Aus einer Bibliothek von 23’000 Soundfiles – vom Aktenvernichter bis zum Absaugrohr, von der Planierraupe bis zum Bauchspeck – schufen schwedische Musiker und Filmemacher eine Symphonie von Malmö. Ein Interview mit dem Regisseuren des Films Sound of Noise.
Man nehme eine Handvoll Musiker mit krimineller Energie und das Mobiliar einer Spiesserwohnung. Heraus kommt der Kurzfilm «Music for one apartment and six drummers» – ein auf youtube millionenfach angeklicktes, absurdes Lehrstück für alle Perkussionisten. Mit Klo- und Zahnbürste, Schlaftabletten, Mixer, Eieruhr und Staubsauger schichten die Eindringlinge Rhythmen, erschaffen Kleinode zwischen Küchen-Funk und Toiletten-Drum'n'Bass.
Doch Haushaltmusik war gestern: Regisseur Ola Simonsson hat seine Truppe erneut zusammengetrommelt und wagt nun mit dem kompletten Feature-Film Sound of Noise den Sprung zum denkbar größten Instrument: eine Stadt. Seine sechs Helden sind sämtlich vom herzlosen und eingefahrenen Musikbetrieb enttäuscht, sie verdienen ihre Brötchen etwa als Schlagzeuger einer bräsigen Showband, als gelangweilter Paukenschläger für die berühmte Haydn-Symphonie. Und so greift das Sextett um den nerdigen Komponist Magnus Börjeson und die herrlich unterkühlte Sanna Persson zum äussersten Mittel: Mit gezielten musikalischen Terroranschlägen auf Malmö unterminieren sie das Establishment. Und realisieren dabei eine groteske Partitur in vier Sätzen mit punkiger Energie, technoidem Flair und Industrial-Anleihen: Sie entern ein Krankenhaus und machen den OP-Saal inklusive Patient zum Schlagwerk. Mit dem Schlachtruf «Hands up, this is a gig!» wird groovend eine Bank überfallen. Der Aufführung einer Symphonie fahren sie mit Bulldozer und Presslufthammer in die Parade. Und schliesslich hämmern sie gar aus dem städtischen Stromnetz eine monströse Klang- und Lichtshow.
Ein Jahr lang haben Simonsson und seine Perkussionisten nach Objekten und Gebrauchsgegenständen gesucht, die sich für ihre Zwecke verwenden liessen. Aus einer Bibliothek von sage und schreibe 23'000 Soundfiles, vom Aktenvernichter bis zum Absaugrohr, von der Planierraupe bis zum Bauchspeck wurde diese unorthodoxe «Symphonie der Grossstadt» dann zusammengesetzt. Geholfen hat der französische Klangkünstler Nicolas Becker, der auch für den Sound der Harry Potter-Filme verantwortlich ist. Verwöhnt durch die handwerkliche Dichte des vorangegangenen Kurzfilms hätte man sich als Zuschauer/-hörer natürlich noch mehr und längere Klangattacken gewünscht. Doch es muss ja auch Platz bleiben für einen Gegenspieler der Musikterroristen, verkörpert durch den komplett unmusikalischen Ermittler Amadeus (!) Warnebring (Bengt Nilsson). Mit Minderwertigkeitskomplexen gegenüber seinem Bruder, einem Stardirigenten, behaftet, will er nicht nur die Musiker, sondern die Musik überhaupt zur Strecke bringen. Ob ihm das gelingt, zumal er sich in die Perkussionistenchefin Sanna verliebt? So viel sei verraten: Warnebring, der von einem «Sound Of Silence» träumt, wird am Ende Zeuge einer veritablen «Electric Love».
Interview mit Ola Simonsson, Regisseur von Sound Of Noise
[Stefan Franzen]: Herr Simonsson, woher kommt Ihre Obsession für Perkussionsinstrumente?
[Ola Simonsson]: Ich denke nicht, dass es eine Obsession für Perkussion ist, mein Antrieb ist eher, Musik aus Alltagsgegenständen zu produzieren. Die Musiker im Film trommeln ja auch nicht einfach auf allem herum, sondern versuchen, Töne und Akkorde auf bestimmten Gegenständen zu fabrizieren. Nach dem Kurzfilm Music For One Apartment And Six Drummers haben wir ständig weitergeforscht, auf was für Objekten sich spielen liess, und irgendwann entschieden wir dann, dass wir einen abendfüllenden Film wagen sollten.
