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In Bayern wird randaliert: Bayerischer Mundart-Rap in dei G'sicht!

Academic Text
by Julian Warner

«Aber der Neger, darf rein?» Ausgehend von diesem Gerhard Polt-Sample aus einem Song von BBou und Liquid analysiert der Kulturwissenschaftler Julian Warner den Gebrauch der stereotypen Begriffe «Neger» und «Kanacke» im bayerischen Mundart-Rap. Er zeigt auf, inwieweit sich die Akteure dabei hegemonialen Diskursen um Sprache, Repräsentation und Rassismus widersetzen.

Auszug aus meinem Feldtagebuch, Abend des 17. Mai 2013, Konzert von Bbou und Liquid im Hansa 39/Feierwerk in München:

«... Die Halle ist voll: 500 zahlende Gäste, berichtet mir Ivi. Die Tour verkauft sich wahnsinnig gut. Die Menge ist überwiegend Anfang 20. Hier und da erspäht man einige Hiphop-Heads um die 30 mit ihren Kapuzen. Ansonsten ist der Style Jeans und T-Shirt, baggy getragene Stoffhosen und kariertes Hemd und ganz viele Lederhosen mit FlipFlops, Lederhosen mit T-Shirt, mit Karo-Hemd, mit Sneaker, aber auch mit traditionellen Schuhen. Einige Mädels sind im Dirndl, aber im Verhältnis viel mehr Jungs in Lederhosn. (...) Die beiden Stars (!) betreten die Bühne und die Menge flippt aus, (…) Ein satter Bass schlägt durch den Raum. Viel Interaktion mit dem Publikum: Zicke zacke Zicke zacke, Heu, Heu, Heu, Prost ihr Säcke, Prost Du Sack und diverse andere Trink-Rituale werden mit dem Publikum ausgespielt.

Meine distanzierte Beschreibung transportiert meine Befremdung. Die Nummern sind überwiegend Brecher! Der Hammer! Ich nicke meinen Kopf und feier ihren Flow, ihren Double-Time und den Wortwitz, den ich verstehe. Es wird ein Spiel vorgeschlagen: Immer wenn einer der beiden ‹GAUDI!› brüllt muss das Publikum ausflippen. (…) Es folgen Dubstep-Beats mit Jodel-Sample, Zeilen vom Bbou wie ‹I bin da bairische 2Pac, komm in Dei Kuhkaff und mach Dei Crew platt› oder ‹I bin a Rudeboy›. Liquid rappt ‹I bin geborn im Freestaat›. Am Rande der Bühne erspäht Bbou eine Rauferei. Er gibt ein Signal und die Musik stoppt. Er redet auf die Leute ein. Er sei nun 26 Jahre alt und habe schon zu viele blöde Prügeleien mit Besoffenen gehabt. Das braucht kein Mensch. Als die nicht aufhören wollen, fragt Bbou den Rest des Publikums, ob irgendjemand diese Raufereien brauche. Es gibt ablehnendes Raunen. Die Gemeinten sind eingeschüchtert und weiter geht es.

Zwischen zwei Liedern hat irgendwer irgendwas gesagt. Ich glaube es war eine rassistische Bemerkung. Bbou und Liquid gehen kurz drauf ein... ich verstehe nicht, was sie sagen, aber dann bekomme ich nur mit, wie Liquid die Geschichte mit folgendem Witz entschärfen will: ‹Was haben der grüne Punkt und ein Chinese (sprich KINESE) gemein? … Den gelben Sack.›

Mir dreht sich der Magen um. Einige Tracks weiter... es ist wieder Pause. Es werden ständig ‹A Hoalbe› aufgemacht und kräftig angestossen. ‹Das wirft ma nich weg. Das trinkt man›, sagt Bbou. Es folgt Gröhlen. (…) Und dann kommt der Track ‹Mach doch Deinen Polt› (RMX). Ein Track, in Anlehnung an Kool Savas ‹Mach doch deinen Scheiß›, gespickt mit Gerhard Polt, statt Klaus Kinski Samples. Und die Hook ist immer wieder Polts ‹ABER DER NEGER, DARF REIN?›. Das Stück ist ein ulkiger/lustiger ‹Represent›-Track. Voll auf die zwölf. Aber wenn das ganze Publikum die Negerzeile mitgröhlt wird mir mulmig. Im Publikum hatte ich ein paar Schwarze, einen Inder oder Pakistani gesehen. Ich frage mich, was die wohl gerade denken. Alle kennen den Track. Auch, wenn Bbous Nummern ‹Danzbodngeschichdn› und ‹In Bayern wird randaliert› (was sich immer auf den entsprechenden Ort – ‹In München wird randaliert›, etc. – anpassen lässt) die Leute noch mehr zum Ausflippen bringt.

Letzteres ist dann auch das Finale. Es gibt keine Zugaben. Die beiden verschwinden von der Bühne und DJ-Sticky legt Rap der 2000er Jahre auf... dazu Chris Brown, etc. Viele Gäste gehen, viele eilen zu den Merch-Ständen, einige Wenige bleiben auf der Tanzfläche und feiern den Hiphop-Sound. War das eine Hiphop-Veranstaltung? Ich bin mir unsicher. Ewig sitzen Bbou und Liquid am Merch-Stand. Die Fans wollen Fotos mit den Beiden machen, sich ihre T-Shirts, frischgekauften Bandshirts und nackten Oberkörper signieren lassen»

Der obige Auszug aus meinem Feldtagebuch zeigt in eindringlicher Weise meine ersten Eindrücke von dem Hype um die beiden oberpfälzischen Mundart-Rapper Bbou und Liquid. Ich empfand Befremden und Unverständnis über diesen Mashup von Oktoberfest-Ritualen, Popstartum und Rapkonzert. Der affirmative Gebrauch des Wortes «Neger» durch den Schwarzen Bayern Liquid empörte mich, dass das Publikum das Wort migröhlte, machte mir als Schwarzen Deutschen gar Angst. Dennoch machte mich die Selbstverständlichkeit, mit welcher all dies von statten ging neugierig. Auf Grundlage dieser Neugierde begann ich eine kleine ethnologische Feldforschung, welche diese Phänomene als ein kulturell fremdes Feld begreift und versucht, mithilfe ihrer Akteure eine emische Perspektive dessen zu konstruieren. Der vorliegende Artikel ist keine abschliessende Theorie dieser «Wasted Bavarian Youth», sondern lediglich eine Beschreibung und erste interpretative Annäherung an dieses Feld.

Bayerische Slangsta

«Ich sitze bei Liquid in der WG in Regensburg. Er spielt mir ein paar Demos seines nächsten Soloalbums vor. Die Beats stammen aus der Hand des Regensburger MCs und Produzenten Achim vom englischsprachigen Hiphop-Duo Demograffics. Achim ist bereits für die meisten Beats auf dem Kollaborationsalbum von Bbou und Liquid Bavarian Wasted Youth verantwortlich gewesen. Sein Sound lässt sich am ehesten als Old-School oder Boom-Bap Style beschreiben: Bassdrum, Snare und Vinyl-Samples.

