Muezzine beim Gesangswettbewerb
Gläubige Muslime folgen fünf Mal täglich dem Gebetsaufruf des Muezzins. Ein neuzeitliches Phänomen sind die Gebetsrufwettbewerbe, bei denen sich die Muezzine jedes Jahr in der Kunst messen, den schönsten Gebetsruf zu rezitieren.
Ein Löffel Honig zum Schmieren der Kehle, ein kurzes Räuspern, ein Gebet. Mikrofon einschalten, tief einatmen. Die Stimme setzt an: «Allahu akbar!» ruft Halit Aslan vom Minarett der Fatih-Moschee in die Istanbuler Nacht. Die Giga-Metropole am Bosporus erwacht zum Leben, begleitet vom Gesang von Halit Aslan – und fast 3000 weiteren Muezzinen. «Gott ist gross. Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt ausser Allah, und ich bezeuge, dass Muhammad sein Gesandter ist. Auf zum Gebet! Das Gebet ist besser als der Schlaf!»
Ist in einem Spielfilm, einem Dokumentarfilm oder einer Radioreportage die islamische Welt oder der Nahe Osten Schauplatz, wird unweigerlich der islamische Gebetsruf, der «Azan», zur Tonspur. Ertönt das «Allahu akbar», wissen wir sofort, wo wir uns befinden. Was jedoch hinter dem Azan steckt - beziehungsweise wer: Das erfahren wir in der Regel nicht. Der österreichische Filmemacher Sebastian Brameshuber will diese Regel brechen und widmet mit Muezzin den Gebetsrufern gleich einen ganzen Dokumentarfilm.
Halit Aslan, den wir zu Beginn des Films kennenlernen, will sich für das Finale des nationalen türkischen Gebetsrufswettbewerbs qualifizieren – die Türkei sucht nicht nur den «Postar Alaturka», sondern auch den Super-Muezzin. Nicht Glamour und Prominenz winken dem besten Muezzin des Landes, sondern vor allem Ehre. Und, nun ja, das Materielle findet auch im Spirituellen seinen Platz. «Was passiert, wenn Du gewinnst?», fragt Halit Aslans Sohn. Aslan antwortet, indem er Daumen und Zeigefinger aneinander reibt. «Dollars?» «Viele Dollars!»
Mustafa Yaman hat den Wettbewerb im Vorjahr gewonnen und gibt sich durchwegs selbstbewusst: Anwohner hätten sich beschwert, sein Gesang dauere zu lang und lenke sie von der Arbeit ab. Als er bei den Behörden antrabte und dort vorsang, habe ihn der Chefbeamte umarmt und gedonnert, wer diesen Azan nicht zu schätzen wisse, solle gefälligst das Land verlassen.
Habil Öndes, der das Konservatorium besucht hat und heute Muezzine ausbildet, beklagt, der Nachwuchs wisse viel zu wenig über Musik. Seiner Tochter hat er aber verboten, Musiklehrerin zu werden.
Isa Aydin trainiert die Jungs in seiner Istanbuler Vorortgemeinde in Koran und Fussball und will mit seinem Gesang die Leute zur Religion einladen.
Die vier Istanbuler Muezzine verbindet nicht nur die Religion, sondern vor allem auch die Liebe zum Gesang, zur Musik. Dass Musik im Islam keinen Platz finde oder ausschliesslich religiös geprägt sein müsse: Sebastian Brameshuber und den Protagonisten seines Films gelingt es, dieses (Vor)urteil Lügen zu strafen.
Biography
Published on December 23, 2010
Last updated on April 30, 2024
Topics
From priests claiming to be able to shapeshift into an animal to Irish folk musicians attempting to unify Protestants and Catholics.
From Pakistani wrestling practice «kushti» to muezzin singing contests in Turkey.
From the political implications of human voice to its potential of un-making sense.