Rap im Lager – Rap im Exil
Gleich zweimal Hip-Hop aus dem Libanon zeigen die Kurzfilme Life from the BBC und Visit me once a year – und doch haben die beiden Hip-Hop-Welten herzlich wenig miteinander zu tun.
Visit me once a year erzählt die Geschichte der «Kitaa Bey-Route» («Sektor Beirut») – einer Hip-Hop-Combo, die dank internationaler Unterstützung im Jahr 2002 nach Frankreich flog, um dort zu touren und an Projekten zu arbeiten. Acht Jahre später, sind die Musiker noch immer in Frankreich – in Europa hängen geblieben, untergetaucht.
Siska, einer von ihnen, hat im vergangenen Jahr eine Kamera gepackt und seine ehemaligen Band-Kollegen besucht. Was tun sie hier, und warum? Und wo gehören sie eigentlich hin? Einer der Porträtierten hat die Frage für sich beantwortet: er wird in Kürze in den Libanon zurückkehren – dort ist seine Familie, dort ist alles besser, wie er sagt. Seine zwei Kumpels hingegen machen einen verlorenen Eindruck: Ohne Papiere, haben sie sich in Paris und Lyon irgendwie durchschlagen können. Ihre Hoffnungen, ihre Träume in bezug auf ein Leben in Europa haben sich zerschlagen, doch in den Libanon zurück zu gehen scheint auch keine Option zu sein.
Das Leben im Exil ist in gewisser Weise auch Thema des zweiten Films – doch während die Jungs von Kitaa Bey-Route freiwillig den Libanon verliessen, leben YaSeen und TNT unfreiwillig im Libanon, als Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge. Die Sorgen, die die beiden Rapper von I-Voice (Invincible-Voice) plagen, sind denn auch ganz anderer Natur: YaSeen und TNT leben im Süden Beiruts im Flüchtlingslager Bourj al-Barajneh –„BBC“ steht für Bourj al-Barajneh Camp. Und jetzt brauchen sie erstmal einen Generator, weil im Lager schon wieder Stromausfall herrscht. Und ohne Strom lassen sich fette Tracks und Beats bekanntlich schwer aufnehmen und produzieren.
Der Film von Jackson Allers – ein in Beirut wohnhafter Texaner mit armenisch-irakischen Wurzeln – begleitet die beiden auf ihrer Suche nach Strom. Im Englischen schön doppeldeutig ausgedrückt: «The search for power» heisst gleichzeitig auch «die Suche nach Macht».
Und Macht haben die zwei Rapper, objektiv betrachtet, keine. Als palästinensische Flüchtlinge sind sie weitgehend ohne Rechte. Gemäss einer Schätzung der Vereinten Nationen leben im Libanon knapp 450’000 palästinensische Flüchtlinge, der Grossteil von ihnen in einem der 12 Lager. Und diese Camps sind eigentliche Ghettos. Ein Flug nach Frankreich ist für YaSeen und TNT, die eigentlich Yassin und Mohammed heissen, so gut wie unmöglich. Bereits die halbstündige Taxifahrt ins Beiruter Stadtzentrum – wo YaSeen den begehrten Generator kaufen wird – ist ein Ausflug in eine andere Welt.
Der libanesische Staat verwehrt den Flüchtlingen zahlreiche Grundrechte und diskriminiert sie an allen Ecken und Enden – so gibt es etwa 73 Berufe, die Palästinenser nicht erlernen oder ergreifen dürfen. Ärztin, Anwalt, Ingenieur, Buchhalterin? Für Palästinenser verboten. Offiziell begründet werden die Diskriminierungen mit der Politik gegenüber Israel: Die Palästinenser sind nur temporär zu Gast im Libanon und sollen dereinst in ihre Heimatdörfer in Palästina zurückkehren – deshalb werden sie nicht integriert. Nur gibt es bis heute keinen palästinensischen Staat, in den sie zurückkehren könnten. Viele Dörfer existieren nicht mehr oder sind längst Teil Israels geworden – so auch Akka, die Heimatstadt von YaSeens und TNTs Grosseltern. Und unterliegend schwingt die heikle Situation im Libanon selber mit: Die meisten Palästinenser sind Sunniten. Würden sie zu libanesischen Staatsbürgern, würde das fragile Gleichgewicht zwischen Christen, Schiiten und Sunniten zugunsten letzterer umgeworfen.
Jackson Allers Film gibt uns einen kurzen Einblick in den palästinensischen Flüchtlingsalltag, zeigt uns die Enge des Camps, die Perspektivlosigkeit, die Armut. Und bringt uns zwei junge Protagonisten näher, die trotz allen Einschränkungen und Verboten nicht resigniert haben. Rappen ist erlaubt. Und mit dem richtigen Generator klappt es dann auch endlich mit dem Aufnehmen und Abmischen.
Biography
Published on January 10, 2012
Last updated on April 30, 2024
Topics
Does the global appropriation of kuduro exploit or reshape the identity of Angolans? How are «local» music genres like guayla sustained outside of Eritrea?
What happens, when artists move from one to another country? For example, when an Arab artist replaces the big tractors in her the village with big jeeps of the West.
How artistis deal with this non-natural but political category as a result of its ideological dominance.