[SF]: Gab es für diese Brücke zwischen hör- und sichtbarer Rhythmik irgendwelche Vorbilder in der Filmgeschichte?
[OS]: Wir haben uns gar nicht viele andere Filme angeschaut, sondern darauf konzentriert, unsere eigene Sprache zu finden, was natürlich manchmal heissen kann, dass man das Rad neu erfinden muss. Aber so konnten wir unseren Stempel aufdrücken, niemanden kopieren. Wir glauben im übrigen, dass jeder diese Musik machen kann und ermutigen die Leute dazu! Es wäre toll, überall auf der Welt neue Snare- und Bass-Drums zu haben, also öffnet eure Ohren und hört auf eure Umgebung! Ein Beispiel: Als ich am Computer die Sounds für den Kurzfilm zusammensetzte, da fing meine Frau – auch eine Musikerin – in der Küche an, auf dem Mixer zu spielen.
[SF]: Nur für die Statistik: wie viele Musikinstrumente wurden im Film zerstört?
[OS]: (lacht) Das war schmerzhaft für mich, denn ich bin selber Musiker. Doch wir mussten es tun für diese eine Szene. Ich habe sie nicht gezählt. Wir haben versucht Instrumente zu finden, die noch gut aussahen, aber nicht mehr spielbar waren. Bengt Nilsson, der den Kommissar spielt, hat sich so aufs Kaputtmachen konzentriert, dass er danach für ein paar Minuten nicht mehr ansprechbar war. Er ist ja in seiner Zerstörungswut auch sehr überzeugend.
[SF]: Wie entstanden die Sounds, die wir im Film hören?
[OS]: Wir haben ein Jahr lang mit den Drummern und dem französischen Soundkünstler Nicolas Becker daran gearbeitet, das ist der Mann, der auch für die Harry Potter-Filme die Klänge gemacht hat. Im Verlauf dieses Jahres hatten wir fünf Aufnahmesessions über mehrere Tage. Dafür wurden eine Menge von Instrumenten und Objekten zusammengetragen, die Drummer haben versucht, dafür Sounds und Rhythmen zu finden, die wir dann aufgenommen haben. Für die Szene vor der Oper zum Beispiel haben wir Baumaschinen und Bulldozer gefunden, die sehr alt waren. Die neuen sind leise, wir aber brauchten knallende Türen, heftige Motoren. Am Ende hatten wir eine «Bibliothek» von 23'000 Files auf dem Rechner und wurden fast verrückt, wegen der vielen Optionen, aus denen sich die Stücke bauen liessen. Das Shooting funktionierte dann eher wie in einem Rockvideo. Wir liessen den Sound, den wir aus den Files zusammengesetzt hatten, im Hintergrund laufen, und die Drummer agierten dazu.
[SF]: Würden Sie zustimmen, dass der Featurefilm eine Art Technoversion des Kurzfilmes ist, was den Sound angeht? Der Kurzfilm war ja sehr akustisch und Sound Of Noise wird vor allem gegen Ende eher hart ...
[OS]: Den Techno haben wir nie diskutiert, eher den Punk. Wir haben Einstürzende Neubauten und The Prodigy gehört, Musik mit grosser Energie. Anfangs wollten wir bei akustischen Instrumenten bleiben, aber das wäre fast in Richtung südamerikanische Party abegdriftet, und diesen Stil wollten wir nicht. Als wir uns dann für elektrische Instrumente entschieden, wurde es cooler.
[SF]: Im vierten Satz hängen die Musiker an Starkstromleitungen. Wurde das mit Stuntmen gedreht?
[OS]: Es gab einen Moment, in dem wir versuchten, die Musiker an die Kabel zu bringen, aber es war zu gefährlich. Ich meine: Wer kann garantieren, dass keine Spannung auf der Leitung ist? Selbst wenn wir das mit den Stromversorgerfirmen abgesprochen hätten: Ich würde da nie raufgehen. Wir machten in Malmö ein altes Ausbesserungswerk für Lokomotiven ausfindig, dort gab es eine Traverse über die man Kabel hängen konnte. Die Drummer waren also in einer Höhe von fünf Metern an diesen Kabeln, und den Rest haben wir mit Blue Screen getrickst.
[SF]: Was machen die Drummer eigentlich im wirklichen Leben? Wurden Sie, wie Sanna im Film, tatsächlich von der Musikhochschule exmatrikuliert?
