photo: Dekynho/Pixabay

Ueber Anerkennung

Feldforschung in Ausente de Baixo (Brasilien), 1998. Notizen aus dem Feld aus dem Norient-Buch Out of the Absurdity of Life (hier bestellbar).


Der ethnographische Alltag ist vielfältig, faszinierend in der Wahrnehmung des Fremden, überraschungsreich bei der teilnehmenden Beobachtung, gefährlich aufgrund der beweisenden Dokumentationstätigkeit. Im Zentrum dieser Tätigkeit steht eine verstehend-kritische Anerkennung fremder Kulturen und der Austausch mit den lokalen Forschungspartnerinnen und -partnern, für die es meist unwesentlich ist, ob der Ethnograph ihre Lebenswelten ausgehend von struktur-funktionalistischen Gesellschaftsmodellen, lokalspezifischen Weltbildern oder global zirkulierenden ästhetischen Theoremen beschreibt. Für die Menschen, mit denen wir Ethnographen ins Gespräch kommen, sind die Begegnung mit dem fremden Forscher und seiner wunderlichen, geräteabhängigen Kulturarbeit eine ausseralltägliche Erfahrung.

Während meinen Feldforschungen im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais hat mir die Bevölkerung viel Interesse und Respekt entgegengebracht. Ausdruck fand dies einmal in einem zuckerwürfelgrossen Speckstück. Ich hatte einen Ritualsänger in seinem kleinen, alten und daher schiefen Lehmhaus einer Streusiedlung abseits eines abgelegenen Dorfes für ein Interview besucht. Regen hatte eingesetzt. Die Rückkehr ins Dorf hatte ein friedvoller und üblicherweise durchwatbarer, nun aber reissender Fluss verwehrt. Ich erhielt im Lichte des Herdfeuers ein mehrschichtiges Mahl: Reis, Bohnen, Gemüse und eine Art Pasta, die in der Rotfärbung von Urucum-Samen (der Orleansstrauchfrucht) die Beigabe einer Tomatensauce imitierte. Gekrönt wurde dies mit einem Stück Speck, das niemand der anwesenden achtköpfigen Familie erhalten hatte. Der Fleischkonsum in dieser sozioökonomisch armen Region war den Feiertagen vorbehalten oder – wie bei mir – eine Auszeichnung. Die exzessive Rindfleisch-Esskultur der brasilianischen Mittel- und Oberschicht hatte mich allerdings einige Jahre zuvor zum Vegetarier gemacht. Es kostete mich Überwindung, die Anerkennung der Gastgeber zu schlucken.

Dieser Text wurde zuerst publiziert im ersten Norient Buch «Out of the Absurdity of Life».

Biography

Marc-Antoine Camp ist Musikethnologe und forscht im Bereich des immateriellen Kulturerbes. Er promovierte an der Universität Zürich nach einem Studium in Historischer Musikwissenschaft, Musikethnologie und Ethnologie. Seit 2008 ist er an der Hochschule Luzern tätig, wo er den Forschungsschwerpunkt Musikpädagogik betreut.

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Published on December 11, 2013

Last updated on June 27, 2022

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