photo: Soundwalk Collective

Medeas Klänge vs. Hupkonzerte

Review
by Eckehard Pistrick

Zwei neue Alben zeigen zwei vollkommen unterschiedliche Bearbeitungsformen von Soundscape-Aufnahmen. Auf der CD Cosmopolitan Jazz porträtiert der Musikethnologe und Soundscape-Übervater Steven Feld ein Orchester aus Minibus-Hupen in Accra. Die jüngere Generation arbeitet eher klangkünstlerisch: Das Soundwalk Collective vermischt in Medea flüchtige und ewige Sounds von den Schwarzmeerküsten. Beide Projekte laden ein zum akustischen Mitflanieren.

Wer mit geschlossenen Augen durch seine Stadt geht, kann sie nicht durch ihre visuellen Reize sondern durch seinen Gehörsinn erkunden. Sakrale Räume – profane Räume, Modernes und Traditionelles, Intimität und Öffentlichkeit aber auch Klangbrüche kann man hören. Klang wird so zum Spiegel von Raum, Zeit und Veränderungen.

Dieses Konzept haben die Forscher der soundscape studies eingeführt. Einer der Ersten war der amerikanische Musikethnologe Steven Feld, der heute isoliert in der Wüste von New Mexico lebt. Junge Künstler wie das Soundwalk Collective aus New York eifern ihm nach: Sie haben schon das Leere Viertel der arabischen Wüste bereist und Martin Heidegger in die Urwälder Bessarabiens versetzt. Sie haben die Schamanen im peruanischen Regenwald mit halluzinogenen Klängen begleitet oder sounds für die neue Modekollektion von Chanel entworfen (Making-of-Video hier). Das Soundwalk Collective weiss wie man die Leere, das Unfassbare in Klang giesst.

Das Soundwalk Collective bei ihren Aufnahmen des Schwarzen Meers (photo: Soundwalk Collective)
The Black Sea

Ihre Arbeit gleicht der von Bildhauern die ihre Skulpturen in minutiöser Kleinarbeit aus dem Fels arbeiten: sie schleifen, verdichten, brechen, feilen und polieren bis das Klangkunstwerk steht. Um die Leere jenseits geographischer oder kultureller Grenzen geht es auch in ihrem neuen Projekt Medea. Es handelt sich um eine Art akustisches Tagebuch vom Rand des Schwarzen Meers-Türkei, Georgien, Russland, Krim, Ukraine, Rumänien und Bulgarien. Bei den Radiowellen, Klangsplittern, dem ätherischen Rauschen und Kratzen schwingen hier immer auch historische Konnotationen, ja unterschiedliche Bedeutungsschichten mit. Es geht vor allem um das Ausdeuten von Leere. Es geht um Bedeutungsloses und Bedeutungsvolles; um Flüchtiges und Ewiges:

Zu behaupten, dass wir uns über das Schwarze Meer bewegen, ist eine relative Wahrheit. Ein Soundwalk vollzieht sich auf einer flachen weiten Oberfläche auf der Radiowellen frei schweben. Eine Matrix. Es gibt keine Einsamkeit. Wir sehen niemanden, trotzdem greifen wir unbedeutende, ernste, flüchtige Botschaften von tausenden von Männern und Frauen auf, deren Wege sich begegnen oder die sich voneinander entfernen. Wir nehmen die Gesamtheit von Worten auf und klassifizieren sie. Diese Wellen haben einen Körper, der sich in farbigen Kurven auf unseren Computerbildschirm niederschlägt, und wir komponieren ihn mit einer ausgefeilten Software. Wir machen eine Sinfonie daraus, eine Klanganthropologie.

Arthur Larrue im Begleittext zu «Medea-Collection from the Black Sea»

Dabei hat ihr Ansatz nichts mit Ethnologie zu tun – es ist die Dokumentation eines «Sich Verlierens» – im Fremden, im Mystischen, im Schönen. Der Aufwand dahinter verblüfft: auf einem Schoner reisten die fünf jungen Künstler um Stephan Crasneanscki in anderthalb Monaten auf dem Schwarzen Meer - ausgerüstet mit hochsensiblen Sound Scannern, Mikrophonen und Antennen. Am Rand des Meeres laden sie zu sound parties in lokalen Klubs, dinieren mit dem georgischen Präsidenten im Luxushotel, landen in türkischen Nachtklubs – lauschen einem türkischer Fischer eine vereinsamte Oboen-Melodie ab oder lassen sich von einer abgewrackten rumänischen Diva zur Aufnahme in ihre Luxuslimousine laden.