Liquids Schlafzimmer ist im Wesentlichen ein Ministudio mit Recording-Rechner, Studioboxen und Gesangskabine. Die Wände sind mit eigenen und fremden Tourplakaten (u.a. Rammstein) zugekleistert, die Möbel und die Tür mit Bandsticker vollgeklebt. Ein Sticker mit weißer Schrift vor schlichtem schwarzen Hintergrund liest ‹Slangsta›. ‹Wir sind Slangster, nicht Gangster›, erklärt Liquid. Er erzählt mir, dass er bis vor seinem ersten Tourstop in Österreich immer dachte, dass Bbou und er die Pioniere des Mundart-Raps seien. In Österreich merkte er, dass der Style dort seit Jahren auf einem hohen Level produziert werde. Er schwärmt von der technischen Vielseitigkeit des Rappers Kroko Jack und zeigt mir auch Youtube-Clips von der Gruppe Da Vamummtn. Liquid meint, dass viele Leute nicht begreifen würden, dass dies ein Movement sei: Eine Mundart-Bewegung. Dies sei das krasseste, was gerade aus dem deutschsprachigen Raum kommen würde.» (Feldtagebuch, 24. September 2013)

Doch Liquid rappte nicht schon immer in seinem breiten oberpfälzischen Dialekt. Vielmehr begann er, wie andere Mundart-Rap-Akteure auch, seine Karriere auf hochdeutsch. In dieser Phase nahm er auch an einem Rap-Wettbewerb teil, in welchem der Berliner Rapper Sido der alleinige Juror war. Liquid schaffte es auf Anhieb in die Top10 des Wettbewerbs, scheiterte jedoch an Sidos finalem Urteil. Rückblickend erklärt Liquid:

«(...) doa hoat er ja gesoagt so ‹Sein Dialekt gefällt mir nicht, seine unentschlossene Art zu rappen›. Doa hoat er eigentlich Recht gehoabt, woas er gesoagt hoat, weil I hoab mi verstellt, I hoab hochdeitsch gerappt, obwohl I net so red und I hoab noch net so loang gerappt und woar aa no net so sicher am Mic. (...)» (Interview, 17. Mai 2013)

Der Amberger Bbou (kurz für: Der Bayerische Bub) rappte bereits vor Liquid im oberpfälzischen Dialekt. Er war es auch, der Liquid davon überzeugte, diesen Weg ebenfalls einzuschlagen. Angesprochen auf die Bedeutung dessen, im oberpfälzischen Dialekt zu reimen, erklärt Bbou:

«(…) Des Ding is, es geht ja net direkt ums Bayerische. Es geht ja bloß drum, mia kan irgendwelche Ossis oder sonst irgendwer san. Nur des Ding is des, wenn Du Musik moacha wuilst, des is woas persönliches (...) Wenn Du woas ausdrückn wuilst, doann moachst's oam besten in der Sproache, die Du gelernt hoast. Bloß so koannst Du Gefühle vermitteln und net oanders. Woil, wenn I mich verstuell, doann nehm ich mich ja in dem Moment selber net ernst. (…)» (Interview, 17. Mai 2013)

Bbou verknüpft hier die Frage der Rap-Sprache mit der Frage einer persönlichen Identität. In einer anderen Sprache zu rappen, als man im Alltag gebraucht heisst für Bbou, sich zu verstellen. Ähnlich argumentiert Liquid mit seiner Betonung des persönlichen Bezuges zum Text:

«Hinter jedem Track, doa koann I soagn, ‹Doas san meine Worte› und des hoab I bei keunem hochdeitschen Text soagn könna, dass san wirklich meine Worte, weil ich es irgendwie umformuliert hoab, dass es so irgendwelche Worte san, die sich aaf hochdeitsch reimen. Oba, heit san oalles... woas I heit soach moin I so, schmücke vielleicht moanchmoal a bissl krassa aus. Oba, I steh hinter jedem Text im Bayerischen und des konnt I beim Hochdeitschen loang net. Doa woar es oinfach der Coolness hoalber und jetzat fühl I des wirklich aa.» (Interview, 17. Mai 2013)

Sowohl Bbou als auch Liquid identifizieren sich mit der von ihnen gesprochenen Dialektsprache. Liquid deutet aber an, dass diese Identifizierung nicht immer leicht gewesen ist: «Der Coolness hoalber» habe er damals auf Hochdeutsch gerappt. Die Frage der «Coolness» scheint ein Schlüsselbegriff zu sein, um den Hype um die Beiden zu verstehen. Im Gespräch mit ihrem Booker, Markus, einem gebürtigen Niederbayer, verdichtet sich dieser Eindruck. Seine Augen leuchten, wenn er von den Beiden spricht:

«(…) wenn Liquid sagt ‹Necha›, wenn der Bbou sagt ‹A Dirndlbroit›, wenn's viel um ‹Schwänzelutschen›, weiß der Geier geht, salopp gesagt: Das ist ja nem bayerischen Musiker noch nie über die Lippen gegangen. Das kennt man eigentlich nur aus Berlin. (…) ich bin ja auch so a bissl Hiphop-affin aufgewachsen und hatte auch immer Leute um mich herum, die gerappt haben und so... und im Endeffekt hat der Bbou genau das gemacht, was sich niemand getraut hat, der irgendwie Musik gemacht hat in Bayern. Und wir, wir wollten immer so sein, wie die Berliner, wir haben immer den Berliner Rap gehört und haben halt dann... klar... die Stimme verstellt. Weißte, ich hab nen Dialekt und habs nicht akzeptieren wollen. Dann haste halt irgendwie die Stimme verstellt und auch ein bisschen auf straßenmäßig gemacht, aber der Bbou sagt: ‹Nee, ich red so wie ich red und ich bin nicht von der Straße. Wir sind vom Dorf!› Und diese Themen aufgreift. Das hat ja eigentlich niemand gemacht, weil es sich keiner getraut hat. (…)» (Interview, 10. Oktober 2013)

Laut Markus war es für HipHop-Heads aus Niederbayern lange Zeit schlicht nicht «cool» ihre regionale Identität, die sich über das Bekenntnis zum ländlichen Raum sowie die Dialektsprache ausdrückt, anzunehmen. Er und seine Kumpels versuchten dem zu entkommen, indem sie den damals angesagten Berliner Strassenrap nachahmten. Diese alte Ordnung zu verwerfen und den Jugendlichen aus der Provinz ein Selbstbewusstsein zu geben sieht er als besondere Errungenschaft der beiden an:

