Seit 2004 veröffentlicht Outhere Records urbane Musik aus Afrika. Das Label war damit einem Trend voraus: Denn Stile wie Kwaito House, Coupé Décalé, Zoughlou oder Kuduro setzen immer stärker international Akzente. BLNRB – Welcome to the Madhouse ist das jüngste Produkt aus dem Hause Outhere. Die Deutschen Technoproduzenten Modeselektor, Jahcoozi und die Gebrüder Teichmann fuhren nach Nairobi um dort mehrere Wochen lang mit kenianischen HipHop und Dancehall Musikern gemeinsam Sound zu produzieren. Selina Nowak hat mit Labelgründer Jay Rutledge über das Konzept von Outhere Records, über Afrika, Clubkultur und über alte Weltmusik und neue Weltmusik 2.0 gesprochen. Ein Interview aus dem Norient-Buch Out of the Absurdity of Life (hier bestellbar).
[Selina Novak]: Wie ist Outhere Records entstanden? Und was war dabei die Idee?
[Jay Rutledge]: Als ich Anfang 2000 durch Afrika reiste, fiel mir auf, dass es einen riesigen Bereich Musik gab, die man hier in den CD-Regalen fast gar nicht gefunden hat – Die gesamte aktuelle afrikanische Popmusik: Mischformen aus HipHop, Dancehall und internationalen Popmusikstilen, die in Afrika längst riesige Szenen gebildet hatten. Von all dem wollte man in Europa nichts wissen. Es gab damals noch diese klare Trennung zwischen Weltmusik – stark traditionell beeinflusster Musik aus Afrika – und den lokalen afrikanischen Popstilen, die sich stark an globalen Musikströmungen orientierten.
Im Jahr 2000 wurden im Senegal gerade Wahlen abgehalten. 30 Jahre lang war dort Abdou Diouf an der Macht gewesen. Die Korruption war unglaublich. Die Jugend drängte auf einen Wandel – und diese Jugend hörte eben HipHop! Rapper auf unzähligen Rap-Kassetten kommentierten das aktuelle Geschehen. Genau das wollte ich abbilden, und so produzierte ich meine ersten Compilation-CDs – zunächst auf dem Label Trikont, dann auf dem eigenen Label Outhere Records.
[SN]: Wie waren die Reaktionen des traditionellen Weltmusikpublikums?
[JR]: Geteilt. Natürlich war vielen dieser Produzenten und Käufer bewusst, dass es in Afrika auch kommerzielle Popmusik gibt. Musik, die stilistisch in Richtung Amerika schielt. Die Weltmusik-Fans haben sich aber halt nur für die alte, traditionelle, handgemachte Musik interessiert. Ich glaube aber, dass sich dieses Thema Weltmusik in den letzten Jahren langsam totgelaufen hat. Der Begriff Weltmusik ist ja in den 1990ern hochgekocht. Man glaubte in der Weltmusik eine Welt zu entdecken, die viel bunter, kreativer und kulturverbundener ist, als die unsrige westliche kapitalistische Gesellschaft. Das sind totale Idealisierungen. Die schiessen oft übers Ziel hinaus und zielen völlig an den Realitäten vorbei, die in Afrika eigentlich herrschen.
Aber natürlich war und ist der Weltmusik-Markt für Afrika auch wichtig. Einfach schon deswegen, weil wirklich gute virtuose Musiker dadurch eine finanzielle Unterstützung aus Europa bekommen – und Respekt für ihre Fähigkeiten und für ihre Musik.
Interessant finde ich hingegen, wie sich bestimmte Themen für diesen Markt herausgebildet haben: Aids, Rassismus, Frauen, panafrikanische Verbrüderung – Themen, bei denen man wie selbstverständlich denkt, das müssten doch die Themen Afrikas sein. Vor Ort ist das aber oft gar nicht so der Fall. Das sind europäische Themen. Rassismus beispielsweise: Je öfter eine HipHop Band aus Afrika in Europa tourt, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie plötzlich Songs über Rassismus in ihr Repertoire aufnimmt. Das liegt nicht daran, dass es hier so viel mehr Rassismus als anderswo gibt, sondern das liegt einfach daran, dass die Rapper merken, aha, das ist ein Thema in Europa.
[SN]: Was sind denn dann die Themen in Afrika?