[OS]: Ich bin selbst auf die Musikhochschule gegangen und habe einige von ihnen dort kennen gelernt. Die Band hat vor dem Kurzfilm nicht existiert. Sanna, das einzige weibliche Mitglied, ist eine Schauspielerin, die anderen sind schauspielernde Trommler. Doch während wir den Kurzfilm machten, lernten wir die Charaktere der einzelnen Leute kennen wir wussten: Ok, dieser Typ sollte die delikateren Instrumente spielen, der dagegen ist eher der elektrische Typ, der der Solist. Im Featurefilm werden die Charaktere noch ausgebaut.
[SF]: Im Plot wird ja auch in gewisser Weise ein Kampf zwischen dem etablierten Musikbetrieb und dem Untergrund ausgetragen...
[OS]: Das würde ich so nicht sagen. Ich betone, dass ich viel klassische Musik gespielt habe, und ich mochte das. Zugegeben: Das Haydn-Stück, die «Symphonie mit dem Paukenschlag», die im Film vorkommt, ist ein bisschen doof. Aber es geht mir darum zu zeigen, dass Musik nicht in Kategorien eingeteilt werden sollte, und das passiert jedem Stil. Im klassischen Musikbetrieb herrschen Lehrmeinungen vor, dass man ein Stück genauso und nicht anders zu spielen habe, vor allem in der Alten Musik, in der Renaissance. Im frühen Jazz dagegen war die Freiheit eine Maxime, das Lustprinzip. Heutzutage allerdings ist der Jazz wieder eine intellektuelle Angelegenheit geworden, auch hier findet man wieder Festlegungen, ein Diktat der Ausführungen, bis in den HipHop hinein findet man die Stilpolizei. Das tötet die Musik. Darum geht es mir: Meine Kritik bezieht sich auf diese Engstirnigkeit der Ausübenden.
[SF]: Die Musiker Ihres Filmes werden von Kommissar Warnebrink und der Malmöer Polizei auch als Terroristen gesehen. In einer Szene werden vorsichtshalber alle möglichen unschuldigen Musiker verhaftet – das weckt Assoziationen an gewisse weltpolitische Geschehnisse.
[OS]: Natürlich hatten wir das mit im Hinterkopf. Was wir im Kurzfilm etabliert hatten, das war die Verbindung von music and crime. Eine sehr frische Perspektive, Musiker als Verbrecher zu sehen. Auch auf dem Hintergrund der Binsenweisheit, dass es – für Regime und Diktatoren - sehr schwierig ist, einen Song zu töten. Sie haben Angst vor der Macht der Musik. Schauen Sie sich an, wie die Leute in Russland Kassetten von Wladimir Wyssozki schmuggelten und das Regime keine Handhabe dagegen hatte. Auch beim ANC in Südafrika spielte Musik eine sehr wichtige Rolle, um das Apartheidsystem zu stürzen. Kommissar Warnebrink, der die Musiker zur Strecke bringen soll, träumt von einer Musik, die aus Stille gemacht ist.
[SF]: Versteckt sich in Ihrem Film auch eine Kritik an der Dauerberieselung?
[OS]: Es ist kein politischer Film. Aber als Musikliebhaber fällt mir die Dauerbeschallung natürlich schon auf. Ich sitze mit Ihnen in der Hotellobby und wir hören Musik, ist die hier wirklich nötig? Im November kommt aus allen Kaufhauslautsprechern «Stille Nacht». Während der kommunistischen Ära hatten sie speziell designte Arbeitslieder, damit die Leute effektiver und mehr arbeiteten. Auf der anderen Seite haben wir Entspannungsmusik, die mich an George Orwell denken lässt. Der Markt diktiert heute, dass Musik überall ist. Du kaufst mehr, wenn du in Stimmung gebracht wirst. Ich will selbst entscheiden können, wann ich Musik höre. Stille ist nichts Schlechtes, ich mag Stille. Meine Grossmutter kam noch aus einem kleinen schwedischen Dorf, da gab es nicht viel Musik unterm Jahr, kein Radio, kein Grammophon. Wenn Weihnachten nahte, dann freute sie sich drauf, weil sie in die Kirche gehen konnte und dort «Stille Nacht» hörte, von einem ganz speziellen Sänger gesungen. Heute, wo alles nur noch einen Click entfernt ist, haben die Leute eines verlernt: sich nach Musik zu sehnen.