Track nicht mehr verfügbar.

Letztlich geht es um den alten romantischen Topos vom Meer ohne Anfang und Ende. Zusammen mit einer Art poetischem Bordtagebuch und flüchtigen aber unheilschwangeren schwarz-weiss Fotografien von Stephan Crasneanscki bietet die 45 minütige CD eine Art Gesamtkunstwerk, dass auch als solches zu hören ist: von der ersten bis zur letzten Minute – mit angehaltenem Atem.

Soundwalk Collective

Das Ergebnis ist ein postmoderner hochsensibler Remix – auch wenn das Resumé der Reise für die Künstler selbst ernüchternd ausfällt:

Wir fanden keinen Klang weder für Medea, noch für das Schwarze Meer – nur Russen auf Urlaub, die über das Weisse Meer sprachen…

Ganz anders präsentiert sich ein Soundwalk von Steven Feld durch Accra, Ghanas pulsierende Hauptstadt. Hier ist ein dezidiert ethnologisches Interesse an Performances am Werk: man sucht nach dem besonderen Klang. Höhepunkt in dieser Hinsicht ist «La Drivers Union Por Por Group» ein Orchester aus den Fahrzeughupen von Minibussen: Por por ist ein Mini-Horn mit einem luftgefüllten Gummiball. Steven Feld entdeckte diese Gruppe 2002, filmte sie und machte Aufnahmen: Das nachhörbare Ergebnis ist ein ohrenbetäubendes musikalisches Spektakel. In einem anderen Stück greifen lokale Xylophon Spieler die rhythmischen Muster quakender Frösche auf und machen sie zu Musik. Egal ob atemberaubende Solos lokaler Jazz Musiker, Händels Halleluja, Totenklagen oder ein Froschkonzert des bufo regularis – alles verschmilzt in einem kosmopolitischen Kosmos, bei dem die Inspiration stets über der Kommerzialität steht.

Jazz Cosmpolitanism in Accra

Aus allen Aufnahmen spricht eine unbändige Lebensfreude und wie beim soundwalk collective eine aussergewöhnliche Sensibilität des akustischen Beobachtens. Auch der Wissenschaftler selbst greift ins Geschehen ein, als Bass Spieler und Arrangeur. Er bleibt also nicht aussen vor sondern wird Teil des Geschehens. Genau dieser Ansatz war seit seinem ersten bahnbrechenden Werk «Sound and Sentiment: Birds, Weeping, Poetics, and Song in Kaluli expression» (1982) über Jahre die Philosophie von Feld – er gab seinen «Informanten» Mikrophone und Fotoapparate in die Hand und liess sich die Welt von Ihnen erklären. (siehe Norient-Post Zwischen Krach und Stille)

Auf Steven Feld's VoxLox Label erschienen Sampler «Jazz Cosmopolitanism in Accra» hört man auch die Jazz Affinität von Feld heraus – Jazz ist trotzdem bei weitem nicht alles was auf der CD zu hören ist – kreativ ist es allemal. Es ist eine Art Vermächtnis einer Zusammenarbeit zwischen lokalen Musikern und einem Musikethnologen, der 5 Jahre in Ghana gelebt und gearbeitet hat.

Stephan Crasneanscki (Fotos)/Arthur Larrue (Text). 2012. Soundwalk Collective. Medea-Collection from the Black Sea. Mit Audio-CD. Dis Voir/ZagZig Series Paris. ISBN 978-2-914563-66-6

Steven Feld. 2009-2012. Jazz Cosmopolitanism in Accra. Companion Audio-CD/DVD Trilogie. VoxLox Records. + Jazz Cosmopolitanism in Accra: Five Musical Years in Ghana, Duke University Press Books, ISBN 082231625.

Biography

Eckehard Pistrick is currently substitute Juniorprofessor at the Institute for European Ethnomusicology at the University of Cologne. He has published extensively on Southeast European music and on issues of music and migration including Performing Nostalgia-Migration Culture and Creativity in South Albania (Ashgate, 2015). He has co-directed two documentary films and has collaborated with the Soundwalk Collective for a project on the rehabilitation of the Radio Tirana Sound Archives.

Published on November 06, 2012

Last updated on May 01, 2024

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