«(…) der Niederbayer hat ja eher so a Minderwertigkeitskomplex, glaub ich. Der kommt vom Dorf und der hat Angst vor der großen weiten Welt, vor der Stadt, auch vor München. Und dann passt man sich halt eher an, anstatt das man sagt ‹Hey! Wir sind doch die Geilsten›. Und ich glaub, das schaffen ja auch der Bbou und der Liquid, das den Leuten zu vermitteln: Dass es cool ist bayerisch zu sein, Bayer zu sein, aufm Dorf zu wohnen, das man da auch, blöd gesagt, einfach cool sein kann. Das muss man sich erstmal trauen. Das gab's bis dato nicht.» (Interview, 10. Oktober 2013)

Bbou & Liquid: «Heastas (Video Trailer)» (2013)

Die Neubewertung der ländlichen Identität, durch die zur Schau getragenen Narrative, aber auch durch den Gebrauch des ihnen eigenen Dialektes, korrespondiert mit dem Erfolg von Bbou und Liquid gerade im ländlichen Raum. Laut Markus spielen die Beiden an die 50 Konzerte im Jahr. Davon finden die meisten rund um den «Weisswurscht-Äquator» statt: Das heisst im Wesentlichen in bayerischen Kleinstädten, aber auch in Franken oder Österreich. Vom alternativen Club bis zur «Prolldisko» vor 800 Leuten ist alles dabei, wobei dem Booker der Club lieber ist.

Auf einer Hiphop-Jam in Nürnberg treffe ich auf einen weiteren Mundart-Rapper namens Monaco Fränzn, der zudem Teil der Rap-Band Doppel D ist. Sein Künstlername bezieht sich auf die Fernsehfigur «Monaco Franz», die als Prototyp einer regionalen Münchener Coolness gelesen werden kann. Fränzn erklärt mir, dass er einer der Erfinder des bayerischen Mundart-Raps sei:

«(…) also Doppel D, mei Band, die jetzt groad Pause moacht, hoat doas erste Mundart-Rap-Album, also das komplette Mundart-Rap Album aufgenommen: Das heißt B-AYA-N. Das gib I dia nachher mit. Es hat vorher scho aach Dialekt-Rap-Tracks gegeben. Das geht sogar bis in die Anfang 80er zurück und da gibt’s ein paar... da gibt’s Niederbayern, die da schon Rap-Tracks aufgenommen haben...und ähm... woas man vielleicht kennt, weil es mal in die Charts war, war ‹Funky Cold Medina auf bairisch›. (...) es hat vereinzelt sowas schon gegeben und aa die Münchener, und man derf net vergessen Feinkost Paranoia, die hoabn a sehr starken Münchner Slang gehoabt und aa teilweise sehr boarische Soachen, oba des erste, das wirklich krasse Dialekte-Ding, gloab I scho, doas i doa der erste war, der den Track gemoacht hoat: Der hoast ‹In mein Jargon›... ähm... der ist von Anfang 2005 ist der.» (Interview, 17. August 2013)

Bayernpower: «Funky Cold Medina» (1989)

Auch Monaco Fränzn erzählt von der Schwierigkeit des eigenen Dialekts. Es war nicht nur «uncool», im Dialekt zu rappen, sondern zudem wird es dem Dialekt-Sprechenden auch verwehrt eine hochdeutsche Sprach-Identität anzunehmen:

«(…) also ich rapp seit 20 Jahren und hoab die ersten 10 Jahre aa auf Hochdeitsch gerappt, weil es hat ja... Anfang der 90er wärst ja nie auf die Idee gekemme auf bayerisch zu rappen und aa net Anfang der 2000er war das aa noch. Also doa hoab I noch a Plattn gemoacht mit einer anderen Crew...und das war auf hochdeitsch und dann hat der Produzent... ah net der Produzent... der Typ im Tonstudio hoat das dann an aa poar Radiosender gegeben... I woas goar net welche... und doann hoabn die gesagt: ‹Aber das hat ja nie eine Chance. Das ist ja furchtbares Zeug. Da hört man ja den Dialekt heraus.› Und doas hoat mi so verletzt, dass I mir gedenkt hoab ‹jaa, jetzt erst recht› und doann hoab I quasi den ‹In meim Jargon›, diesen ersten reinen Dialekt Track geschriebn. Und seitdem gibt’s für mi aa gar kein Zurück mehr, weil I doann erkoannt hoab, doass doas ja mei eigentliche Sprache is. Und bei Rap find I's scho so... hmmm... Du hörst es ja bei amerikanischem Rap aa gaaaanz stark heraus, ob der jetzt aus Atlanta is... is der aus LA, is der aus New York oder is der vielleicht aus New Orleans oder sonstwo her. Doas is nur irgendwie in Deutschland, ist des irgendwie so, weil wir hoalt die Hochsprache hoabn, dass das hoalt irgendwie so dümmlich rüberkommt und so... und des woas I rap und wie I's hoalt moch is hoalt imma irgendwie so a Gegenpart, um zu soagn: ‹Nein, I bin net der Depp für den ihr mi hoaltst, nur weil I die und die Sproache red.› Also des woar für mi imma aa Mission und des bleibts aa weiter.» (Interview, 17. August 2013))

Doppel D: «In meim Jargon» (2007)

Die Mission, von der Monaco Fränzn spricht, findet sich in vieler seiner Textzeilen bei Doppel D wieder. In Tracks wie «Der Dialekt Idiot» oder «CSU-Rapper» findet man eben jene Aneignung von Dialekt-Sprache und regionaler Identität, die Fränzn im Interview anspricht. Im Prozess der Aneignung versucht Fränzn sowohl dem bayerischen Dialekt als auch der regionalen Identität andere Bedeutungen als «dümmlich» oder «CSU-konservativ» entgegenzusetzen:

«I scheiss auf Chauvinisten Brauchtum, Lederhosn, Sepperldeppen / Ihr kintts mi moi all kreuzweis am Arsch lecken / genauso wia ihr andern de song CSU und bayerisch des gheat zamm, Mann / oba I scheiss ned auf mei Sprache / so red I / wennst as ned vostähst mochst Party ohne mi /» (Doppel D, «CSU-Rapper»)

Fränzn berichtet, dass er in den letzten Jahren oftmals zum Thema «Heimat» interviewt worden ist. Ihm sei aber erst im Laufe der Zeit klargeworden, dass er den Begriff problematisch findet und stattdessen lieber von «Identität» sprechen möchte:

«(…) Identität ist woas sehr persönliches, find I. Also, des is a Verortung des Selbst, wo ma is. Da gehört für mi der Dialekt oanfach dazue. I red hoalt so. I bin so aufgewachsn und so bin I. I leb in dem Land, wo's so und so is und mia gefoalln vuile Soachn: I geh gern aafs Volksfest. Doas taugt mer. Und I find aa die Landschaft wunderscheen, in der I wohn. Aber des is nur so a örtliche Verortung von mir selber. Und die Eindrücke und des schoafft selbst mei Identität. Und Heimat find I immer so aa... eher so a Dach, wo si mehrere Leit drunter sammeln... das ist foast a Ideologie irgendwie. Und wenn des doann zu eina Ideologie wird ist's gefährlich. (…)» (Interview, 17. August 2013)

Fränzn verlagert hier sein Gefühl von Zugehörigkeit von einer gesellschaftlichen auf eine individuelle Ebene. Er sucht damit somit der Gefahr der Vereinnahumg durch Partei oder Freistaat zu entgehen und verweist gleichzeitig auf das zentrale Element dieser Zugehörigkeit oder Verortung. «Doas taugt mer», sagt er und entkoppelt die Frage der Zugehörigkeit von essentialistischen Vorstellungen wie Abstammung, Sozialisierung oder ähnlichem und deklariert es zu einer Frage des Geschmacks. An dieser Stelle zeigen sich die widersprüchlichen Positionen im Feld «Bayerischer Mundart-Rap»: Neben essentialistischen Ideen um Authentizität, die sich in den Forderungen aller vier Informanten «sich selbst zu erkennen und wertzuschätzen» wiederfinden, formuliert zumindest Monaco Fränzn die Möglichkeit von individueller Handlungsmacht.

