His imperial majesty.

Von Trench Town nach Cocody

Die in Jamaica entstandene Glaubenslehre der Rastafaris, die den äthiopischen Kaiser Haile Selassie als eine Art schwarzen Messias verehren, wurde durch die Reggae-Musik weltbekannt. Wie aber wurde ihr Gedankengut in Afrika selbst aufgenommen?

Zu Beginn der 1930er Jahre begannen einige jamaicanische Strassenprediger, die Göttlichkeit des äthiopischen Kaisers Haile Selassie zu verkünden. In kurzer Zeit entwickelte sich aus diesem Kult eine neoreligiöse Bewegung. Der Rastafarismus – wie die Glaubenslehre im Rückgriff auf einen der Beinamen Selassies genannt wurde – hat die Dekonstruktion des eurozentrischen Institutionen- und Wertesystems und die Wiederbelebung einer afrozentrischen Identität zum Ziel; zwar beruht er auf der biblischen Tradition, die aber – mit der Inthronisierung einer schwarzen Messias- oder Gottesfigur – spezifisch auf die Bedürfnisse der entrechteten Schwarzen in den Kolonien ausgerichtet wurde.

In ihrer Historiographie berufen sich die Rastas auf die ins 4. Jahrhundert zurückgehende äthiopische Bibel der koptischen Kirche und sehen sich als die Abkömmlinge des alttestamentlichen Volkes Israel. Ihr Diskurs ist eine radikale Kritik an «Babylon», das die gottlose abendländische Welt als Ort der Ausbeutung und Unterdrückung repräsentiert. Von Selassie, auch Jah genannt, wird gesagt, dass er seine Anhänger am Tag des Jüngsten Gerichts aus Babylon ins verheissene Land, nach Afrika, heimführen werde.

Transnationale Verbreitung

Zur Ausbreitung der Glaubenslehre hat speziell auch die Reggae-Musik beigetragen, die die Emanzipation der jamaicanischen Populärmusik verkörpert. Sie entwickelte sich von der Adaption des afro-amerikanischen Rhythm’n’Blues und des Soul über Musikformen wie Mento, Ska, Rocksteady zu unterschiedlichen Reggae-Stilen wie Dub, Lovers oder Rockers. Aber erst mit dem Roots-Reggae gelang es, den Stil zu kommerzialisieren und zu internationalisieren. Hier nahmen die Liedtexte jene Spiritualität, jenes soziopolitische Engagement und jene Rasta-Rhetorik an, die schliesslich niemand so glaubwürdig in aller Welt vertreten konnte wie Bob Marley.

Wenige neoreligiöse Befreiungs- und Jugendbewegungen haben sich in so kurzer Zeit so stark internationalisiert wie die Rastafari-Kultur. Weil den jamaicanischen Rastas Afrika als utopischer Ort gilt, der als Symbol für Tradition und Einheit steht, ist es besonders interessant, die Verbreitung und Aneignung der Rastafari-Kultur in Afrika genauer unter die Lupe zu nehmen. Lokale afrikanische Varianten bildeten sich durch Reisen und Migration von jamaicanischen Rastas, durch die Gründung von Kommunen und besonders durch den Erfolg der Reggae-Musik aus.

Die Repatriierung ist ein wesentliches Element der Glaubenslehre. Während sich allerdings die grosse Mehrheit der Rastas mit dem Besingen eines imaginierten Afrika begnügte, gab es bereits Ende der 1940er Jahre einige Anhänger, die nach Äthiopien auswanderten. Hier teilte ihnen Haile Selassie ein Stück Land zu, das die Rastas besiedelten und bewirtschafteten. Bis heute zählt die Kommune Shashemene rund 200 Mitglieder. Die stärkste Verbreitung sollte die Rasta-Kultur jedoch in Ghana finden. Dies mag damit zusammenhängen, dass viele der nach Jamaica verschleppten Sklaven aus dieser Region stammten. An der ehemaligen Goldküste lassen sich bereits seit Mitte der 1950er Jahre Anhänger der Rastafari-Bewegung nachweisen. 1975 gründete der Jamaicaner Wolde Mykal hier eine Abteilung der Rasta-Organisation Ethiopian World Foundation, und sein Landsmann Prophet Gad eröffnete 1986 eine Abteilung der Twelve Tribes of Israel.

Wie in den übrigen westafrikanischen Ländern geschah die eigentliche Verbreitung der Rastafari- Bewegung auch in Ghana durch die Reggae- Musik. Im Gegensatz zu Jamaica, wo nur das Nyabinghi-Trommeln als eigentliche Rasta-Musik zählt, gehört die Identifizierung von Rastafari- Religion und Reggae zu den lokalen Charakteristika der westafrikanischen Aneignung. Dabei gilt Bob Marley vielen Afrikanern als Erfinder des Reggae. Inspiriert durch seinen Erfolg, popularisierten seit Anfang der 1980er Jahre dann vor allem die Sänger Alpha Blondy (Côte d’Ivoire) und Lucky Dube (Südafrika) das Gedankengut der Rastafaris in einer säkularisierten Form.