[JR]: Liebeslieder, Geschichten, Familienthemen. Und in Westafrika gibt es diese riesigen Preisliedtraditionen, in denen die Musiker heute aber einfach jeden preisen, der sie dafür bezahlt. Ein Konzept, das sich oft nur schwer vereinbaren lässt mit den romantischen Vorstellungen von Weltmusik. Sogar Youssou n’Dour hatte mal ne Kassette, die hiess Honda. Keine Ahnung – vielleicht wurde ihm dafür ein Auto geschenkt. Diese Preisliedsänger – die Griots – waren traditionell den noblen Familien zugeordnet. Ein Griot besang immer eine ganz bestimmte Familie. Das hat sich aber heutzutage ziemlich aufgelöst. Wenn ein Reicher in Mali Hochzeit feiert, dann kommen alle Griots und wollen singen – egal ob sie eingeladen sind. Sie wollen Geld verdienen. Und Lobeshymnen auf den Präsidenten gehören da natürlich auch dazu. Das ist natürlich immer so ne Gratwanderung. – Auch Bassekou Kouyaté, einer unserer Künstler auf Outhere Records, ist ein Griot, wie er im Buche steht. Allerdings einer mit internationaler Karriere. Er verdient sein Geld nicht mehr überwiegend auf Hochzeiten.
[SN]: Bassekou Kouyaté war der erste Musiker, den Outhere Records auf der neuen Roots-Sparte des Labels veröffentlicht hat. Wie kam es überhaupt dazu, nun doch auch traditionell klingende Musik zu veröffentlichen.
[JR]: Ich bin mehrere Male nach Mali gereist, habe dort Musiker kennengelernt und viele Leute interviewt. Bei einer Presse-Reise habe ich die britische Produzentin Lucy Duran getroffen. Sie hatte schon Weltmusikstars wie Toumani Diabaté und Ali Farka Touré produziert. Wir sassen vor einem Konzert von Toumani Diabaté in einem Lokal – und da spielte eben dieser Bassekou Kouyaté. Lucy meinte, mit dem müsse man mal was machen. Ich kannte Bassekou schon von diversen Platten, auf denen er als Begleitmusiker mitspielte. Er ist ein Modernisierer seines Instruments, der Ngoni, der Erste, der es im Stehen anstatt im Sitzen spielt (siehe dazu die Reportage Mali-Blues am Swimmingpool und den Podcast Zwischentöne aus Mali auf norient.com). Bassekou kann weder lesen noch schreiben, er hat aber die ganze Harmonielehre intuitiv verstanden und kann sie auf seinem Instrument wiedergeben. Er überträgt die Ngoni an neue musikalische Orte – wie keiner vor ihm.
Schau dir den Umschlag der ersten CD an: Seine Frau in einem Goldrahmenbild im Hintergrund, direkt hinter seinem Kopf ein Fernseher. Mittlerweile hat sich viel im Leben von Bassekou Kouyaté verändert. Wo der alte Fernseher stand, steht jetzt ein riesiger Flachbildschirmfernseher, und statt seines verbeulten alten minikleinen Peugeot besitzt Kouyaté heute fünf Autos. Er wohnt in einem grossen Haus und versorgt über 50 Leute. Er ist heute ein Weltmusikstar, war dieses Jahr für den Grammy Award nominiert. Seine Platten sind unsere bislang erfolgreichsten.
[SN]: Ist das nicht paradox? Auf einem Label, das sich auf die urbanen Musikstile Afrikas spezialisiert hat, verkauft sich ausgerechnet der am traditionellsten klingende Musiker am besten.
[JR]: Das ist natürlich paradox, sagt aber auch einiges aus. Es gibt nun mal einen funktionierenden Markt für Künstler wie Bassekou Kouyaté. Eine Infrastruktur für Weltmusik-Künstler – mit Messen, Veranstaltungsorten und Festivals. Das gibt es natürlich für eine HipHop Band aus dem Senegal kaum, wobei man muss sagen, das hat sich gerade in den letzten Jahren etwas gewandelt.
[SN]: Der Begriff Weltmusik ist derzeit stark im Wandel – die sogenannte Weltmusik 2.0. ist in aller Munde. Labels wie Diplos Mad Decent oder Daniel Haaksmans Man Recordings haben den Sound der «Globalen Ghettos» auf westliche Tanzflächen gebracht. In welcher Rolle siehst du dein Label? Kann man Outhere Records mit Mad Decent oder Man Recordings vergleichen?
