Bongo Flava.

Ich fahr’ Toyota, was fährst Du?

Der schmale, schüchterne Junge mit der Akustikgitarre hat es schwer. Ganz allein steht er auf einer Bühne mitten in Daressalam. «Geh nach Hause», ruft jemand aus dem Publikum schon während des ersten Songs, und von da an ist kein Halten mehr. «Geh doch in die Kirche», schlägt der nächste vor, und ein anderer ruft: «Du heulst wie eine Katze!» Leise Lieder, wenig Bizeps – melancholische Akustikgitarrenspieler können sich verpfeifen. Das, schimpft einer, sei doch wohl «weisse Musik».

Es ist ein Abend aus der Kategorie Bilderbuchafrika: eine bunt geschmückte Bühne im Stadtpark Mnazi Mmoja. Afrikanische Musiker in Baströcken spielen auf Trommeln und Marimbas panafrikanische Musik und tanzen ekstatisch Hüftkreistänze. Der Junge mit der Gitarre ist nur Rahmenprogramm. Bands aus vier Ländern, zusammengetrommelt von «Jeunesse musicale», der weltweit grössten musikalischen Jugendorganisation, kämpfen im Finale um eine Europatournee. Am Ende siegen die mit den buntesten Kostümen, den wildesten Tänzern und den ethnischsten Trommeln – also die Vertreter einer in Europa allzu bekannten afrikanischen Musiktradition. Das Publikum applaudiert höflich. Nur einmal hat der Wettbewerb Popkonzertcharakter – als die einzigen Rapper im Finale auftreten. Ordnungshüter mühen sich, hüpfende Jugendliche in ihrem abgesperrten Bereich zu halten. Sie haben keine Chance. Die Metapher für die Freiheit der Bewegung heißt Bongo Flava – tansanische, kiswahilisprachige HipHop-Musik.

Das Wort Bongo ist nicht nur der Spitzname für Rapper, sondern zunächst einer für Daressalam selbst. Bongo kommt vom Wort für Gehirn, ubongo: Wer hier wohne, der brauche Grips, um zu überleben, so die gängigste Interpretation. Daressalam ist ein raues Pflaster, auch wenn die Landbevölkerung die wirtschaftliche Kapitale Tansanias als gelobtes Land betrachtet. Doch die wenigsten, die hierher kommen, finden einen Job. Bongo Flava gilt daher als der sicherste Weg, berühmt zu werden. Und an das ultimative Statussymbol zu kommen: einen eigenen Toyota.

Wo das Leben nicht immer fair ist, da ist HipHop zuhause. Fast jeder, der in den Straßen von Daressalam Kassetten oder Holzschmuck verkauft oder seine Dienste als Schuhputzer anbietet, hat schon eigene Rhymes geschrieben. Das Problem ist: Nur die wenigsten haben genug Geld, um Demo-Versionen ihrer Stücke produzieren. Von denen wiederum werden kaum welche im Radio gespielt. Die Erfolgsaussichten als Rapper sind tatsächlich also kaum höher als die jener, die auf den normalen Arbeitsmarkt in Daressalam drängen – von denen bekommen am Ende nur fünf Prozent eine Anstellung. Wer es jedoch schafft, eine Kassette herauszubringen, der tut das richtig, mit allem Medien-Tatütata. So eine Chance muss man nutzen. Vielleicht ist es die einzige im Leben: um Geld zu machen. Und um seine Botschaft zu verbreiten: Bongo Flava ist das Schwarze Brett der tansanischen Jugend. Es gibt nur nicht für jeden einen Reissnagel.