Cyborg Rap

«Ich kam in kein Krankenhaus auf die Welt, sondern im Labor / I hoab zwoa Multicore Prozessor'n im Innenohr / Im Gehirn verbinden poar Synapsen und a Haufen vuile kleine Adern, Kupfern und Nerven mit der Hauptplatina / Sauber verschraubt und g'liefert / Oalles funktioniert und laufert / nur Dank der besten deitschen Professoren und Wissenschaftler / die Tag und Nacht dran / gehockt san um jeden Bauplan / bis ins Feinste auszuoarbeitn, bis wir ihn schließlich gebaut hoabn /» (Liquid, «Cyborg Rap»)

Die Figur des Cyborgs fungiert gemeinhin als metaphorisches Gegenteil einer Idee von Natürlichkeit: Der Cyborg wird gebaut, er wird nicht geboren. Im folgenden Abschnitt werde ich der obigen Idee von individueller Handlungsmacht bei der Identitätskonstruktion im Feld folgen und anhand eines Aneignungsprozesses die Komplexität und Ambivalenz von Authentizität und Konstrukt aufzeigen.

Auf die Frage hin, was sein Einstieg für ihn in die Rapszene war, antwortet Bbou ohne Umschweife KKS (King Kool Savas) und betont seine Faszination für Tracks wie «Lutsch meinen Schwanz» und «Blasen»:

«(...)King Kool Savas doamals auf Tape. Irgendei Kumpel hoat doas met hergebracht und wir san in unserem Dorf gehockt, in so nem kleinen Heisl und hoabn oinfach g'suffa und Zeich und doa kummt a Kumpel, ‹Ey, I hoab des da oam Start›. Und da spuilt der des oan und da woar des oinfach so... BAATSCH! so... und ich koann mir noch erinnern, wey ich doas rappen oangefoangen hoab, ich bin doamoals in der Hauptschul'... ich hoab mir die Texte aas'druckt und hoab die Texte... ich hoab die no nimma aas'druckt, ich hoab die auswendig gekinnt und hoab die gerappt (…)» (Interview, 17. Mai 2013)

Bbous Anekdote verweist zum Einen auf die mobile Qualität von Rapmusik, die kontextunabhängig zirkuliert, und zum Anderen auf das Identifikationspotential eines deutsch-türkischen «Spitters» wie KKS, dessen, im medialen Diskurs oftmals als sexistisch oder homophob markierte, Texte den Gefallen eines Amberger Hauptschülers finden und diesen gar zunächst zum Nachahmen und später zu eigenen Innovationen führen. Gerade die frühen Bbou Tracks veranschaulichen die performative Qualität seines Mundart-Rap-Vorhabens.

Bbou: «Kanona» (2012)

Das Video zum Song ist in schwarz-weiss gehalten, das blau-weiße Rautenmuster der Halstücher bleibt die einzige Farbe. Die Handlung spielt im Keller einer Brauerei, wo Bbou und seine blau-weisse Gang alles kurz und klein schlagen.

«I bin im Untergrund dahoam, so wie der Fritzl Sepp / Schau in Dei Keller, wenn's wissen willst, wo Dei Bitch'n steckt / (…) I bin a stolza Bayer und mei Rrrrrrrr, des rollt Bubi / Scheiß auf a Tracht, I mach Rap und kei Volksmusi / (…) I doa woas I ka und I moach woas I will / Lau Dei Rat stecka, weil das bei mir Macho nicht hilft / (...)» (Bbou, «Kanona»)

Die Aneignung der bayerischen Flagge als Gangzeichen (Halstuch oder Vermummung) sowie die textlichen Überzeichnungen durch Verweise auf den österreichischen Inzest-Sklaverei-Skandal um Joseph Fritzl oder ähnliches weisen auf die Konstruktionshaftigkeit und Überzeichnung der Identität Bbou hin. Der Rapper verhandelt durch die Aneignung von Symbolen und Narrativen, die im medialen Diskurs mit Bayern bzw. Österreich zirkulieren, die Beziehung von Subjekt, als Bbou oder bürgerlich Michi, und sozialer Kategorisierung, als provinzieller Bayern.

Markus, der Booker, berichtet mir von der Akribie, mit welcher beide Rapper ihre Aussenkommunikation über Facebook oder ähnliches betreiben:

M: «(...) die denken da soviel nach. Auch wenn es oft nur was völlig plumpes ist, die würden dann... Das kommt nicht einfach so aus denen raus, sondern die denken da sehr viel nach. Die machen das sehr bewusst. (…)»

J: «(...) Es wirkt wirklich wie aus der Hüfte geschossen.»

M: «Genau. Aber das haben die sich lange überlegt. Wenn sie so nen Satz hinhauen, der sich ‹wie aus der Hüfte geschossen› anhört... isser aber nicht.» (Interview, 10. Oktober 2013)

Monaco Fränzn weist auf die Gefahren der Überzeichnung hin: Man kann die Rezeption nicht steuern.

MF: «(…) I empfind das so, dass die Figur Bbou ist ein so dermaßen überzeichnetes vulgäres Bayernklischee und wenn der des denn moacht, ist des aaf der Bühne für meinen Begriff eine weitere Überzeichnung... nur das Problem ist mittlerweile, des Publikum nimmt des anders woar. Des is imma des Schwierige mit Ironie und Satire... des is goanz schwer zu vermitteln (…)» (Interview, 17. August 2013).

Gerade Monaco Fränzns Ausführungen sprechen von dem Verhältnis zwischen Performance, Handlungsmacht und Diskurs bei der Identitätskonstruktion. Ich möchte im Folgenden diese Idee theoretisch unterfüttern.