Säkularisierte Variante der Rasta-Kultur

Damit ist bereits ein Hinweis gegeben, dass der Reggae nicht bloss in anglophonen Ländern wie Gambia, Ghana, Liberia oder Nigeria prosperierte, sondern erstaunlicherweise auch in einigen frankophonen Ländern Westafrikas. Hier ist das Phänomen untrennbar mit Alpha Blondy verbunden, der eine wahre Reggae-Hysterie ausgelöst hat. Indem er den karibischen Stil mit westafrikanischen Rhythmen und Instrumenten vereinigte, den jamaicanischen Rastafari-Diskurs in westafrikanische Sprachen übertrug, an die ivoirische Themenagenda anpasste und die Rastafari-Ideologie mit der westafrikanischen Spiritualität versöhnte, gab er der rebellischen Musik eine Form, in der sich das lokale Publikum wiedererkennen konnte. Das Besondere an Alpha Blondy ist, dass er eine vielschichtige Analyse der Missstände anbietet. Er sucht die Gründe für Krisen, Kriege und Katastrophen nicht nur in den Folgen von Sklaverei, Kolonialismus und Globalisierung, sondern ebenfalls in der selbstsüchtigen Politik der afrikanischen Eliten. Seine Kritik richtet sich jedoch auch an die afrikanische Bevölkerung, deren Hypokrisie und Lethargie er angreift.

Alpha Blondy.

Alpha Blondy ertönt nicht nur in Abidjans Studentenviertel Cocody, sondern auch in Côte d’Ivoires Nachbarland Burkina Faso. Hier gibt es ein Roots Art Café benanntes Kulturzentrum, das im März 2005 das erste Reggae-Festival in der Hauptstadt Ouagadougou organisierte. Es zeigte sich, dass hinsichtlich der rhythmischen Vorgaben, des rebellischen Potenzials der Liedtexte, der modischen Insignien und der gesellschaftlichen Positionierung weitgehende Übereinstimmungen zwischen dem jamaicanischen Original und der westafrikanischen Variante bestehen.

Gemeinsamkeiten, Differenzen

Interessanter als die Perspektive auf die Gemeinsamkeiten ist jedoch ein kritischer Blick auf die bedeutsamen Unterschiede. Musikalisch gesehen charakterisiert sich der westafrikanische Reggae durch den Einsatz von lokalen Instrumenten und Melodien, durch die Vielfalt der verwendeten Sprachen sowie durch die Berücksichtigung der lokalen Themenagenda und des kulturgeschichtlichen Kontextes. Wie ihre jamaicanischen Brüder pflegen auch die westafrikanischen Reggae-Musiker einen afrozentrischen Diskurs. Aber auch wenn für sie Afrika ebenfalls die Wiege der Menschheit und die Quelle des Rastafari- Glaubens ist, können sie sich nicht mit dem romantischen und utopischen Afrikabild der jamaicanischen Rastas identifizieren. Die vielfältigen politischen, militärischen, sozialen und religiösen Konflikte, die hohe Armut, Arbeitslosigkeit und Kriminalität sowie die weit verbreiteten Krankheiten wie Aids oder Malaria führen sie zu einer wesentlich differenzierteren Auseinandersetzung mit ihrer Heimat. Die Ursachen werden teilweise auf die modernen Ausbeutungsformen durch «Babylon» zurückgeführt, wobei Babylon mehrheitlich auf Europa beschränkt bleibt. Dies lässt sich durch die europäische Kolonialgeschichte und die Tatsache erklären, dass die heute in Westafrika lebenden Ausländer mehrheitlich Europäer und Libanesen sind.

Angesichts der Komplexität der Probleme stellt die Gesellschaftsanalyse der westafrikanischen Rastas aber auch eine hohe Eigenverantwortung fest. Sie schlägt sich nicht nur in dem Eingeständnis nieder, dass gewisse Regierungen und Geschäftsleute die Helfer Babylons seien, sondern gipfelt in der für jamaicanische Ohren geradezu ketzerischen Aussage eines Rastas aus Burkina Faso: «Hier ist Babylon. Afrika ist Babylon, Burkina ist Babylon, die Region der Grossen Seen ist Babylon. Alles, was hier geschieht, ist Babylon.» In der unterschiedlichen Verwendung der Afrika- Metapher zeigt sich der unwiderrufliche Bruch zwischen Afrika und der Karibik, der auf die Erfahrung von Sklaverei und Exil zurückzuführen ist. Während die Metapher als zentrales Element der jamaicanischen Identitätskonstruktion fungiert, durchschauen die westafrikanischen Rastas zumindest ansatzweise die für einmal positive Instrumentalisierung Afrikas als Projektionsfläche für Utopien.

Biography

Frank Wittmann beschaeftigt sich mit Medienkultur und Populaermusik in Westafrika. Derzeit arbeitet er als Informationsbeauftragter bei der UNO in Haiti.

Published on October 17, 2006

Last updated on October 13, 2019

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