[JR]: Für mich gibt es sehr grosse Unterschiede zwischen unseren Ansätzen. Die meisten dieser Produzenten aus dem Westen kommen aus dem Clubkontext, entdecken einen Sound und übersetzen ihn dann in ihren musikalischen Kontext. Ihre Musik verändert sich dabei im Prinzip nur wenig. Darum wurden Baile Funk, Cumbia oder Kuduro für Europa und die USA entdeckt: Die Musik liefert der Partyszene genau das, was sie hören will. Sie offeriert die Ästhetik, mit den Codes, die man kennen, aber angereichert mit etwas Anderem und Neuen. Damit entkommt man der Wiederholung – und dann sagt man, das ist Ghettokultur und Ghettomusik. Für mich ist das einfach Popmusik. So funktioniert Popmusik. Ob Daniel Haaksman, Buraka Som Sistema, Radioclit oder ganz extrem M.I.A. Diese Leute sind Katalysatoren, die Türen aufmachen, einen neuen Trend in eine Clubmusikszene bringen. Das ist total wichtig und gut. Auch wir profitieren davon, weil plötzlich Türen offen sind, die vorher zu waren.
Daniel Haaksman kommt aus dem Clubkontext und hat in Rio eine Ghettokultur erlebt, die ihn umgehauen hat. Er weiss aber, dass die Original-Stücke im internationalen Clubkontext nur selten funktionieren. Die Originalnummer aus dem sogenannten Ghetto kannst du dir oft nicht anhören. Weil, die ist entweder schlecht produziert, oder sie verarbeitet billigste 90er Jahre Popsounds. Ich hab schon Tracks gehört, da wird «I Am Sailing» von Rod Steward gesampelt oder «Final Countdown» von Europe.
Mich irritiert manchmal, dass das oft Schnellschüsse sind: Ein etablierter Künstler braucht einen neuen Sound – also was weiss ich, zur Zeit ist es Cumbia (Norient Hörtipp: A History of Futurist Cumbia) und da ist es dann ziemlich egal, wen er sich aus der Cumbia Szene greift – halt einfach irgendwer, der Cumbia spielt. Das Endprodukt erscheint dann auf Mad Decent als Ghettobasstrack und ist 100% stilsicher.
[SN]: Das heisst umgekehrt bedient sich die sogenannte dritte Welt auch an Europäischen Sounds?
[JR]: Hemmungslos und ohne Stilgrenzen!
[SN]: Wie arbeitet nun Outhere Records?
[JR]: Wir versuchen immer abzubilden, was vor Ort passiert. Wir liefern den Kontext zu in unseren Booklets mit. Auf unseren Compilations stellen wir aktuelle Sounds vor, die in Afrika erfolgreich sind, aber hierzulande kaum bekannt: Bongo Flava, Kwaito, Afrohouse, Hiplife, HipHop, Reggae und Dancehall in allen lokalen Schattierungen. Das ist Musik zu der ganz Afrika tanzt. Aber auch das Label hat sich entwickelt. Wir haben immer mehr angefangen, Material neu abzumischen. Wir lassen auch Remixe produzieren, denn wir wollen ja die Leute hier von dieser Musik begeistern. Mehr und mehr ist uns klargeworden, dass auch ein europäischer Einfluss auf lokale afrikanische Produktionen interessant und wichtig sein kann. So ist unsere letzte Veröffentlichung BLNRB ein weiterer Schritt in diese Richtung. Als uns von den Gebrüdern Teichmann das BLNRB Material angeboten wurde, haben wir zugesagt. Denn die Teichmann spielen mit den Stars der kenianischen Szene – und nicht mir irgendwem. Die Kenianer fanden das Projekt spannend, weil innovative neue Sounds sind in der Hip-Hop-Szene Kenias nicht das non plus ultra. Man ist dort vergleichsweise konservativ und schielt auf das, was die internationale Hip-Hop-Szene macht. Ich finde es auch wichtig, Anstösse in beide Richtungen zu geben. Die afrikanische Musik ist nicht heilig unveränderbar, weil authentisch; Afrika braucht genauso unseren Input wie wir den afrikanischen.
[SN]: Du hast vorhin gesagt, dass die kommerzielle Popmusik in Afrika Richtung Amerika schielt. Wie sehr lässt man sich vom Gangsta Rap beeinflussen? Wie sehr müsst ihr darauf achten, dass auf Euren Veröffentlichungen keine sexistischen, homophoben oder rassistischen Inhalte vorkommen?
[JR]: Wir scannen keine Künstler auf solche Sachen ab. Aber wir würden keinen Song mit auf eine Compilation draufnehmen, der explizit sexistisch ist.