Hiphop ist global gesehen wohl einer der erfolgreichsten Sparten oder Praktiken dessen, was einst (teilweise noch immer) als «Black Popular Culture» bezeichnet worden ist. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht auf die Frage eingehen, ob es sinnvoll ist von «Schwarzen Populärkulturen» zu sprechen oder nicht, sondern möchte den Ausdruck lediglich als einen Hinweis auf eine historische Genese nutzen. Stuart Hall spricht in seinem Essay «What is this ‹Black› in Black Popular Culture» unter anderem von der andauernden Bedeutung Schwarzer-diasporischer oraler Traditionen sowie dem Körper als Medium: «...think of how these cultures have used the body – as if it was, and it often was, the only cultural capital we had. We have worked on ourselves as the canvases of representation» (Hall 1992, S. 27).

Hall argumentiert in einer historisch-soziologischen Herleitung, dass Schwarze Populärkulturen (somit auch Hiphop) die performative Qualität von Körper und Sprache besonders ausstellen. Stefanie Menrath sieht in der performativen Praxis des Rappens eine Verhandlung der Beziehung von Identität und Diskurs.

«Im Hiphop gibt es den Versuch, herrschende Repräsentationen von Ethnizität auf parodistische Weise über Wege der Selbstessentialisierung zu vervielfältigen und so ihre ihre diskursive Bedingtheit und Nicht-Natürlichkeit aufzudecken (…) Als performative Inszenierung gefasst, kann sich Identität nicht mehr auf einen wahren, inneren Kern stützen» (Menrath 2003, S. 226).

Menrath nutzt für diese Sichtweise auf Hiphop Judith Butlers Idee subversiver Geschlechtsidentitäten. Einen Ansatz, den ich fruchtbar finde, aber anders als Menrath nicht um den Rapper in eine Sphäre des Politischen zu heben, im Sinne von Advanced Chemistry, Murat G. etc. , sondern um die Handlungsmacht des Individuums bei der Identitätskonstruktion aufzuzeigen.

Judith Butler nutzt in ihrem Buch Bodies That Matter eine Verknüpfung von Austins Sprecht-Akt-Theorie, also der performativen Qualität von Sprache, mit Althussers Idee der Anrufung, um die Beziehung von Subjekt und der sozialen Kategorisierung durch den Diskurs zu beschreiben:

«In Althusser's notion of interpellation, it is the police who initiate the call or address by which a subject becomes socially constituted (…) The call is formativ, if not performative, precisely because it initiates the individual into the subjecte status of the subject» (Butler 1993, S. 81f.).

Butler wählt diesen Ansatz, um einer Idee eines allumfassenden Foucaultschen Diskurses zu entgehen. Sie sucht den Moment der Handlungsmacht innerhalb der Subjektwerdung und findet ihn in der performativen Antwort in der ersten Person Singular auf die Anrufung. In einem Interview sagt sie:

«My interest is in the Althusserian problem of how, one might say, a speech act brings a subject into being, and then how that very subject comes to speak, reiterating the discursive conditions of its own emergence (…) I think Althusser gives me interpellation, the discursive act by which subjects are constituted, and Austin gives me a way of understanding the speech acts of that subject» (Bell 1999, S. 165).

Mit Sprech-Akten meint Butler die performative Qualität der Antwort des Subjektes auf dessen Anrufung. Der Akt ist insofern performativ, als dass er die Anrufung und damit einhergehende soziale Kategorisierung notwendigerweise mit einer Ambivalenz antwortet:

«There is no subject prior to its constructions, and neither is the subject determined by those constructions; it is always the nexus, the non-space of cultural collision, in which the demand to resignify or repeat the very terms which constitute the ‹we› cannot be summarily refused, but neither can they be followed in strict obedience. It is the space of this ambivalence which opens up the possiblity of a reworking of the very terms by which subjectivation proceeds – and fails to proceed» (Butler 1993, S. 84).

Es erscheint mir fruchtbar die Performances von Bbou und Liquid, seien sie auf der Bühne, als Youtube Video oder als .mp3 im Sinne dieser subjektkonstituierenden Performance zu verstehen. In den Worten von Stefanie Menrath: «Durch Repräsentationen bringen sich die Hiphopper in die Welt» (Menrath 2003, S. 226).

Die Identitätskonstruktion, wie ich in den vorgehenden Abschnitten dargelegt habe, funktioniert mithilfe von Aneignungsprozessen. Handlungsmächtig bedienen sich diese Rapper in Sprech-Akten und anderen Performances kultureller Zeichen und Symbole. Doch diese Praktik ist nicht auf die Hiphopkünstler beschränkt, sondern findet sich im gesamten Feld wieder.

Bavarian Wasted Youth

Bavarian Wasted Youth

«Auf der Hiphop-Jam in Nürnberg beobachte ich eine Gruppe von weißen jungen Männern und Frauen um die 20 Jahre alt, die eben jene blau-weißen Rautenflaggen als Halstuch oder Vermummung tragen. Die ‹Gangmitglieder› sind allesamt stark tätowiert und die Jungs sind muskulös. Die meisten Jungs tragen zumeist schwarze Wollmützen und schwarze Sonnenbrillen, blau-weißes Rautenhalstuch, weißes weites T-Shirt und entweder Lederhosen oder Baggy-Pants. Ich komme mit dem Betreiber eines Vinyl-Stores namens Kasi ins Gespräch. Ich spreche ihn auf meine Beobachtung an und erkläre ihm wie mich das an US-amerikanische Gangzeichen a la Bloods oder Cribs erinnert. Er teilt meine Interpretation und problematisiert das Phänomen sogleich: Natürlich könne man sich Zeichen und Symbole aneignen. Hiphop sei schließlich, im Gegensatz zu anderen Musiken, alle Musikrichtungen. Aber zumindest der Künstler, so Kasi, müsse um die Geschichte des Symbols wissen. Eine blinde Aneignung, ohne das kulturgeschichtliche Wissen, sei respektlos und zumeist einfach nur platt» (Feldtagebuch 17. August 2013).

Was Kasi und mich in dieser Situation gleichermassen irritierte war die Aneignung einer Gangsymbolik durch Personen, denen wir jeglichen persönlichen Bezug zu oder tiefgreifender Kenntnis von afroamerikanischer Gangkultur absprachen. In diesem Sinne bemängelten wir eine Entkontextualisierung einer Symbolik durch Aneignung.

Auf derselben Veranstaltung ergab sich die Möglichkeit eine Gruppendiskussion mit fünf männlichen Bbou und Liquid Fans um die 20 durchzuführen. Zwei von ihnen kamen aus der Nähe von Nürnberg, drei weitere waren extra aus dem Münchener Umland angereist. Zu Anfang des Gesprächs fragte ich sie nach ihrer Lieblingsmusik. Vier von fünf nannten mir verschiedene deutsche, österreichische oder US-amerikanische HipHop-Acts, nur einer gab an, dass er genre-übergreifend Musik höre. Acts auf die sich mehrere einigen konnten waren u.a. Sido, Kollegah und KIZ. Informant 1 gibt an, er höre ausschliesslich Hiphop und Reggae. Ich fragte sie alle nach dem Gebrauch der Wörter «Neger» und «Kanaken», die ich in den Texten von Liquid wiederfinde.

