Le1f (photo: Gergely Csatari/Wikimedia)

«Es gibt keinen schwulen Rap»

Der New Yorker Rapper Khalif Diouf alias Le1f ist schwul und mischt mit Witz und knalligen Videos den Hip-Hop auf. Als Aktivist für LGTB-Rechte sieht sich der Sohn senegalesischer Einwanderer aber nicht – und Musikjournalisten, so empfiehlt er, sollten sich weniger mit seiner sexuellen Identität und mehr mit seinen Songs beschäftigen. Eine bearbeitete Version dieses Artikels erschien im Norient Buch Seismographic Sounds (Info und Bestellmöglichkeit hier).

Das Interview fängt nicht gut an. Nachdem der Fotograf den schlaksigen Afroamerikaner darum gebeten hat, doch bitte – «nur für ein paar Bilder» – eine blonde Perücke aufzusetzen, stürmt Khalif Diouf alias Le1f wütend Richtung Ausgang seines Münchner Hotels: «Ich bin ein Rapper und keine Drag-Queen!» Und was er auf dem Kopf trage, solle man bitte sehr seiner eigenen Regie überlassen. Erst das Versprechen, ernsthaft über seine Texte zu reden, holt ihn zurück.

Ein paar Fragen später lümmelt Le1f entspannt auf der Couch und lacht über die Aufregung, die seine Person im Showbusiness auslöst: «Warum kommt niemand mal auf die Idee, mich mit Little Richard oder Sylvester in eine Reihe zu stellen? Die waren auch schwul und schwarz. Und sehr erfolgreiche Entertainer.» Dabei teilt der junge New Yorker das Dilemma aller offen schwulen Rapper: Die Medien reduzieren sie nur allzu gern auf ihre Sexualität, messen sie an ihrem Provokationswert für die Hiphop-Welt. Frauenverächter und Pornopriester, Sektenspinner und Splatter-Fantasierer: Alles längst akzeptiert. Aber einer, der wie Le1f davon rappt, mit Typen zu schlafen? Der sich mit lila Zöpfchen in stereotype Schwulenposen wirft? Der in seinen Videos – statt der üblichen Bikini-Mädchen – gar männliche Pos gegeneinander antanzen lässt?

Spätestens seit seinem millionenfach geklickten «Wut»-Video kommt niemand mehr an Le1f vorbei. «Wut» wie ein vulgäres «What?»: Im Clip sieht man den schwarzen Rapper tanzen, flirten und unter anderem auf dem Schoss eines gut gebauten, halb nackten weissen Mannes sitzen, der eine Pikachu-Maske trägt. Kaum ein schwules campy Klischee wird ausgespart: Allein die gezierte Art, wie Le1f sich da eine Kaugummischlange mit dem Mund vom Finger wickelt! Dazu honkt ein aufreizendes Saxofon – während der Rapper mit unwirklich tiefer Stimme Schmähworte für Schwule wie persönliche Auszeichnungen aneinanderreiht. Faggot, Swisher, Banjee boy.

Filmstill: Le1f - Wut (Official Video)

Der Stolz der Beschimpften

«Das ist», erklärt der Mann mit dem giftgrünen Kraushaar und grinst wie über einen gelungenen Streich, «meine Retourkutsche an alle, die mich bereits in der High School als Nigger und Fag beschimpft haben. Kann man effektiver zurückschlagen, als sich so ein Wort anzueignen und mit Stolz zu tragen? Das macht Spass! Manchmal beschimpfe ich mein Hetero-Publikum als Faggots.» Die kontroversen Reaktionen waren absehbar: Auf der einen Seite Hass-Mails und belustigte Schlagzeilen von Hiphop-Magazinen – à la: «Seht, was passiert, wenn Schwule rappen.» Auf der anderen Seite die Bewunderung für Le1fs Flow und die mutige Selbstinszenierung. Wann hat jemand die dumpfe Schwulenangst des Hiphop so intelligent gekontert?

Lange schien die Homophobie dem Hiphop so tief eingeschrieben, dass ein amerikanischer Rapper ohne «Faggot» («Schwuchtel») im Fluchrepertoire leicht in den Verdacht kam, keine Street credibility zu haben. Oder gar: selbst eine Schwuchtel zu sein. Le1f aber amüsieren Songs wie Eminems «Criminal» – eine einzige Gewaltfantasie gegen «Faggots» – nur noch: «Ich würde gerne mal einen Song schreiben, der all die verrückten Schwulen-Kommentare aneinanderreiht. Das ergäbe ganz grosse dadaistische Dichtkunst.»

Warum sich gerade im Hiphop so viele Vorurteile halten? Kulturkritiker wie Houston Baker erklären Rap als Restauration einer von der schwulen schwarzen Discokultur der Siebzigerjahre in Frage gestellten Männlichkeit. Einerseits. Andererseits war das Genre nie die heterosexuelle Festung, zu der es die Hiphop-Geschichtsschreibung gerne macht: Schon 1986 veröffentlichte der homosexuelle Rapper Man Parish den Genre-Klassiker «Hip Hop Be Bop (Don’t Stop)» (Lies hier, wo Norient die Geschichtsschreibung des schwulen Hip Hops beginnt). Auch wenn ihm der Erfolg im Mainstream verwehrt blieb: Schwuler Rap eroberte sich in der Folge im Untergrund ein loyales Publikum.