Aber die Dimensionen sind in Afrika ganz andere als bei uns. Stell dir mal vor, du bist schwarz, hast kein Geld, kannst nicht zur Schule gehen. Und jetzt siehst du im Fernsehen plötzlich so nen Typen, der hat alles, und der macht dieses HipHop Zeug. HipHop wird so zum Traum von einem besseren Leben. HipHop zelebriert gleichzeitig auch das Leben im Ghetto. 50 Cent macht auch keine Songs über alleinerziehende Mütter. Er ist ein Gangster. Er zeigt seinen Nacheifern, es ist geil, arm zu sein.
Es gibt in Afrika genauso Bling Bling, oder politischen HipHop, und natürlich auch reaktionären oder islamistischen HipHop. Und oft lassen sich die Dinge dort nicht in Kategorien wie Feminismus oder Rassismus greifen – mein Gott, die Leute müssen manchmal ganz einfach überleben. Afrika eignet sich hier nur bedingt als Projektionsfläche.
Bei unserer Compilation-CD Yes We Can – Songs about Leaving Africa haben wir extra den Musiker Martin Pecheur vorne aufs Cover draufgetan. Pecheur ist ein Sapeur, jemand aus dieser Bewegung, die im Kongo entstanden ist: Die betreiben so einen wahnwitzigen Konsumfetischismus. Bei denen dreht sich alles um Markenprodukte. Wenn du einen Anzug von Gucci hast, dann nähst du dir dein Etikett aussen hin, damit es auch alle ja sehen. Da wird mit vermeintlichem Reichtum gespielt, und die Songs feiern das ab. Warum aber ist ein Typ, der sich Gucci-Etiketten aussen an sein Sakko näht auf einer Compilation über Migration nach Europa drauf? Weil genau das auch Teil der afrikanischen Realität ist. Leute, die denken, ich zieh meinen Anzug an, nehm meinen Aktenkoffer mit, und dann bin ich reich wie alle Europäer. Sie sind aber auf dem Lande aufgewachsen, nie zur Schule gegangen, können weder lesen noch schreiben, und dann treffen sie einen Landsmann und der sagt «Hey Mann, gib mir 2000 Euro, ich organisier dir ein Visum und alles». Der Verzweifelte leiht sich das Geld und der Typ lacht, nimmt die Kohle und ist weg. Diese Träume lassen sich leicht ausbeuten. Ich find es auch interessant, dass jemand 3000 Kilometer durch Afrika läuft, dabei fast verreckt, seine Freunde verrecken sieht und dann im Auffanglager in Ceuta über sein Bett Bilder von weissen Frauen in Bikinis hängt. Das Booklet des «Yes We Can» – Samplers haben wir mit Fotos von den Schlafstätten der Leute gestaltet, die in diesen Auffanglagern wohnen,. Und die sind tapeziert mit ausgeschnittenen Werbebildchen aus Hochglanzmagazinen, wo du dir im ersten Moment denkst «das glaub ich jetzt nicht!»
[SN]: Aber kann man nicht trotzdem allgemeingültige Werte und Massstäbe ansetzen – zum Beispiel wenn es um Sexismus geht?
[JR]: Du verrennst dich. Die Rapperinnen Alif von unserer ersten CD fand ich total lustig. Die drei kommen aus dem Senegal. In Österreich wurden sie bei einer Diskussion gefragt, was das denn solle, sie würden sich so sexy anziehen, wenn sie auf die Bühne gehen, das sei doch Verrat in der eigenen Sache. Ihre Antwort darauf war: «Was willst Du, ich bin eine Frau!» Mittlerweile haben sie immer wieder die Besetzung geändert, weil eine der drei hat einen streng gläubigen Muslimen geheiratet. Der hat einfach gesagt: «Du rappst nicht mehr.» Punkt. Ende. Hat sie halt aufgehört. Warum macht sie das?
[SN]: Versucht Outhere Records diese andere Realität abzubilden?
[JR]: Ja, wir versuchen die Verhältnisse ein bisschen gerade zu rücken. Wir wollen nicht den Leuten hier, ihre Träume von Afrika verkaufen, sondern suchen die Spannung unserer Vorstellungen mit den Realitäten vor Ort. Gerade diese Geschichten – die von Alif, die von Martin Pecheur, die von den Griots in Mali – sagen sehr viel über das aus, was in Afrika passiert. Genau das Unerwartete macht die Welt doch so spannend.