Im Videoclip zu Stacie Ann Fergusons (alias Fergie) jüngstem Hit, «London Bridge», wird ausgerechnet die Tower Bridge gezeigt. Eine lässliche Verwechslung? Man solle nicht alles wörtlich nehmen, liess jedenfalls die amerikanische Popsängerin verlauten, die Tower Bridge passe einfach besser ins Bild. Durch die Anekdote belustigt, schaut man sich das Musikvideo nochmals an. Und muss Fergie irgendwie recht geben. In ihrem Hit geht es weniger um Sightseeing als um das frivole Zeichen einer gewissen Verfügbarkeit – «How come every time you come around / My London, London bridge want to go down».
Unbedeutende Verwechslung
Dominant ist in diesem Song ohnehin der furiose Rhythmus. Als Beat-Produzenten vermutet man will.i.am, Fergies Kollegen in der Rap-Gruppe Black Eyed Peas. Auf ihrem kürzlich erschienenen Débutalbum, «The Dutchess», hat er die Beats mehrerer Stücke arrangiert, inspiriert durch seinen Produzenten-Rivalen Pharrell Williams. Gerade «London Bridge» allerdings stammt vom Shooting-Star Polow Da Don. Eine unbedeutende Verwechslung: Auch Polow Da Don nämlich greift zurück auf ein Pharrell-Williams-Klischee, auf die dumpf federnde R'n'B- Rhythmik in «Hollaback Girl» – einem überaus erfolgreichen Song, den Williams für Gwen Stefanis Débutalbum «Love Angel Music Baby» (2004) produziert hatte.
In diversen Anklängen an «Hollaback Girl» evozieren seither Dance-Tracks mit scheinbar streng getrommelten Rhythmen erotische Dramatik und barocke Nostalgie, die oft eher an das Leben in der putzigen Provinz denken lassen als an die Nacht im mondänen Klub. Immer wieder wird man erinnert an Marschmusik und Cheerleader-Shouts, an Umzüge, Paraden, Variété, Musical; opulente Klangbilder dienen als Background zu öligem Trällern oder zu ironisch-schneidigen Sprechgesängen. Vergleichbare Rhythmen weisen die Hits auf, die Timbaland, einer der einflussreichsten Pop-Produzenten der letzten zehn Jahre, unlängst für die kanadisch-portugiesische Sängerin Nelly Furtado (wie «Promiscuos» und «Maneater») oder den Sänger Justin Timberlake («Sexyback») geschaffen hat. Dasselbe gilt zuletzt für Gwen Stefanis zweites Album, «The Sweet Escape», das eben erschienen ist.
Wie auf dem Erstling «Love Angel Music Baby» lässt sich Gwen Stefani wieder von verschiedenen Produzenten und Komponisten sekundieren, um im stilistischen Allerlei zwischen Pop-Ballade und Hip-Hop-Track Offenheit und Unverbindlichkeit zu demonstrieren. Während aber die Menufolge auf dem Débutalbum noch abseitige Experimente sowie rhythmische Innovation bot, die sich tatsächlich als wegweisend herausstellte, wirkt der Zweitling wie gezähmt. Das liegt nicht an radiophoner Schlichtheit einiger seichter Popsongs (produziert oder komponiert von Nelly Hooper, Toni Kanal, Keans Tim Rice-Oxley u. a.). Es ist eher dadurch zu erklären, dass, was auf dem Débutalbum trotz Achtziger- Jahre-Retro-Charakter eigenartig frisch wirkte, nun bereits im Klischee erstarrt. Pharrell Williams' Paradestücke stehen weit über dem vernachlässigbaren Rest von «Sweet Escape»; sie nehmen sich jedoch aus wie Selbstzitate. Zwar sorgt er mit «Wind It Up» und vor allem mit «Yammy» abermals für musikalische Höhepunkte, für üppige Klangbilder über packenden R'n'B-Grooves (bemerkenswert ist insbesondere das futuristische Heavy-Metal-Drehorgel-Outro von «Yammy»). Hingegen ist es ihm nicht gelungen, seinen Beats einen neuen Drall zu verpassen und damit Stefani nochmals als musikalische Vorreiterin zu präsentieren - da mag diese hier jodeln, wie sie will.
