität und Klassenkampf

Gegen die politische Aufmüpfigkeit der 30er und 40er, welche die USA fast in die Richtung Sozialismus brachte, gingen die Mächtigen auch schon vor Beginn des finstersten McCarthyismus rigoros vor. Als nach dem Krieg die mächtigen Arbeiterproteste wieder aufflammten (mit den politischen Sängern und Sängerinnen an vorderster Front), wurde 1947 der bis heute gültige Taft-Hartley-Act verabschiedet. Durch diesen Zusatz zu dem von Roosevelt 1935 eingeführten Gesetz wurden die Gewerkschaften von Kommunisten und anderen Radikalen «gesäubert». Sogar der dezidiert antikommunistische Präsident Truman sah darin eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Aber nicht nur der Antikommunismus, der innerhalb der USA bis in die frühen 60er zu massenhaften Quasi-Berufsverboten führte, veränderten den Zeitgeist. Mit dem Ende des 2. Weltkriegs, vor allem aber mit der Atombombe, hielt der Nihilismus in der Jugendkultur Einzug. Hipster und Beats lebten in den Tag hinein und kämpften nicht mehr für eine bessere Zukunft, die jeden Tag durch einen dritten, finalen Weltkrieg ausgelöscht werden konnte. Zudem fiel die Masse des Volkes als Träger einer Bewegung weg, denn im Gegensatz zur Depressionszeit ging es ihnen jetzt gut – Konsum und sozialer Aufstieg waren angesagt, Sozialismus nur eine Bedrohung des neuen Wohlstandes.

Das Thema Klassenkampf war vom Tisch. Im Kampf gegen Rassismus, Atomkraft und imperialistische Stellvertreterkriege, für Feminismus und Umweltschutz ist das System nie wieder als solches in Frage gestellt worden. Sozialismus und Kommunismus sind als zutiefst unamerikanisch im kollektiven Gedächtnis verankert, wodurch eigene sozialistische, anarchistische und kommunistische Traditionen verdrängt werden. Ein kleines Comeback erlebte das Thema Klassenkampf nun mit Occupy. Durch die Hintertür: Man stellte die 99% des Volkes gegen die 1%, die unverhältnismässig viel Besitz und Macht haben. Noch immer wehrt sich aber die breite Masse gegen den zutiefst verpönten Begriff «class war».

DIY als politischer Widerstand

Kritische Musiker und Musikerinnen besinnen sich mehr denn je auf Do It Yourself, sie nutzen die neuen technischen Möglichkeiten, schliessen sich im besten Fall in kleinen Communitys zusammen und arbeiten unter dem Radar. Manchmal einigt man sich auf politische Anliegen – so schlossen sich unter dem Namen «Sound Strike» auch bekanntere Bands und Musiker zusammen, die gegen die aus ihrer Sicht rassistischen neuen Einwanderungsgesetze in Arizona wandten. Möglicherweise war dies die grösste musikalische Protestaktion seit den «No Nukes»-Konzerten der späten 1970er, doch mit diesen im Umfang und Erhalt an medialer Aufmerksamkeit nicht im Geringsten vergleichbar. Es ist sicher kein Zufall, dass ausgerechnet in Portland, derzeit ein Mekka der DIY-Musik, ein Musiker als «Woody Guthrie der Occupy-Bewegung» ausgemacht wurde. Genauso wenig wie es Zufall ist, dass ihn keiner kennt: David Rovics. Der artikulierte linke Folksänger und Songschreiber, der von Amy Goodman als «musikalische Version von Democracy Now!» bezeichnet wurde, verfasste mit «Sing for Your Supper» einen DIY-Guide zur Selbstvermarktung als Musikerin oder Musiker. Aber anders als die meisten seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter ist er nicht nur explizit politisch und gibt seine Musik neben dem Verkauf kostenlos zum Download frei, sondern fordert die Leute auch direkt auf, seine Songs auf den Demos zu singen.

Er und vielen anderen Mitgliedern der DIY-Szene wollen gar nicht im Sinne des kapitalistischen Starsystems berühmt zu werden. Wie zu Woody Guthries Zeiten geht es ihnen um die Sache selbst und um ein glückliches Leben mit Gleichgesinnten jenseits des derzeitigen Systems, gepaart mit dem Wunsch nach einer menschlicheren Gesellschaft. Leute wie Rovics sind es auch, die von den Medien kaum bis gar nicht bemerkt in den Occupy-Camps und auf anderen Veranstaltungen immer wieder mit ihren Songs auftauchen, in ihren eigenen Kreisen spielen, eingeladen werden und immer neue Menschen anregen. Der Haken daran ist, dass dies immer eine Nischenbewegung bleiben wird, die zwar eine Alternative zum Mainstream anbietet und wichtige Fragen stellt, aber ohne Massenbasis wohl kaum den Kampf gegen den militärisch-industriellen Komplex und dessen medialer, ökonomischer und politischer Macht aufnehmen kann.

Dieser Text wurde zuerst publiziert im ersten Norient Buch «Out of the Absurdity of Life».

Biography

Barbara Mürdter, soziologin und anglistin, beschäftigt sich seit längerem intensiv mit verschiedenen Aspekten der US-amerikanischen Kultur im 20. Jahrhundert. Als freie Journalistin schreibt sie vor allem zu Musikthemen, gestaltet Radiosendungen und betreibt die Website Popkontex.de.

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Published on December 04, 2014

Last updated on April 30, 2024

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