4: «Also man sagt nicht einfach ‹Neger› zu jemandem, den man nicht kennt, aber wenns a Kumpel von einem ist, oder so, von jemandem ist, dann sagt man so ‹hey›… ja Neger oder so. Das ist halt… aber nicht abwertend… in gar keiner Weise… sondern das sagt man halt so… eher spaß-mäßig oder so… das ist halt eher… ja fast eher cool… also der Neger ist ja eher cool… als abwertend gemeint.»

J: «Okay.»

3: «I koan mi da aach nur oanschließen. Das ist hoalt so. Wenn ma Leit kennt, dann soagt moan hoalt Nega und wenn man sie net kennt, dann geht man hoalt hin und soagt: Hey Du Maximal-Pigmentierter. (Alle 5 lachen). Ja, wie er hoalt Ginger heußt, so ist das hoalt a Spitzname.»

1 (lacht sich kaputt).

J (lacht über 1): «Aber…»

1: «Maximal-(unverständlich)»

J: «Pigmentierter. So… äh… aber ähm… aber‚ ‹Kanacke› ist dann schon ein Schimpfwort?»

3: «Ja voll.»

2: «Das ist ein richtiges Schimpfwort.»

J: «Okay.»

1: «Ja, aber Kanacke steht ja nicht für Neger. Das koan ja ein Türke aach sein.»

2: «Ja eben.»

J: «Ja nee. Ich frag ja nur. Ich will ja nur ja nur die Begriffe verstehen.»

1: «Ja, also‚ ‹Kanacke› ist der allgemeine Asi.»

4: «Genau. Ja, das stimmt.»

1: «Net jetzt aaf Rassen bezogen, sondern aaf… ‹Du Asi› heißt das eigentlich…‚ ‹Du bleede Sau› und net ‹du hoast a bestimmt Hautfarb, jetzt bist’ a kanack›, sondern ‹Du bleede Drecksau, Du bist a Kanack›. Des hoast des.»

J: «Okay, also ich könnte zu Dir jetzt sagen. Also, wenn Du mir jetzt auf den Sack gehst, kann ich sagen ‹Boar, Du bist voll der Knacke!›»

1: «Genau.»

(Alle 5 lachen)

1: «…darum bin I a Kanack, a bleede Drecksau.»

(Gruppendiskussion, 17. August 2013)

Interessanterweise nutzten dieselben Personen vorher das Wort «Kanake» als Synonym für «türkisch» bzw. «migrantisch». Zum Beispiel bei der Beschreibung der favorisierten Musikstile:

3: «Mia san auch Hiphop, Deutschrap. Also so komplett durch die Reihe. Koan bestimmte Lieblingsband, sondern aach KIZ, bissl Kollegah. Das is mia dan scho a bissl zu...ähm...i soag mal zu deitsch...ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll. So deitsch-kanakisch. Aber auch so afro-amerikanischen (Hiphop), wie Dr Dre, Snoop Dog. Das is dan eher so mei Ding, ja» (Gruppendiskussion, 17. August 2013).

Das Wort spielt auch eine Rolle im Vergleich von Haftbefehls «Chabos wissen wer der Babo ist» und Bbous Remix-Track «Bazis wissen wer der Bbou ist»:

Haftbefehl: «Chabos wissen wer der Babo ist» (2012)

Video nicht mehr verfügbar.

Bbou: «Bazis wissen wer da Bbou is (Chabos wissen wer der Babo ist RMX)» (2013)

2: «Und das hat Haftbefehl zum Beispiel nicht. Haftbefehl hat ja gar keine Kultur dahinter. Das (hier) ist halt… es ist halt Deutsche Kultur.»

4: «Das ist einfach nur Kanakenkultur.»

(1-4 lachen)

J: «Naja.»

2: «Sowas sag ich nicht. Sowas find ich ganz blöd.»

5: «Ich find Haftbefehl gar nicht schlecht.»

2: «Ja, Duuu.»

3: «Ja klar, es ist irgendwie lustig, aber…»

4: «Ich find Haftbefehl auch nicht schlecht, aber…»

2 (zu 5): «Du findest alles gut.»

5: «Das Lied ‹Chabos wissen, wer der Babo› ist ist einfach richtig gut.»

4: «Ja, aber das (hier) passt halt einfach auf das Bayerische. Die münzen das halt um.»

(Gruppendiskussion, 17. August 2013)

Ich möchte zwei Aussagen zu dem hier präsentierten Ausschnitten tätigen, eine zum Gebrauch des Wortes «Kanak» und eine zum Gebrauch des Wortes «Neger»:

Der hier präsentierte Gebrauch des Wortes «Kanak» / «Kanake» / «Kanakisch» erscheint als eine Bilderbuch-Exemplifikation von dem, was Étienne Balibar Anfang der 90er Jahre «Neo-Racism» konzeptualisierte: Er bezeichnete damit einen Rassismus ohne Rassen, in dem die Fixierung von Ethnien, das heisst die Naturalisierung von Differenz vom Feld der Biologie in das der Kultur wandert (vgl. Balibar 1991, S. 21).

Man bedenke allerdings auch, dass die interviewte Gruppe, neben einem neo-rassistischen Gebrauch des Wortes «Kanake», gleichzeitig (zumindest in Teilen) eine Wertschätzung für Musik von «Kanaken» zum Ausdruck bringt. Und dies geschieht nicht als Wertschätzung einer «kanakisch»-emanzipatorischen Position (siehe Güngör und Loh 2002), sondern scheinbar in Form entkontextualisierter Diskurse, in dem «Kanake» gleich Türke/Migrant, «Kanake» gleich «Asi» und Haftbefehls «gute» Musik scheinbar zusammenhanglos zusammenhängen. Man könnte auch sagen: Es findet ein Gebrauch des Wortes nach eigenem Gusto statt.

Eine Theoretisierung einer solchen Nutzung von entkernten Kulturgütern findet man beim Philosophen Byung-Chul Han. Dieser entwirft unter anderem in Rekurs auf Deleuzes Idee des Rhizoms die Idee einer ent-substantialisierten Kultur, genannt Hyperkultur.

«Die Hyperkultur als entinnerlichte, entwurzelte, entortete Kultur verhält sich in vielfacher Hinsicht rhizomatisch. Es geschehen rhizomatische Übergänge zwischen subkulturellen und kulturellen Gebilden, zwischen Rändern und Zentren, zwischen vorläufigen Konzentrationen und erneuter Zerstreuung. (…) Die rhizomatische ‹Logik des UND› bringt einen asignifikanten Zusammenhang, d.h. einen Zusammenhang des Zusammenhanglosen, ein Nebeneinander des Verschiedenen, eine Nähe des Entfernten hervor. Sie ‹hyphenisiert› die Kultur zu Hyperkultur. Die Hyphen wirken auch ohne den ‹tiefen›, ‹inneren› Zusammenhang verbindend, ja versöhnend» (Han 2005, S. 33ff.).

