Der afro-kubanische Social Club
Als Nick Gold Buena Vista Social Club produzierte, war das Ersatz für ein gescheitertes Projekt. Eigentlich hätte er Musiker aus Kuba und Mali zusammenbringen wollen. Dreizehn Jahre später hat er die Idee endlich realisiert. Das Album Afrocubism schafft eine Brücke zwischen Bamako und Santiago de Cuba.
Bassekou Kouyaté lässt die Finger über die Saiten seiner Ngoni tanzen, dann blickt er erwartungsvoll zum Mann mit schwarzem Cowboyhut hinüber, der wenige Meter von ihm entfernt auf der Bühne des Amphitheaters von Cartagena steht. Eliades Ochoa schiebt seinen Stetson in den Nacken, lässt ein Lächeln um die Lippen spielen und greift entschlossen in die Gitarrensaiten. Exakt spielt er die Melodie nach, die ihm der Kollege aus Bamako auf seinem afrikanischen Banjo, der Ngoni, vorgespielt hat. Um den Wettstreit nicht mit einem Patt enden zu lassen, schickt der kubanische Cowboy noch einige komplizierte Akkorde hinterher. Lachend verfolgen die anderen Musiker das Geschehen.
Wettstreit der Virtuosen
Das sei so seit dem ersten Treffen im Studio im Dezember 2008, erklärt Djelimady Tounkara schmunzelnd. Der Gitarrist aus Mali ist der dritte Saiten-Virtuose in der zwölfköpfigen Afrocubism-Band, in der je sechs Musiker aus Mali und Kuba zusammenspielen. Manchmal greift er in den Wettstreit ein und setzt ein paar klingende Duftmarken. Doch heute beim Soundcheck in Cartagena, der südlich von Valencia gelegenen spanischen Mittelmeerstadt, ist dem Mann nicht danach. Routiniert spielt er ein kleines Solo, stimmt sich mit den Männern am Mischpult ab, greift noch einmal in die Saiten und nimmt wenig später im Innenraum neben Nick Gold Platz.
Der Chef des britischen Plattenlabels World Circuit ist das Schwungrad des Projekts «Afrocubism». Er hatte die Idee, kubanische Musiker mit Kollegen aus Mali zusammenzubringen. Mali war so etwas wie die zweite Heimat des aus London stammenden Musikproduzenten. Verliebt habe er sich in den Sound und die musikalische Vielfalt des Landes, so der 49-jährige Fan afrikanischer Musik. Dann reiste er Anfang der neunziger Jahre erstmals nach Kuba. Dort fiel ihm eine CD vom Troubadour Ñico Saquito in die Hände. Doch nicht der markante Gesang des alten Soneros, sondern der Klang der Gitarre bei den traditionellen Son- und Guaracha-Songs faszinierte den Briten. Schnell bekam er heraus, wer dafür verantwortlich war – Eliades Ochoa. Das sei der Beginn einer Freundschaft und der Auftakt zu «Afrocubism» gewesen, erklärt Gold.
Eigentlich wollte Gold das Afrocubism-Album schon vor vierzehn Jahren in Havanna einspielen. Alles sei vorbereitet gewesen. Das Studio war gebucht, mit Ry Cooder hatte man einen namhaften Produzenten verpflichtet, und auch die Tickets für Djelimady Tounkara und Bassekou Kouyaté waren gekauft. Doch ihre Plätze in der Maschine von Bamako nach Havanna blieben leer. Die Musiker hatten ihre Pässe per Post zur kubanischen Botschaft nach Burkina Faso geschickt – und nie wieder gesehen. Das war der Grund, weshalb Eliades Ochoa, Nick Gold und Ry Cooder in Havanna improvisierten und so schliesslich das meistverkaufte Weltmusik-Album aller Zeiten einspielten – Buena Vista Social Club. Für die Musiker und Nick Gold war das ein glücklicher Zufall.
Das Treffen
Für Bassekou Kouyaté hingegen war es ärgerlich. Denn der Virtuose auf dem afrikanischen Banjo hatte sich gefreut auf das Zusammenspiel mit Eliades Ochoa. Immer wieder habe er Nick Gold seither an seine Idee erinnert. Und tatsächlich begann Nick Gold dann im Sommer 2008 nach Terminen zu suchen, um die kubanisch-malische Session endlich zu realisieren. Ein halbes Jahr später war es so weit: In Madrid, wo sowohl Eliades Ochoa als auch Bassekou Kouyaté zufällig gerade eine Tournee-Pause einlegten, trafen sich die Musiker erstmals. Nick Gold bemühte sich, die Erwartungen vorsichtshalber eher tief zu halten. Doch seine beiden Zugpferde waren es, die mit den Hufen scharrten, um etwas Besonderes einzuspielen.
Das kann man auf dem ersten Video von «Afrocubism» sehen – und auf der CD ist es hören. Sechzehn Stücke nahmen die zwölf Musiker in vier Tagen auf. Dass die Chemie zwischen Maliern und Kubanern stimmte, zeigen Stücke wie «Al Vaivén De Mi Carreta»: Diese Hymne der ostkubanischen Bauern intoniert zu Beginn Eliades Ochoa, dann übernimmt der malische Griot-Sänger Kasse Mady Diabaté. Dadurch und durch das Spiel von Lassana Diabaté am Balafon, einem afrikanischen Xylofon, aber ebenso durch die Einsätze von Bassekou und Djelimady entsteht ein Stück, in dem sich die Traditionen kreuzen. Das wäre kaum passiert, wenn man das Album damals wie geplant in Havanna eingespielt hätte, glaubt Bassekou Kouyaté. Damals wären er und Djelimady allein gewesen mit den Kubanern. In Madrid hingegen war die Verteilung nun ausgeglichen. So seien beide Musikkulturen gleichermassen zu ihrem Recht gekommen. Bisweilen – wie etwa in «Karamo» – dominieren die malischen Elemente, in Songs wie «La Culebra» ist es gerade umgekehrt.
Gegenseitiger Respekt
Dass die Fusion funktioniert, zeigen Stücke wie «Nima Diyala», eine groovende Perle im Zeichen des Balafons, die mit kubanischem Swing aufwartet, oder «A La Luna Yo Me Voy»: Da sorgen die Saiten-Virtuosen aus Mali, darunter auch der Kora-Spieler Toumani Diabaté, für Klangkaskaden, die dem Spiel von Eliades Ochoa ganz neue Schattierungen verleihen. Quasi hörbar ist auch der gegenseitige Respekt der Musiker. Es ist ihnen so gelungen, eine klingende Brücke zwischen Bamako und Santiago de Cuba zu bauen. Und wenn es nach Bassekou Kouyaté und Eliades Ochoa geht, wird sich die Kooperation nicht auf ein einziges Album beschränken.
V. A.: AfroCubism (World Circuit / Musikvertrieb).
Biography
Published on October 26, 2010
Last updated on April 30, 2024
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