Denise Garcia hat einen sehr direkten und persönlichen Film über die Frauen der Baile Funk Szene in Rio de Janeiro geschaffen. Ein Interview mit der brasilianischen Regisseurin.
[Norient]: Dein Film I’m Ugly but Trendy stellt das Funk-Universum Rio de Janeiros aus der Perspektive der «Funkeiras» dar, der weiblichen MCs, die in ihrem «anderen» Leben Mütter, Ehefrauen und Studentinnen sind. Wie war deine erste Berührung mit dem Funk? Und wie entstand die Idee, daraus einen Film zu machen?
[Denise Garcia]: Ich wohnte in dieser Zeit im Stadtteil Ipanema, der direkt neben der Favela do Cantagalo gelegen ist. Ich habe immer diesen Sound aus der Favela gehört, die Menschen haben sich so amüsiert. Also holte ich mir im Januar 2004 die Telefonnummer der erfolgreichen Rapperin Tati Quebra Barraca, weil ich entschieden hatte, diese Leute selbst kennen zu lernen. Ich rief sie an und machte ein Treffen mit ihr aus und am nächsten Tag schon fing ich an zu filmen und hörte nicht mehr auf. Das ging über ein Jahr so.
[NT]: Wie war es für dich beim ersten Mal auf einem Baile?
[DG]: Zu meinen ersten Funk Bailes fuhr ich mit Tati hin. Ich war sehr beeindruckt, dass diese 25jährige Frau, die im achten Monat mit ihrem dritten Kind schwanger war, so abgehen konnte. Wenn sie auf der Bühne erscheint, ist sie die Königin, alle kennen ihre Songs auswendig. Das fand ich schon super rebellisch. Es ist nicht mehr diese alte brasilianische Rolle, bei der sich die Frauen nur schön und sexy zeigen und dabei immer still bleiben. Nein, diese Frau war anders!
[NT]: Der Titel deines Dokumentarfilms: «I´m Ugly but Trendy» ist ein Zitat aus einem Liedtext von Tati. Hast du ihn aus diesem Grund gewählt?
[DG]: Dieser Titel offenbart, wie Funk in Brasilien gesehen wird, nämlich immer noch als etwas Hässliches. Wenn er aber zur Mode wird, und das ist anderen Dingen in Brasilien nicht anders, akzeptieren die Leute es plötzlich und die Kritik verschwindet.
[NT]: Kannst du das ein bisschen genauer erklären?
[DG]: Die Frauen aus der Favela, vor allem, die «schwarzen», sind für das Putzen des Fußbodens zuständig, während die Männer die Chauffeure und Sicherheitsmänner sind. Aber Künstler? Nein! Als Künstler werden sie weder gesehen noch ernst genommen. Idealerweise sollen sie für die Mittel- und Oberschichten zum Beispiel in der Küche unsichtbar sein. Es wäre eine sehr falsche Vorstellung von Brasilien zu glauben, es sei kein rassistisches Land. Der Mensch aus der Favela erschreckt die Mittelklasse. Allein schon deshalb, weil er zwangsläufig mit dem Drogenhandel in Verbindung steht, selbst wenn das für ihn als Person gar nicht zutrifft. Prozentual gesehen ist die Zahl der in der Favela lebenden Menschen, die selbst im Drogenhandel stecken, verschwindend gering. Der Funk stellt da heute eine Perspektive dar, die es früher nicht gab: Die Jugendlichen schauen auf zu Tati oder welchen Funkeiros auch immer und sehen, dass man mit Funk Ruhm erwerben und Geld machen kann. Immer mehr Heranwachsende wollen daher heute Künstler, also MC’s werden.
[NT]: Die Frauen MC’s singen dabei fast nur über Sex.
[DG]: Ich finde es sehr wichtig, dass die Frauen gerade über Sex sprechen anstatt über andere Dinge. Sie demonstrieren damit eine feminine Macht, die ich als neuen Feminismus bezeichnen würde. Ein Feminismus, der sagt, dass auch Frauen Spass am Sex haben und der darüber spricht, was sie dabei wollen. Und wenn sie sich sexy anziehen und sich sexy benehmen möchten, dann sind sie es, die das bestimmen und entscheiden. Genau das finde ich für den aktuellen Diskurs über den Feminismus sehr wichtig. Denn das bedeutet , dass sie über Kontrolle verfügen. Im Vergleich dazu sind die Frauen in der Mittelklasse sehr still. Meiner Meinung nach läuft es in der Favela gleichberechtigter ab, denn der Diskurs über Sex ist offener oder zumindest existiert er überhaupt.
[NT]: Sehen sich diese Frauen selbst als Feministinnen?