Byung-Chul Hans Beschreibung der Aneignungsprozesse in der Hyperkulturalität betonen den Wegfall einer Innerlichkeit von Kultur. An anderer Stelle zitiert er Deleuzes Idee von der Gedächtnislosigkeit des Rhizoms, was bleibt sind also Oberflächen. Eben jene Oberflächen, die zu Tage treten, wenn ich auf die Frage nach der Bedeutung des Wortes «Neger» in der Gruppendiskussion die Antwort bekomme, es sei ein Spitzname, so wie ein Rothaariger der «Ginger» sei. Der Begriff des «Negers» ist scheinbar jeglicher Diffamierung enthoben und fungiert somit als «reine Differenz»: Der «Neger» wie der «Ginger» und mit Abstrichen auch der «Kanake».

«Der bairische Busta Rhymes»

«Auf jener bereits erwähnten Hiphop Jam spreche ich mit zwei Schwarzen Franken aus dem Umfeld der Nürnberger Hiphop-Kombo NATO. Ich frage sie zu Ihrer Meinung auf Liquids Gebrauch des Wortes ‹Neger›. Die Beiden stellen klar, dass sie sich niemals als ‹Neger› bezeichnen lassen würden. Das sei ein verletzendes Wort, das eine Funktion der Abwertung in der Zeit der Sklaverei innehatte. Es jetzt zu benutzen sei eine Art Geschichtsvergessenheit und ‹disrespectful› gegenüber all denen, die für die Abschaffung der Sklaverei und für die Erlangung von Bürgerrechten ihr Leben gelassen hätten. Natürlich hätten sich die Zeiten geändert, aber die Beiden sehen sich als Nachfahren dieser ‹Freiheitskämpfer›. Nichtsdestotrotz habe Liquid in ihren Augen das Recht sich so nennen zu lassen, wenn er dies wolle» (Feldtagebuch, 17. August 2013).

Die obigen Ausführungen lassen sich als eine US-amerikanische Perspektive beschreiben, welche das deutsche Wort «Neger» mit dem amerikanischen «Nigger» gleichsetzt und den Kontext von transatlantischem Sklavenhandel und afroamerikanischer Bürgerrechtsbewegung universalisiert. In diesem Sinne sind die, hier gleichgesetzten, Worte «Neger» / «Nigger» der Schauplatz eines Kampfes um Definitionsmacht. Hieraus leitet sich das an Nicht-Schwarze herangetragene Verbot «Neger» zu sagen wie die Erlaubnis an den Schwarzen Bürgerrechtler sich dieses Wort rückzuerobern gleichermassen ab. Während meines Forschungsaufenthaltes in Nürnberg fiel mir zufälligerweise ein Artikel von Tetsuhiko Endo in die Hände mit dem Titel «N.I.G.G.E.R: The Slave & Master» und dem Untertitel «A brief history of the world's greatest taboo». Ein Auszug:

«But remember your Foucault; power is ambivalent, and can be coopted by those who it oppresses. ‹The power of the N-word comes not only from it's historical usage but from Black folk reclaiming the word and trying to divest it of its racialised power and reinvest it with Black vernacular power,› says James Braxton Peterson, the Director of Africana Studies and Associate Professor of English at Lehigh University» (Endo 2012).

Livekonzert von BBou & Liquid

Im Falle von Liquid kann man wohl von einer Aneignung eines Wortes sprechen. Er ist sich über den Tabubruch im Klaren.

L: «I tat zu mia nie selber Neger soagn, oba das soagn hoalt... moanche in der Oarbeit soagn zu mia, die Russn soagn zu mia ‹Hey! Du Neger!› und doann foand I doas lustig und...» (Interview, 17. Mai 2013)

Und Bbou erklärt, dass dieser Tabubruch Teil ihres Humores ist.

B: «Das ist unser Humor, so! A bissl abbrüht, a bissl wo's fuir oandere aafheart, da fangts fuir uns erst oan. So ungefähr. Und keine Ahnung. Oanfach Spaß hoabn, moal a Aug zudrucka und...» (Interview, 17. Mai 2013)

Gleichzeitig betont Liquid aber, dass es einen kontextspezifischen bayerischen Gebrauch dieser Worte gibt, der auf einer rhetorischen Ebene bleibt.

L: «Keine Ahnung. Für mi is bayerisch-sa a bissl engstirnig sa: Darum soag I ‹Scheiß Kanaken-Rap‘ oder ‚die Preißnrapper›... I hear ja bloß Preißnrap oder Kanaken-Rap... des moacht mia nix, oba I soag's wie die Baya es soagn wiad: ‹Die Scheiß Kanaren!›» (Interview, 17. Mai 2013)

Ähnlich wie in der Gruppendiskussion der fünf Fans vertritt auch Liquid die Position, dass die Worte dereinst diffamierend waren, aber heute nur noch als entinnerlichte Hülsen zum Aufgreifen bereitliegen.

L: «Also, wenn in der Oarbeit a Russ kommt und I kenn den, doann koann I zu dem locker soagn: ‹Hey! Du dreckerter Russ, woas geht mit Dir?› und der checkt wie I des moin und soagt: ‹Ey, was willstn Du, Du Soalz-Nega, Du staubiger...› Des is net ernst gemoint. I koann zu... Wenn I des verletzend moin, doann is des verletzend gemoint, oba wenn I Nega oder Kanak oder sonstwas soag, doann moin I des in keinster Weise abwertend oder sonstwoas. Des moin I... halt neckisch... so... ja? Mei, so san die Namen, die se uns gegeben hoabn freiher und mein Gott, des wird nie aussterben des Kanak und des Neger. Die Wörter werden nie aussterben. Darum, einfach aafgreifa! Das macht der Polt aa.» (Interview, 17. Mai 2013)

Auf die Frage hin, ob er der Ansicht sei, dass das Publikum beim Mitsingen der Hook vom «Mach doch dein Polt Remix» das so sehe wie er, antwortet Liquid:

«...die moinen des oalle net bös! Wenn die doas soagn hoabn die a Smiley im Gsicht! Weil der Neger, der doarf ja rein und fuilt sich guad!» (Interview, 17. Mai 2013)

Liquid & Bbou: «Mach doch dein Polt-Remix» (2012)

Schlussbemerkungen

Es erscheint mir an dieser Stelle sinnvoll auf die Beziehung von Individuum und Diskurs, die ich im Abschnitt Cyborg Rap diskutiert habe, Rekurs zu nehmen und noch einmal den, für mich, entscheidenden Punkt in Butlers Argumentation herauszustellen: Die performative Qualität bei der Identitätskonstruktion entsteht durch die Diskrepanz zwischen dem Individuum und dem Subjekt, welches es durch die Anrufung und die eigene Antwort werden soll (vgl. Butler 1993, S. 81ff.).