Allerdings: Will eine Stefani überhaupt Vorreiterin sein? Gwen Stefani unterhält ein Mode- Label («L. A. M. B.»), gleichzeitig aber gibt sie vor, nichts von Mode zu verstehen - sie habe eben stets getragen, was ihr gerade so passte. So ähnlich hält sie es heute auch in der Musik. Im Unterschied zu grossen Popmusikerinnen der neunziger Jahre - etwa Björk, Beth Gibbons, Lauryn Hill oder Erykah Badu -, die zu kulturellen Idolen und Integrationsfiguren avancierten, weil sie einen eigenen Sound entwickelten, im Unterschied auch zur Über-Ikone Madonna, die als Selfmade-Popstar immer auf die richtigen Trends setzte, scheint für Stefani eine gewisse Distanz zur eigenen Maskerade charakteristisch. Ihrem Auftreten fehlt die Stabilität eines eigentlichen Images, auch wenn sie sich öfters auf die Rolle eines platinblonden Bubblegum-Comic-Girls kapriziert. So taugt sie weder zur Superfrau noch zur Verkörperung feministischer Ideologie, liberalistischer Ideale. Vielmehr kennt man sie als ebenso coole wie gemütlich-entspannte Pop-Interpretin, die sich pudelwohl fühlt in provinziellen Anklängen schriller Songs.
Lockere Identifikationsfiguren
Auch dass die Epigoninnen nun musikalisch aufschliessen konnten zu ihr, wird sie nicht beunruhigen. Zusammen mit Sängerinnen wie Nelly Furtado, Fergie u. a. definiert Gwen Stefani heute so etwas wie den Status quo des femininen Mainstream-Pop, wo sie unverkrampfte Frauenpower repräsentieren. Dabei scheint es nun irgendwie fast obsolet geworden zu sein, die drei Sängerinnen musikalisch gegeneinander auszuspielen. Die Beats der Produzenten sind stets ähnlich und stets ähnlich gut; auch die Gesänge sind, wiewohl ihnen grosse Stimmen fehlen, zumindest stimmig in die Tracks eingepasst. Freilich kann man bemängeln, dass die brave Nelly Furtado, die sich sehr unvermittelt an R'n'B und Hip-Hop anbiederte, musikalisch und schauspielerisch ziemlich überfordert scheint durch die Wucht der Rhythmen, die ihr ein Timbaland vorlegt. Und jenseits von schrill und ölig fehlt es einer Stefani gesanglich weitgehend an expressiver Tönung, dafür ist ihr Glamour entwaffnend. Dagegen wiederum scheint Fergie, obwohl eine recht virtuose Sängerin, die sich auch in Latin- und Reggae-Nummern bewährt, etwas zu ordinär...
Wichtiger sind die Gemeinsamkeiten: Im Unterschied zu einstigen Teen-Stars wie Britney Spears oder Christina Aguilera wurde die Solo- Karriere von Fergie (geboren 1975) und Stefani (geboren 1968) ziemlich spät lanciert. Diese abgeklärten Pop-Frauen haben schon einiges erlebt: Nelly Furtado und Gwen Stefani sind Mütter. Fergie, die selber noch bei ihrer Mutter leben soll, macht kein Hehl aus ihren einstigen Drogen- und Essproblemen. Gerade die Natürlichkeit, der Esmeralda-Touch einer Nelly Furtado, die Unbekümmertheit Stefanis und Fergies menschliche Makel wohl machen weibliche Stars im Zeichen abermals unsicherer Geschlechterrollen zu zeitgeistigen Identifikationsfiguren.