«Wir sind Lehrer», sagt Hamis Mohamed Mwinguma, der ein Trikot der Marke Nike trägt und sich als Rapper Mwanafalsafa nennt – Kiswahili für Philosoph. «Uns hören die Leute zu, also ist es unsere Aufgabe, den Leuten etwas zu sagen, Mann.» Und so dreht es sich, wegen der ujumbe, der Message, in den Texten oft um sozial relevante Themen. Um HIV etwa. Der tragische Held aus Mwanafalsafas bekanntestem Song «Alikufa kwa ngoma» zum Beispiel predigt ständig gegen Ehebruch. «Aber trotzdem stirbt er an der Krankheit», sagt Mwanafalsafa. «Darin liegt die Botschaft: Jeden kann es erwischen.» Bongo-Flava-Songs sind die wirkungsvollste Ergänzung zu den vielen Plakaten, die in Daressalam vor der HIV-Ansteckungsgefahr warnen.

Neben den Themen Aids, Armut und Arbeitslosigkeit stehen im tansanischen HipHop drei ganz andere Sachen im Vordergrund: Ablenkung, Abtanzen, Anbandeln. Wobei die Bereiche «Probleme» und «Party» oft zusammen behandelt werden. Die Rapper, die beim Wettbewerb der «Jeunesse musicale» auftreten, verbreiten mit aufgeblasenen Kondomen gute Laune zu ihrem Song über Aids. Das Muster zieht sich durch die Hitparade: In «Bush Pati» der Solid Ground Family geht es darum, dass sich auch ohne Geld feiern lässt; in der Ghetto-Hymne «Mtoto wa Geti Kali», mit der die aus den Slums von Temeke stammende Gruppe Gangwe Mobb in ganz Ostafrika berühmt wurde, um die schwierige Liebe zwischen einem armen Jungen und einem reichen Mädchen. Die Moral: Das Zusammengehörigkeitsgefühl in den Slums, wo man sein Hab und Gut «auf dem Platz einer Briefmarke» unterbringen kann, sei bedeutsamer, als in einer großen Villa zu leben, einsam und allein.

Der tansanische HipHop war inhaltlich von Beginn an dem Wertesystem der eigenen Gesellschaft angepasst. Als in den frühen neunziger Jahren der erste Musiker auf die Idee kam, auf Kiswahili zu rappen, benutzte er die Beats von Naughty by Natures «O.P.P.» – die amerikanische Slang-Kurzform für «Other People’s Pussy / Penis». Die tansanische Version aber hiess «Omba Pure Penzi» – «Verlange wahre Liebe». Mit dem Lied begann der Aufstieg des kiswahilisprachigen Rap. Während ältere Musiker ihn als US-Kopie und Zeichen für die kulturelle Unselbständigkeit des Landes kritisierten, wurde er zur muziki ya kizazi kipya, zur «Musik einer neuen Generation», wie die Zeitungen die Generation der unter 30-Jährigen nennen, der über fünfzig Prozent der tansanischen Bevölkerung angehören.

Heute, ein Jahrzehnt später, hat sich nach den Texten auch die Musik verselbständigt. Die Zeiten, in denen sich die Rapper streng an amerikanischen Vorbildern orientierten, sind vorbei. Bongo Flava ist auch musikalisch ein eigener Stil geworden, der panafrikanische Traditionen, Instrumente und Melodien einsetzt. Zwar schimpfen die Alten noch immer. Doch in ihrer Kritik schwingt auch Missmut darüber mit, dass sie die ständig neuen Jargonwörter der Jugend nicht verstehen. Die Rapper finden Bongo Flava nur konsequent: Sie berufen sich auf afrikanische Wurzeln von HipHop und sind stolz auf ihre ganz eigene Form, die dennoch universell verständlich ist. «Wir retten die Kunst von Tansania, damit die Wirtschaft ansteigt», heisst es im Refrain von Afande Seles «Mtazamo», dem «Besten Rapsong 2002». Für das Intro hat der Produzent eine Akustikgitarre benutzt. Solange es Bongo Flava ist und sich dazu tanzen lässt, ist das erlaubt.

Buch-Tipp: Klaus Raab, 2006: Rapping the Nation: Die Aneignung von HipHop in Tanzania. LIT-Verlag

CD-Tipp: V.A, 2004: Bongo Flava – Swahili rap from Tanzania. Outhere Records

Published on August 13, 2008

Last updated on October 04, 2019

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