Das heisst, dass man sich folgendes bewusst machen muss: Liquid ist kein «Neger», er ist nicht «Schwarz», er ist nicht Weiss und er ist kein Bayer. Sondern, er wird als ein solches Subjekt angerufen und kann nun darauf performativ antworten. Und die Antwort kann nur zuviel oder zu wenig Bayer, «Neger», Schwarz, Weiss, etc. sein. Die Identitätskonstruktion lässt sich somit als eine Verhandlung oder Spiel von Form denken.

Somit löst sich das ein, was Stuart Hall Anfang der 90er Jahre als ein prägnantes Merkmal der Populärkultur identifizierte: «..., style – which mainstream cultural critics often believe to be the mere husk, the wrapping, the sugar coating on the pill – has become itself the subject of what is going on» (Hall 1992, S. 27).

In diesem Sinne argumentiere ich, dass die Bedeutungsinhalte der angeeigneten Zeichen, Symbole und Narrative ihren Stellenwert verlieren und hinter dem Statement des Aktes selbst verschwinden: Zu sagen «Ich bin der Neger Liquid» meint somit nicht die Bezugnahme auf ein Schwarzes-Diasporisches politisch-kulturelles Subjekt, sondern eine machtvolle Demonstration einer eigenen Sichtweise, welche sich der Identifikation als Schwarz-Diasporisch oder Weiss-Bayerisch widersetzt. Ich argumentiere des Weiteren, dass dieser Widerstand sich ebenfalls in den Wortbeiträgen der jugendlichen Fans wiederfindet. Sie zeigen ein Verständnis dafür, dass es sich bei den Begriffen «Neger», «Kanake», etc. nicht um Essentialismen handelt, sondern um diskursive Zeichen. Und eben als solche diskursive Zeichen, die keinen Besitzer, keine Wahrheit kennen und somit angeeignet werden können, werden diese eingesetzt. Genau diesen Umstand, dass es sich bei dem Gebrauch des Wortes «Neger» durch die Wasted Bavarian Youth um einen kreativen und handlungsmächtigen Umgang handelt und nicht um eine rassistische Diskriminierung drückt Liquid in seinem letzten Satz aus.

Ich habe weitestgehend auf eine Theoretisierung oder kulturgeschichtliche Einordnung des im Feld Gesagten verzichtet, da ich der Ansicht bin, dass es in diesem Fall in hohem Masse darum geht, die Informanten zu Wort kommen zu lassen. Ich habe mich im Wesentlichen darauf beschränkt, das Gesagte verschiedenen Foki zuzuordnen: Bayerische Slangsta (Sprache/Heimat/Identität), Cyborg Rap (Identität/Konstruktion), Bavarian Wasted Youth (Sprache/Kultur/Aneignung), «Der Bayerische Busta Rhymes» (Identität/Kultur/Aneignung). Ich habe keine umfassende oder abschliessende Theorie präsentiert, hoffe aber dargestellt zu haben inwieweit sich die Akteure hegemonialen Diskursen um Sprache, Repräsentation und Rassismus widersetzen.

Quellenverzeichnis

Balibar, Étienne. 1991. «Is there a Neo-Racism?». In Race Nation, Class: Ambiguous Identities, edited by Immanuel Wallerstein. Translated by Chris Turner. 17–28. London: Verso.
Bell, Vikki. 1999. «On Speech, Race and Melancholia: An Interview with Judith Butler». Theory Culture & Society 16.2: 163–74.
Butler, Judith. 1993. Bodies That Matter. New York: Routledge.
Tetsuhiko. 2012. «N.I.G.G.E.R: The Slave & Master». Huck Magazine. December 16. Accessed October 20, 2013. (https://www.huckmag.com/perspectives/opinion-perspectives/n-i-g-g-e-r/).
Güngör, Murat, and Hannes Loh. 2002. Fear of a Kanak Planet: Hiphop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap. Höfen: Hannibal.
Hall, Stuart. 1992. «What Is this Black in Black Popular Culture?». In Black Popular Culture, edited by Gina Dent. 21–36. Seattle: Bay.
Han, Byung-Chul. 2005. Hyperkulturalität: Kultur und Globalisierung. Berlin: Merve.
Menrath, Stefanie. 2003. «Die Politik der Repräsentation im HipHop». In HipHop: Globale Kultur – Lokale Praktiken, edited by Jannis Androutsopoulos. Bielefeld: Transcript.

Sounds

Bbou. 2012. «Kanona», Guad & Fesch. Download (Zugriff am 2. Mai 2014).

Bbou. 2013. «Bazis wissen wer der Bbou ist». Volksmusik 2.0. Download (Zugriff am 2. Mai 2014).

Doppel D. 2009. «CSU Rapper». B-AYA-N. Bandcamp (Zugriff am 2. Mai 2014).

Liquid. 2012. «Mach doch dein Polt». LALELULELO. Download (Zugriff am 2. Mai 2014).

Liquid. 2013. «Cyborg Rap». Bavarian Wasted Youth. Download (Zugriff am 2. Mai 2014).

Videos

Bayernpower. 1989. Funky Cold Medina. YouTube (Zugriff am 20. Oktober 2013).

Bbou. 2012. Kanona. YouTube (Zugriff am 12. Oktober 2013).

Bbou. 2013. Bazis wissen wer da Bbou is (Chabos wissen wer der Babo ist RMX). YouTube (Zugriff am 22. Oktober 2013).

Bbou & Liquid. 2013. Heastas (Video Trailer). YouTube (Zugriff am 21. Oktober 2013).

Doppel D. 2007. In meim Jargon. YouTube (Zugriff am 20. Oktober 2013).

Haftbefehl. 2012. Chabos wissen wer der Babo ist. YouTube (Zugriff am 23. Oktober 2013).

Hiphop.de. 2011. Newcomer Teil 3.2: Sido über Liquid. YouTube (Zugriff am 20. Oktober 2013).

Liquid & Bbou. 2012. Mach doch dein Polt-Remix. YouTube (Zugriff am 16. Oktober 2013).

Puls. 2012. Interview Liquid: Nix geht über die Neunziger. YouTube (Zugriff am 14. September 2013).

Interviews

17. Mai 2013. Bbou und Liquid Interview im Feierwerk, München.

17. August 2013. Monaco Fränzn Interview im Hirsch, Nürnberg.

17. August 2013. Gruppendiskussion mit 5 Fans im Hirsch, Nürnberg.

10. Oktober 2013. Markus Sporrer Interview in seinem Büro, München.

Feldtagebuch

17. Mai 2013. BBou und Liquid Konzert im Feierwerk, München.

17.August 2013. Hiphop Jam im Hirsch, Nürnberg.

24. September 2013. Regensburg.

Biography

Julian Warner. Jahrgang 1985. Studium der Theaterwissenschaft, Amerikanischen Literaturgeschichte und Ethnologie. Lebt und Arbeitet in München.

Published on June 18, 2014

Last updated on June 27, 2023

Topics

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