Crossover und Persiflage
Das wahre Leben allerdings wird selten zum Thema. Als langjährige Sängerin der Indie-Ska- Band No Doubt mochte sich Gwen Stefani einst noch in expressiver Ehrlichkeit versucht haben. Seit sie 2001 an der Seite der Rapperin Eve (im Titel «Let Me Blow Ya Mind») die Popszene mit ihrem alles überstrahlenden Charisma verblüfft hat, lässt sie musikalisch so dies und das mit sich geschehen – vorausgesetzt, die Produzenten haben Niveau und bringen die eskapistischen Stärken ihrer grellen Stimme zur Geltung. Fast möchte man nun einen Rückfall in eine traditionelle musikalische Rollenverteilung erkennen: hier der Autor, der Produzent, der Mann – da die Frau, die Interpretin. Aber Stars wie Stefani investieren nicht ihr Leben in die Musik, sondern lediglich die Stunden zwischen Modegeschäft-Management, Kinderbetreuung und Schauspielern. Obwohl sie viel künstlerische Kompetenz an ihre Produzenten delegieren, riskieren sie ihre Freiheit und Souveränität nicht. Sie bleiben, so scheint wenigstens zunächst, Zentrum ihrer medial diversifizierten Pop-Prominenz.
Etwas anders allerdings nehmen sich die Machtverhältnisse aus der Perspektive der Produzenten aus: Was wäre eine Gwen Stefani ohne Pharrell Williams, Nelly Furtado ohne Timbaland, Fergie ohne will.i.am, Christina Aguilera ohne DJ Premier und die Pussycat Dolls ohne Cee-Lo Green oder Polow Da Don? Die musikalische Kooperation läuft hier indes nicht nur über die Geschlechtergrenze hinweg, sondern auch über die Demarkationslinie zwischen «Schwarz» und «Weiss», die stets konstitutiv war für die amerikanische Popmusik. Denn bei den massgebenden Produzenten handelt es sich fast durchwegs um Afroamerikaner. Zunächst haben sie sich im engeren Kreis von Hip-Hop und R'n'B bewährt. Seit sie Ende der neunziger Jahre - in Produktionen vorwiegend schwarzer Sängerinnen wie Mary J. Blige, Aaliyah, TLC, Destiny's Child - den seichten R'n'B der achtziger Jahre technoid verschlauften, mit futuristischen Beats spickten und die Gesänge synthetisch aufpolierten, haben sie einen enormen Einfluss auf die internationale Popszene.
Wenn afroamerikanische Popmusiker erfolgreich waren in den letzten hundert Jahren, haben sie ihren Einfluss früher oder später auf den weissen Mainstream auszudehnen versucht. Das lief zumeist auf eine Mischung «schwarzer» mit «weissen» Klängen hinaus - wie im Swing der dreissiger, im Motown-Soul der sechziger und im R'n'B der achtziger Jahre. Nelson George, der gestrenge Mann der afroamerikanischen Pop-Theorie, beschrieb in seinem Klassiker «The Death Of Rhythm & Blues» (1988), wie der Crossover nicht nur die Gefahr künstlerischer Verwässerung in sich birgt, sondern auch das Risiko des Identitätsverlustes. Denn im weissen Pop werde von den sozialen und emotionalen Hintergründen der afroamerikanischen Musik abstrahiert.
Im Unterschied zum Crossover von Motown aber, der auf Anbiederung an den weissen Geschmack hinauslief, und anders als ein Michael Jackson, der sich in abstrusen Anwandlungen neu zu erfinden suchte als weisser Amerikaner, bleiben die erwähnten schwarzen Produzenten weisser Frauen ihrer Identität treu. Und es mag ihnen vielleicht eine Art kultureller Genugtuung bereiten, dass sie die Popszene beherrschen, indem sie für weisse Stars produzieren. Andrerseits werden sie in ihrer Musik mitunter doch auch Momente der Entfremdung erleben. Wenn Fergie, Nelly oder Gwen über ihre Beats trällern, ist in den Medien bezeichnenderweise kaum mehr die Rede von «R'n'B» - alle sprechen von «Disco-», «Party-» oder «Club-Sounds». Es liegt daran, dass diesen weissen Sängerinnen jene sinnliche Kraft zumeist abgeht, die schwarze Sängerinnen in ihrer Kindheit im Gospelchor tankten, um sie später in Liebesliedern lustvoll zu vergeuden. – Gwen, Nelly und Fergie sind lediglich lustig – ihr Schalk ergibt sich dabei nicht aus übertreibender Persiflage, zum Schabernack verleitet sie vielmehr der Minstrel- Humor einer gesanglich unzulänglichen Mimikry.