Couper-Décaler-Travailler.

Opium fürs Volk

In Paris haben jugendliche Tänzer und Musiker aus Côte d'Ivoire einen neuen Musikstil entwickelt: den Coupé-Décalé. Dieser hedonistische Musik-Trend erobert ganz Afrika.

In Côte d’Ivoire erfreut sich der Couper-Décaler-Travailler (kurz: Coupé-Décalé) grosser Beliebtheit. Seine atemberaubende Karriere lässt sich daran ersehen, dass er derzeit als populärster Musikstil Afrikas gilt. Interessant ist, dass er von ivoirischen Jugendlichen der Diaspora entwickelt wurde. Obwohl die west- und zentralafrikanischen Popmusik-Stile seit je Ergebnis einer komplexen Mischung unterschiedlicher klanglicher und rhythmischer Traditionen sind, gab bis anhin der Kontinent den Takt in Sachen musikalischer Innovation an und nicht die Diaspora. Mit dem Coupé-Décalé ist diese Hierarchie nun ins Wanken geraten.

Die Gründungsmitglieder des Coupé-Décalé nennen sich aufgrund ihres Lebenswandels «la Jet Set» und beziehen sich damit auf den Namen einer Pariser Disco. Musiker wie Douk Saga, Molaré oder Lino Versace haben Côte d’Ivoire infolge der politischen Instabilität verlassen und sich in der Stadt an der Seine niedergelassen. Unter Ausschaltung sozialpolitischer Themen versuchen sie, der Politisierung des ivoirischen Alltagslebens zu entfliehen und einen Ausgleich zum ideologischen Programm vieler Sänger der Heimat zu schaffen, die ihr Publikum mit patriotischen Inhalten einzudecken pflegen.

Extravaganz und Laszivität

Die Ursprünge des Coupé-Décalé liegen im Tanz des unweit von Abidjan gelegenen Dorfes Akoupé, der von der Jugend der Hauptstadt karikiert wurde. Was als Spass begann, hat sich mit der Zeit zu einem neuen Tanz entwickelt. Diese performativen und rhythmischen Elemente des Coupé-Décalé werden in eine elektronische Musik eingebettet, die Einflüsse des ivoirischen Zouglou, des kamerunischen Makossa und der kongolesischen Rumba aufweist. Die komplexen Traditionslinien kontrastieren allerdings mit den eher simplen Arrangements der DJ. Thematisch erschöpfen sich die Songs in Hommagen an wohlhabende Geschäftsleute oder VIP. Diese Hommagen stehen in der Tradition der Atalakus. Die Atalakus sind singende Animateure, die einen festen Bestandteil der kongolesischen Orchester bilden und einzig dafür zuständig sind, Lob in die Lieder einzustreuen. Über die Lobpreisung hinaus werden nun in den Coupé-Décalé-Songs auch amüsante Phrasen, kreative Wortbildungen oder onomatopoetische Laute eingefügt und auf monotone Weise repetiert.

Die mit dem Coupé-Décalé assoziierte extravagante Lebensweise zeigt sich schon in der Bezeichnung des Musikstils. In Abidjans Umgangssprache Nouchi bedeutet «couper» so viel wie «betrunken sein» oder «Unfug treiben». Im Kontext der in Paris lebenden ivoirischen Jugend, die sich auf teilweise dubiose Weise durchschlagen muss, hat sich die Bedeutung auf «betrügen» oder «Geld entwenden» verschoben. Ist man auf kriminelle Weise einmal zu Reichtum gelangt, kommt für einen dann das «décaler» zum Zuge – es gilt, schleunigst in die Heimat abzuhauen. Angekommen in Abidjan, ist schliesslich das «travailler» an der Reihe. Darunter wird allerdings nicht die Ausübung eines gutbürgerlichen Berufs verstanden, sondern das Ausgeben des wie auch immer erworbenen Geldes: Man fährt deutsche Limousinen, kauft italienische Klamotten, trägt Schweizer Nobel-Uhren, trinkt Champagner, raucht kubanische Zigarren, isst russischen Kaviar und geniesst das Nachtleben in den Bars und Klubs. Hier wird das Geld auch auf generöse Weise unter den lokalen DJ verteilt, die ihre Stücke wiederum mit Hommagen an die früheren Kollegen schmücken. Auch die weiblichen Discobesucher kommen in den Genuss der Generosität und danken es mit laszivem Tanz.

Als Gründer des Coupé-Décalé gilt Douk Saga, der nach zwei lokalen Kassetten vor kurzem sein erstes Album herausgebracht hat. Douk Saga macht kein Hehl daraus, dass es beim Coupé- Décalé darum geht, die hedonistische Lebensweise zu einem einträglichen Beruf zu machen. In Interviews gibt er freimütig zu, ein Angeber, Bluffer und Macho zu sein, der nach Reichtum, Frauen und Anerkennung strebe. Diese Lebensphilosophie setzt er auf dem Dancefloor und in den Videoclips um. Und die übrigen Mitglieder des «Jet Set» stehen dem Leader Douk Saga in nichts nach.

Die Gründe für den Erfolg des Coupé-Décalé liegen vor allem in seiner sprachlichen und performativen Innovationskraft. Ständig werden neue Tanzschritte erfunden und mit originellen Namen benannt. So nennt Douk Saga seinen eigenen Stil «sagacité», sein Kumpel Molaré hat den «farot-farot» erfunden, und Shanaka Yakuza promotet die «drogbacité» – diese Tanzschritte imitieren die Bewegungen Didier Drogbas, des Fussballstars des englischen Klubs Chelsea. Weitere Schlüsselbegriffe des Coupé-Décalé-Vokabulars sind «ambiancer», «bien galopper» (galoppierend tanzen), «boucantier» (in der Öffentlichkeit eine Show abziehen) oder «s’envoler» (abhauen). Sie gehören zu einem Set an Verben, die in vielen Liedern verwendet werden.

Ende in Sicht

In der ständigen Innovation liegt auch eine Schwäche des Coupé-Décalé. Denn die zwanghafte Originalität läuft auf die Dauer ins Leere. Einen Moment lang mag das musikalische Opium wirken, aber angesichts der künstlerischen Monotonie, des programmatischen Eskapismus und der moralischen Fragwürdigkeit der extravaganten Lebensweise der ivoirischen «Jet Set»-Bewegung ist das Ende der Coupé-Décalé-Party absehbar. Der Kater wird sich dann mischen mit der Sorge um die politische und dei soziale Krise von Côte d’Ivoire

Biography

Frank Wittmann beschaeftigt sich mit Medienkultur und Populaermusik in Westafrika. Derzeit arbeitet er als Informationsbeauftragter bei der UNO in Haiti.

Published on August 17, 2006

Last updated on October 13, 2019

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