Der Rote Bereich.

Nische schützt vor Krise nicht

Das Internet setzt auch dem Schweizer Jazzmarkt zu. Nun geht die Befürchtung um, dass die Vertriebs- auch zur Produktionskrise werden könnte. Andere trotzen der Krise: zum Beispiel das Label Intakt Records von Patrik Landolt.

Benny Goodman ist schon lange tot. Der Klarinettist war ein Topstar der amerikanischen Unterhaltungskultur, und wenn man dem Titel seiner Autobiografie (Kingdom of Swing) glauben will, regierte er die 30er-Jahre wie ein Königreich. Das war einmal, und tatsächlich klingt die Geschichte heute wie ein Märchen. Denn der Jazz kennt längst keine Königreiche mehr, nur noch Nischen. Gerade in der Schweiz, wo Hunderte von Jazzmusikern um Klubauftritte buhlen. Und CDs einspielen, viele CDs.

Wer CD sagt, sagt auch Krise. Seit Jahren brechen die Verkäufe ein, in der Schweiz wurden 2009 nochmals 12 Prozent weniger CDs abgesetzt als im Vorjahr. Und wie sich das leicht im Angebot der Fachgeschäfte ablesen lässt, trifft es auch den Jazz. «In der Krise befindet sich vor allem der Vertrieb von Jazz-CDs in den Läden», sagt Patrik Landolt, der mit seinem Zürcher Label Intakt dieser Tage den 25. Geburtstag feiert. Intakt gibt jährlich rund 15 Alben heraus, vor allem im freieren Jazz. «In Zürich werden die Spezialistensachen zum Beispiel bei Musik Hug nicht mehr gepflegt. Und wenn die CDs nicht mehr zum Kunden kommen, haben wir als Label ein Problem», meint Landolt.

OM Willisau.

2008 ging jene Firma ein, die die CDs von Intakt vertrieben, also in die Läden gebracht hatte. Die Vertriebe und die Läden sind die schwächsten Glieder in der Verwertungskette der Musikbranche. Ihnen geht die Luft aus, werden CDs im Internet bestellt oder runtergeladen. Etliche Kleinere haben aufgegeben. Und was Hug/Jecklin betrifft: Nach der Fusion vor acht Jahren schloss eine Niederlassung nach der anderen: in Zürich, in Winterthur, in Baden, in St. Gallen.

Drastischer Rückgang

Nicht genug damit. Seit diesem Sommer importiert Musik Hug viele Jazz-CDs nicht mehr über den Schweizer Vertrieb Musikvertrieb (MV), sondern kostensparend direkt aus dem Ausland. Das macht Alex Schmid Sorgen. Er ist beim MV zuständig für viele unabhängige Schweizer Jazzlabels wie Unit sowie etliche ausländische Labels wie Act oder Enja. «Verlieren wir unseren wichtigsten Fachhändler, kann ich praktisch aufhören.» Natürlich spare der Fachhandel beim Direktimport – aber der ganze Service eines Vertriebs falle weg, so die Promotion oder die Bemusterung der Medien.

Die Enttäuschung.

Der Rückgang im Nischenmarkt Jazz sei drastisch: «Bei mir um zwei Drittel im Vergleich zur Situation vor zehn Jahren», sagt Schmid. Einige ausländische Labels hat der Zürcher Musikmanager darum abstossen müssen.

Alex Schmid glaubt sowieso, dass Jazz über kurz oder lang vor allem als MP3 verkauft werden wird. Nur noch grosse Produktionen wie etwa von Keith Jarrett werden, so glaubt der Branchenkenner, noch auf einem physischen Tonträger erscheinen. «Die meisten Leute sind keine Kulturtäter, die schöne CDs im Gestell haben wollen. Sie wollen einfach Musik hören.» Auch im Jazz ergebe es wenig Sinn, Musik auf eine CD zu speichern, wenn man sie digital streamen könne.

Auch Patrik Landolt wird nachdenklich angesichts der Lage. Er befürchtet, dass die Vertriebs- auch zur Produktionskrise werde. Zum Jubiläum seines Labels schrieb er kürzlich: «Für ein CD-Label ist es fast unmöglich geworden, die Kosten von Produktion und Distribution zu finanzieren. Die CD-Produktion ist eine Kulturförderungsarbeit geworden und bedingt eine neue Form des Mäzenatentums.» Vor ein paar Monaten hat Landolt im Theater Neumarkt für die Arbeit mit Intakt den Prix Suisseculture erhalten. Da erzählte er, er habe eine Phase des Verzagens hinter sich. Der Preis gebe ihm jetzt neuen Mut.

Patrik Landolt, ein kultureller Überzeugungstäter, möchte grundsätzlich nicht nur in Zahlen von Aufwand und Ertrag denken: «Unser Antrieb ist nicht die Gewinnmaximierung, sondern die Kulturvermittlung.» Die Arbeit seines Labels sieht er umfassend: Produktion, Vertrieb, Beratung, Konzertvermittlung, dazu die Organisation des Festivals Unerhört, auf dem er auch eigene Musiker platziert.

Ein Abonnement für CDs

Um CDs auch ohne Läden zu verkaufen, kennt Intakt ein Abo-System; rund 20 Prozent des Umsatzes macht Landolt inzwischen auf diese Weise. Auch Mailorder sei wichtig geworden im CD-Geschäft: In den USA würden fast 80 Prozent der Jazz-CDs via Mail bestellt, sagt Landolt. Er hält die CD keineswegs für ein Auslaufmodell. Es sei paradox, sagt er: «Ich beobachte, wie CD-Läden eingehen und CD-Vertriebe schliessen. Gleichzeitig ist die CD im Jazz wichtiger denn je – als Visitenkarte des Musikers. Ohne regelmässig eine neue CD vorweisen zu können, ist der Künstler in der Fachpresse nicht präsent.» Und noch ein Gegensatz zur Krise: Es gebe im Schweizer Jazz so viele gute Musiker wie noch nie.

Umso härter umkämpft ist der kleine Markt. Das zeigt auch das Beispiel der Migros. Das hauseigene Kulturprozent unterstützt Schweizer Jazzmusiker mit CD-Produktionen. Gleichzeitig aber nimmt Ex Libris, eine Tochter der Migros, diese CDs nicht ins Mainstream-Sortiment seiner 120 Filialen auf. So geschehen beim Album des Jazztrompeters Daniel Schenker.

Intakt erhält, anders als der MV, von der Pro Helvetia auch Fördergelder. Patrik Landolt sagt, das sei unverzichtbar. Er sieht seine Arbeit auch als eine Art von Service public: «Statt eine Telefonleitung zu legen, verhelfen wir Künstlern zu einer CD.» Wenn nur Marktgesetze herrschten, könne Kultur nicht existieren. Nun, einen neuen «King of Jazz» wird der Zürcher Plattenproduzent so kaum lancieren. Immerhin aber: «Eine Musik, die vom Markt nicht getragen wird, zugänglich zu machen – das ist unsere Aufgabe.»

The Master and the Rain.

Dieser Artikel erschien am 30.9.2010 im Zürcher Tagesanzeiger.

Biography

Christoph Merki ist promovierter Historiker (Uni Zürich) und Musiker (Musikhochschule Luzern). Ständiger Mitarbeiter im Feuilleton des Tages-Anzeigers seit vielen Jahren.

Published on October 15, 2010

Last updated on October 11, 2019

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