[DG]: Nein, es ist unglaublich, sie sehen sich nicht als Feministinnen. Denn den Weg, den Feministinnen in Amerika oder im Westen gegangen sind, mussten die Frauen aus der Favela nie gehen: als der Feminismus in den Vereinigten Staaten angefangen hat, ging es wesentlich um einen Kampf der Frauen, auch arbeiten zu dürfen und damit unabhängig zu werden. In der Favela gab es diese Konstellation nie, denn die Frau in der Favela mußte immer arbeiten gehen. Hätte sie nicht gearbeitet, hätten die Familien nicht überleben können. Deshalb gab es dort diese feministische Diskussion der selbstständigen Frau, bezogen auf den Arbeitsmarkt nie. Hier geht es mehr um Gleichheit, auch um das Recht sich amüsieren, denn die brasilianische Frau war oft in der Rolle, beispielsweise beim Karneval, sich als sexy, als rassige Frau zur Schau zu stellen. Alternativ dazu gab es die Bossa Nova-Frau mit ihren blonden Haaren, die fast eine Jungfrau sein musste – der Bossa Nova kommt ja aus einer reichen Schicht der Gesellschaft und die Frauen, die dort besungen werden, müssen blond und «weiss» sein. Dabei sind die meisten Brasilianerinnen «schwarz» und haben einen riesigen Hintern. Darum mag ich auch den Titel «Ich bin hässlich aber trotzdem trendy»: Tati, von der er stammt, ist bestimmt keine Schönheit, sie ist klein und dick, aber sie hundert Prozent Brasilianerin und in der Favela, in der sie lebt, wird sie dafür auch geschätzt.
[NT]: Die Medienwissenschaftlerin Ivana Bentes bezeichnete Tati als eine der Expressionisten Brasiliens. Sie habe eine Sprach, die mit vielen Vorurteilen arbeite und selbst absolut «macho» sei. Sie begebe sich oft in dieselbe Position wie ein Macho, wenn sie singt: «ich ficke jeden, ich benutze Männer als Objekt». Bentes beschreibt das als eine Art Karikatur. Würdest Du sagen, dass die Art und Weise, wie die weiblichen MCs singen, eine Reaktion auf das ist, was die Männer singen?
[DG]: Nein, das ist ein Spass. Auch das ist etwas, das ich als neu empfinde. Denn der Feminismus, den wir kennen, handelt immer davon, dass Männer und Frauen in einer konfrontativen Weise etwas zu klären haben. Aber im Fall dieser jungen Frauen ist es eher ein Spiel. Sowohl von Seiten der Frauen als auch von Seiten der Männer handelt es sich eher um Einladungen, um zusammen zu sein. Auch das finde ich neu, die Frauen hören mit dem ewigen Streit auf und sagen, «komm, ich will und ich mag es». Ich sehe so viele Analysen von Soziologen und Anthropologen in Brasilien, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie eine Woche in der Favela gewesen sind und danach ein Buch darüber schreiben. Untersucht wird immer noch die Favela als exotische Umgebung, in welcher der Mann und die Frau zwei vollkommen stereotype Rollen haben. Doch so einfach ist es nicht, gerade in der Favela ändern sich die Dinge rapide.
[NT]: Meinst du, dass es durch den aufkommenden internationalen Erfolg von Baile Funk heute einen Unterschied in der Wahrnehmung der Favela gibt?
[DG]: Klar, den gibt es: Denn die brasilianische Gesellschaft liebt immer das, was in Nordamerika und in Europa wertgeschätzt wird. Das ist natürlich positiv für die Funkeiros. Aber für sie ist es viel wichtiger, Erfolg auf den Bailes selbst zu haben. Es ist wichtig, auf die Bühne zu gehen und alle mitsingen zu sehen, weil sie mit diesen Shows ihr Geld verdienen. Mit dem Verkauf der CDs verdienen sich nichts, weil es alles Raubkopien sind. Wir haben heute in Rio ungefähr 700 Favelas und alle haben ihren Baile. Ein MC, der in der Funk-Szene schon bekannt ist, spielt auf zehn bis 15 verschiedenen Bailes am Wochenende und hat natürlich ausgesorgt. Denn ein Auftritt dauert nur ungefähr 20 Minuten, davon schaffen sie in einer Nacht vier bis sechs.
[NT]: Wie hast du die Menschen erlebt, die du filmen wolltest und befragt hast. Wie waren ihre Reaktionen auf dein Projekt?
[DG]: Ich hatte nie irgendwelche Probleme und konnte alle Fragen stellen. Ich hatte fast das Gefühl, dass sie darauf gewartet haben, dass endlich jemand kommt und sie sprechen lässt. Einige erzählten mir, dass zwar die Zeitungen und das Fernsehen über den Funk und die Favela berichten, dass aber niemand sie fragen würde, was sie davon halten. Es wird die ganze Zeit über sie geredet, aber niemand lädt sie dazu ein, sich an der Debatte zu beteiligen. Eher kommt ein Anthropologe zu Wort als ein Funkeiro.
Der Trailer zum Film