Die israelische Musikerin Meira Asher regt auf einer radikalen CD und in Konzerten mit schockierenden Bildern und kompromissloser Musik zum Denken an.
Dumpfes Dröhnen im Bauch, sirrende Frequenzen in den Hirnwindungen, angespannte Ruhe im Saal. «Birkenau, Birkenau, rolls off my tongue like a poem now», singt eine Kahlköpfige mit fieser Stimme durch ein verzerrendes Mikrophon. Dunkle Gestalten, verhangene Luft, blendende Gegenlichter und - projiziert auf zwei Leinwänden – Filmausschnitte mit zerfetzten Kriegsopfern, blutigen Operationen, Drogenabhängigen und skandierenden jüdischen Fundamentalisten beherrschen den Raum. Tod, Tod, Tod schreit die Sängerin und tut, als schneide sie sich mit dem Schlagzeugstock die eigene Kehle durch.
Die israelische Sängerin Meira Asher erschüttert: sie greift Erwartungshaltungen vor, verleitet zum Nachdenken und fabriziert Sounds für Hirn und Bauch. Norient hat sich mit der radikalen Künstlerin über ihre Projekte, über Israel und den Holocaust unterhalten. Meira Asher zeigt sich dabei als eine sympathische und intelligente Persönlichkeit, die ihr Gegenüber mit zwei wachen blauen Augen mustert und interessiert zuhört.
[Thomas Burkhalter]: Meira Asher, sind Sie eine Friedenssängerin?
[Meira Asher]: Nein, überhaupt nicht. Ich bezeichne mich weder als Sängerin noch singe ich für den Frieden. Beide Begriffe, Sänger und Frieden, sind äusserst limitiert: meine Stimme verwende ich für musikalische Zwecke, und Frieden ist sehr generell – was ist Frieden?
[TB]: Ihre CD Spears into hooks ist radikal und schockierend. Was wollen Sie mit Ihrer Musik ausdrücken?
[MA]: Ich verlagere den Holocaust und den Palästina-Konflikt in meine Musik und auf die Bühne, und ich versuche meine Erfahrungen und Gedanken dazu authentisch und wirklichkeitsnah darzustellen. Meine Stücke spielen im Krieg, finden in einem Konzentrationslager statt oder stecken in einem Attentäter drin. Ich will Menschen zum Denken anregen und sie weder mit leuchtenden Visionen noch mit plumpen Schreien nach Menschenrechten überfahren - um weiterzukommen, muss man traumatische Erlebnisse verarbeiten. Erst wenn man sich mit grauenhaften Erlebnissen auseinandersetzt, sich beispielsweise wie ich mit dem Holocaust beschäftigt hat und dessen Horror in den Genen trägt, kommt man weiter. Ich war bei einer Besichtigung des KZ Sachsenhausen nicht einmal mehr geschockt, als ich durch die einstigen Leichenhallen wanderte – so erschreckend es klingt: der Gang in ein KZ war für mich fast normal.
[TB]: Mit den schönen Melodien, mit der indischen und afrikanischen Perkussion Ihrer ersten CD Dissected (RecRec) haben Sie 1997 am Paléo Fetival in Nyon begeistert. Ihr zweites Album ist nun alles andere als schön.
[MA]: Schönheit ist relativ und individuell. Ich messe meine Musik nicht an ihrer Schönheit, sondern allein an ihrer Realitätsnähe. Mich interessiert die authentische und realistische Umsetzung meiner Gefühle. Ausserdem habe ich mich verändert; ein Künstler sollte nie auf seinem Status Quo sitzen bleiben. Je mehr sich ein Künstler – und auch ein Mensch – wandelt, desto besser ist es für ihn.
[TB]: Wie reagieren die Zuschauer auf Ihre Auftritte?
[MA]: Mit einer radikalen Performance erfährst du die Mentalitäten der Menschen in den verschiedenen Weltgegenden am eigenen Leib: Italiener reagieren komplett anders als Franzosen oder Belgier. Einige Zuschauer können mit dem Dargebotenen nicht umgehen, sie sind schockiert, hören nicht zu und rennen weg. Andere zeigen sich beeindruckt von der Kraft meiner Musik und stellen sich den reproduzierten Realitäten.
[TB]: Welcher Zuhörer ist Ihnen lieber? Vielleicht ist ja gerade derjenige, der den Saal verlässt, der wahre Pazifist.
[MA]: Es gibt viele Beispiele dafür, dass Menschen in realen Kriegen nicht so schnell flüchten – oft bleiben sie sogar zu lange. Als Künstlerin bevorzuge ich natürlich die Leute, die bleiben – es ist nicht sehr interessant mit Abwesenden zu sprechen. Es liegt in der Natur meines Projektes, dass Zuschauer den Saal verlassen – es ist nicht mein Hauptanliegen sie bei guter Laune zu halten. Meine Lieder handeln nicht nur vom Leben, sondern auch vom Tod. Diejenigen, die weglaufen, wollen weder mit starken Gefühlen noch mit dem Krieg konfrontiert werden und verschliessen ihre Augen.
[TB]: Wie definieren Sie Erfolg?