Der Mainstream hat sich bewegt

In New Yorker Hiphop-Clubs wie dem U & M treffen sich seit Jahren die sogenannten Banjee Boys – schwule B-Boys mit Goldzähnen und Baggy-Jeans, deren Posen sich kaum von denen der heterosexuellen Kollegen unterscheiden. Queere Rapper wie Mykki Blanco und Zebra Katz haben sogar so etwas wie Indie-Hits gelandet. Und seit 2001 findet in Oakland gar ein jährliches World Homo-Hop-Festival statt.

Khalif Diouf alias Le1f , Sohn eines senegalesischen Einwanderers aus einer Adelsfamilie und einer afroamerikanischen Sängerin, kommt da gerade zur rechten Zeit: Erst vor wenigen Monaten hat der Rhythm-’n’-Blues-Sänger Frank Ocean mit dem Geständnis seiner Bisexualität für Schlagzeilen gesorgt. Hiphop-Kollegen wie Kanye West oder Tyler the Creator schickten postwendend Respektsbekundungen. Der einst mit «Faggot»-Lästereien auftretende Rapper Common hatte schon vor Jahren auf «Between Me, You & Liberation» mitfühlend vom Comingout eines Freundes gerappt. Dass nun mit Macklemore sogar ein weisser, heterosexueller Hiphop-Macker eine Solidaritätsadresse für Schwulenrechte aufnahm, zeigt, wie sehr sich der Mainstream bewegt hat. Am Schwulsein gibt es nichts mehr zu kurieren. Und im Pop wird offener denn je über Ausgrenzungen diskutiert.

Er selbst, sagt Le1f, habe mit seiner Familie Glück gehabt: Sowohl seine Mutter als auch Grossmutter – beide sangen regelmässig in der Carnegie-Hall – unterstützten seine musischen Neigungen, schickten ihn schon als Kind zum Ballett-Unterricht. Später sollte Diouf Musik und Tanz an der New Yorker Wesleyan University studieren. Dort traf er viele seiner späteren musikalischen Partner: Unter anderem Santigold und die Hiphop-Band Das Racist. Seinen Einstand als Rapper gab Le1f in den Untergrund-House-Clubs der Stadt. Erst 2012 nahm er – mit einem billigen 60 Dollar-Mikrofon – sein erstes Mixtape «Dark York» auf. Die Kombination von clublastigen Beats und humorvollen bis akrobatischen Rap-Kadenzen sollte vor allem: Spass machen.

«Weird» tönt besser als «gay»

«Nein», sagt Le1f, und sein Bariton-Singsang wird zum ersten Mal laut, «ein Schwulenaktivist mochte ich nie sein.» Er finde es gut, wenn breite Allianzen für die Rechte von Homosexuellen kämpfen. Der öffentliche Druck sei dadurch gewachsen, und einige Dancehall-Musiker hätten sich gar für ihre homophoben Texte entschuldigt, um weiterhin auftreten zu dürfen. Aber jemanden bekehren? «Ich hatte für mein letztes Mixtape eine Menge kritischer Raps geschrieben – gegen Rassismus, Homophobie, Islamfeindlichkeit. Aber dann schmiss ich sie alle wieder raus: Der beste Aktivismus ist doch, einfach man selbst zu sein.»

Anfang März hat Le1f nun seine offizielle Debüt-EP veröffentlicht, auf dem englischen XL-Label. Ja, seine Sexualität werde weiter ein Thema bleiben. Aber er wolle seine Rapper-Qualitäten nicht mehr hinter seiner sexuellen Präferenz verstecken. «Es gibt kein Ding namens schwulen Rap.» Entnervtes Seufzen. «Auch wenn die Journalisten den Ausdruck zum einhundertfünfzigsten mal gebrauchen. Haben sie meine Raps überhaupt gehört? Weit über die Hälfte meiner Texte handelt nicht vom Schwulsein.»

Er würde sich freuen, einmal nur als «New Yorker Rapper» angekündigt zu werden, sagt Le1f – oder noch lieber: als «verschrobener Rapper». «Weird» höre sich für ihn besser an als «gay». Schliesslich fühle er sich Typen wie Dizzee Rascal, Busta Rhymes oder Danny Brown (mit dem Le1f zwei Stücke aufgenommen hat) verwandt: Mit Rappern also, die sich auf bizarre Weise selbst inszenieren, und die ihrer Entfremdung auf der Bühne Ausdruck verleihen. Grüne Haare hin oder her. Das «Gefühl, ausserirdisch zu sein», entspreche keiner bestimmten sexuellen Orientierung: «Zu meinen Fans gehören viele weisse Hetero-Männer aus Kleinstädten. Diese Menschen identifizieren sich mehr mit meiner Kunst als mit irgendwelchen Vorurteilen. Sie sagen einfach: Der Typ hat swag. Er bringt’s. Das macht mich glücklich.»

Dieser Artikel ist zuerst erschienen im Tagesanzeiger am 11.3.2014 und später in einer bearbeiteten Version im Norient-Buch «Seismographic Sounds».

Biography

Jonathan Fischer ist Journalist, DJ und Maler aus München.

Published on March 31, 2014

Last updated on June 06, 2019

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