photo: NASA/Wikipedia

Der Planet der Welttraumforscher

Seit 32 Jahren baut Christian Pfluger an der einzigartigen Welt der Welttraumforscher. Nun kann dieser Solitär der Schweizer Kulturlandschaft im Kunsthaus Langenthal entdeckt werden.

1981: Eine wunderliche Kassette entsteht, betitelt mit Herzschlag Erde. Der Name der Band: die Welttraumforscher. Hinweise auf die Art der Musik liefern die mysteriösen Kassettentäter auf einem Beiblatt gleich selber mit: «Kometentänze, Tanzfallen, und Weder-noch-Geräusche» sind in diesen 30 Minuten versammelt, und auch 32 Jahre nach der Entstehung wirken diese Do-it-yourself-Dokumente wie verwirrende Funksprüche von einem fernen Planeten, auf dem die Musik zwar verschroben, aber nicht minder herzlich erklingt.

Womit alles begann: Kasette «Herzschlag Erde»

Es blieb nicht bei dieser einen Kassette der Welttraumforscher. Denn seither baut Christian Pfluger – einziges Mitglied und Erfinder der Welttraumforscher – an einem Planeten, der in der Schweizer Kulturlandschaft seinesgleichen sucht: Hunderte Songs spielte der heute 50-jährige Zürcher ein, zeichnete Skizzen, schrieb Romane und Forschungsbulletins, drehte Filme und malte grossformatige Bilder. In Deutschland stiess dieses Werk zu Beginn des neuen Jahrtausends dank Elektronikern wie Mouse on Mars oder dem «Wirbelwind am Manual» Felix Kubin auf einen günstigen Nährboden, wurde geremixt und gepriesen. Doch in seiner Heimat fristet Pfluger mit seinen Welttraumforschern noch immer das Dasein eines kurligen Eremiten. Das könnte sich nun, im Jahr 2013, endlich ändern, dank dem Kunsthaus Langenthal, das das hybride Werk der Welttraumforscher in einer Retrospektive würdigt.

Forschende Traumfiguren

Diese erste Werkschau zu den Welttraumforschern überhaupt firmiert unter dem Titel Sommer in der Wirklichkeit nach einer gleichnamigen Platte der Welttraumforscher. Raffael Dörig, Leiter des Kunsthauses und Kurator der Ausstellung, wollte einen Titel, der dem Werk Pflugers entstammt, «ein Zitat, das Assoziationen eröffnet, wie so vieles bei den Welttraumforschern.» Denn obwohl das Werk, das von einem Interesse zu Dada, Surrealismus und der Fantastik durchzogen ist, den Charakter eines Weltenbaus trägt, ist es kein durchgedachtes, kein striktes System. Ein Planet, der auch ein riesiges Archiv an unveröffentlichtem Material birgt, aus dem der Kurator der Ausstellung schöpfen konnte.

Neben einem Musik- und Filmzimmer ist das Welttraumforscher-Werk in Langenthal in vier thematische Räume aufgesplittet. In einem Raum sind etwa die Dokumente der frühen «Kassettenjahre» zu besichtigen: Illustrierte «Ankündigungsblätter» mit den forschenden Traumfiguren, Annoncen für sein Label Monif, die Pfluger in Fanzines untergebracht hat, und Umschlagentwürfe seiner Kassetten finden sich hier. Fragen wie «Erforschen sie die Welt im Traum oder erforschen sie den Traum der Welt oder erforschen sie den Weltraum und schreiben sich nur falsch oder träumen sie davon, die Welt zu erforschen?» dürfen von den Ausstellungsbesuchern aufgedröselt werden. Klar lokalisierbare, popkulturelle Referenzen tauchen auf, etwa zu den Residents, die ähnlich wie die Welttraumforscher das Spiel mit den fiktiven Charakteren pflegen. «Dieses Spiel war überaus wichtig bei der Gründung des Projekts», sagt Dörig.

Später fallen diese explizit andockbaren Stellen mehr und mehr weg; die Welttraumforscher entwickeln ein Eigenleben mit irritierenden Selbst- und Querverweisen, die dieses solitäre Werk so schwer fassbar und faszinierend machen. Nachvollziehbar ist diese Loslösung von Moden und Tendenzen im Raum, der sich ganz dem Leitmotiv Pflugers widmet: dem Reisen, dem Forschen, den Expeditionen. Charaktere wie Leguan Rätselmann und Kip Eulenmeister tauchen auf, und die Entwicklung von Sideria, «der Stadt in den Sternen», zeigt exemplarisch die Akribie auf, mit der Pfluger zu Werke geht. Für diese Stadt existiert eine eigene Schrift, eine Landkarte, er skizzierte Wohnräume, schrieb eine fiktive Bibliografie und einen unveröffentlichten Reiseführer, der über 150 Seiten zählt. Natürlich fehlt auch ein Soundtrack nicht. 

Christian Pfluger: «Der grosse Bilderbogen»

Diese Akribie findet sich auch in den Zeichnungsserien Der Bretzelberger Bilderbogen sowie dem grossen Bilderbogen, die in den weiteren Räumen zu besichtigen sind: Mit Filzstiften und Tusch entwickelt Pfluger, der in den Achtzigerjahren die Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich besucht hat, einen detailreichen, neugierigen Kosmos.

Christoph Pfluger für die Welttraumforscher, aus: 8 Tage unter Planeten, 1981

Trostspender

«Das Ziel war immer, den Leuten Freude zu bereiten. Die Freude ist der ultimative, universelle Zustand, um zu Fortschritt zu gelangen», sagt Christian Pfluger im Gespräch, das im ausstellungsbegleitenden Buch Die Welttraumforscher – Lieder, Zeichen, Forschungen abgedruckt ist. Es ist eine Freude, die dank der Ausstellung, dem reich illustrierten Buch und dem auf Platte neu veröffentlichten Kassettenfrühwerk Die Singende Sternlaterne/Folklore des Weltalls 1982 nachvollziehbar wird. Die Freude über die Entdeckung eines grossen Werkes. Eines, wie es auf einem grafischen Blatt der Welttraumforscher heisst, «das leise strahlt und Trost spendet».

Dieser Artikel erschien erstmalig in «Der Bund».

Biography

Benedikt Sartorius ist Musikjournalist und Mitorganisator der Musikfilmreihe «Song & Dance Men». Follow him on https://ch.linkedin.com/in/benedikt-sartorius-ba158520a” target="_blank">LinkedIn and on his Website.

Published on September 10, 2013

Last updated on August 07, 2020

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