[MA]: Erfolg heisst für mich, dass ich die Möglichkeit habe, meine Emotionen und meine Botschaften einem grösseren Publikum mitzuteilen. Ich will jedem Einzelnen etwas mit auf den Weg geben und im Idealfall sein Verhalten verändern. Auf meinem ersten Album sang ich Hebräisch, jetzt habe ich ins Englische gewechselt, weil mir wichtig ist, dass meine Botschaften ankommen. Ich lasse meinen Hörern allerdings die Gedankenfreiheit. Es ist nicht meine Aufgabe, Antworten zu geben. Ich will verwirren und für Anstösse sorgen.
[TB]: Was waren die Gründe für Ihren Umzug von Tel Aviv nach Berlin?
[MA]: Ich finde es interessant, in dem Land zu leben, wo vor fünfzig Jahren der Holocaust in Gang gesetzt worden ist. Ausserdem ist Berlin eine sehr spezielle Stadt, die viele Veränderungen mitmacht – auch eine Stadt sollte sich wandeln; ich kann schlafende Orte nicht leiden. Ich habe Berlin auch gewählt, weil ich den Klang der deutschen Sprache liebe. Wahrscheinlich werde ich aber bald wieder weiterziehen, denn ich kann nie sehr lange an einem Ort wohnen – ich bewege mich gern.
[TB]: In einem Interview haben Sie den jüdischen Holocaust mit dem Palästina-Konflikt gleichgesetzt. Stimmt diese Aussage?
[MA]: Nein, ein solcher Vergleich ist unsinnig. Beobachtungen zeigen aber, dass ein Volk, an dem ein Genozid verübt worden ist, später zu ähnlichen Greueltaten neigt. Wenn Menschen ihre Traumas nicht verarbeiten, neigen sie dazu sich zu rächen – wenn Kinder, die in ihrer Kindheit geschlagen worden sind, die Gewalt ihrer Eltern weder erkennen noch verarbeiten, verprügeln sie später ihre Kinder. Es darf nicht sein, dass jüdische Israeli den Holocaust dazu benützen, sich für ihren Umgang mit den Palästinensern zu entschuldigen. Der Vergleich Holocaust und Palästina-Konflikt taugt also höchstens dazu, gewisse Situationen erklärbarer zu machen; es liegt in der menschlichen Natur, dass wir in unserer Lernfähigkeit limitiert sind. Die Juden machen natürlich nicht dasselbe mit den Palästinensern, wie die Deutschen vorher mit ihnen gemacht haben; es gibt keine Konzentrationslager, wenn auch die Flüchtlingslager teilweise ähnlich aussehen. Die Beziehung der Deutschen zu den Juden lässt sich nicht mit der zwischen den Juden und den Palästinensern vergleichen.
[TB]: Obwohl viele junge Israelis dem Friedensprozess positiv gegenüberstehen und auch einen palästinensischen Staat befürworten, bekommt man in Israel oft den Eindruck, dass sie nicht mit dem Konflikt konfrontiert werden möchten und keine grosse Ahnung davon haben, wie die Palästinenser in den besetzten Gebieten leben. Sie wollen Frieden, weil sie genug vom Krieg haben.
[MA]: Viele Juden gehen nicht nach Ostjerusalem oder in die besetzten Gebiete, weil sie dort nicht erwünscht sind und weil sie respektieren, dass diese Gebiete den Arabern gehören. Es gab Zeiten, da bin auch ich nicht in den arabischen Teil der Stadt gefahren, weil ich die Palästinenser dort respektiere. Man braucht nicht vor Ort zu fahren, um Betroffenheit zu signalisieren. Ich fühle die Spannungen in Israels bereits in den Menschen - in ihrem Benehmen, in ihrer fehlenden Geduld. Die Israelis sind unfähig miteinander umzugehen, und dies ist nicht nur zwischen den Palästinensern und den Juden so, sondern zwischen allen Bewohnern dieses multikulturellen Staates. Die Juden, die aus der arabischen Welt nach Israel gekommen sind, haben völlig andere Ansichten und eine andere Mentalität als die amerikanischen und europäischen Juden. Bis heute haben sich die beiden Gruppen kaum annähern können. Ich denke, in ein paar Jahren wird es einen israelischen und einen palästinensischen Staat geben. Ich sehe keinen anderen Weg.
[TB]: Wäre nicht auch eine Föderation mit autonomen Teilstaaten eine Möglichkeit?
[MA]: Schon, aber nicht eine sehr realistische. Ich kann mir nicht vorstellen, dass all diese verschiedenen Interessengruppen unter einem Dach hausen könnten; ich beispielsweise kann nicht mit orthodoxen Juden zusammenleben. Es braucht zwei separate Länder. In einer Föderation würde man es auch verpassen, dass mit Palästina endlich ein demokratischer arabischer Staat entstehen könnte.
[TB]: Was beschäftigt Sie sonst noch?
[MA]: Ich liebe Kinder, und ich arbeite in Israel oft mit ihnen zusammen. Die kleinen Geschöpfe sind das beste, ehrlichste und cleverste Publikum überhaupt. Die Tragödie der Welt sehe ich darin, dass Sprösslinge, wenn sie älter werden, die ganze Scheisse der Menschheit infiltriert bekommen.