She & Him.

Macht Surfbretter, nicht Krieg

Heutige Bands orientieren sich gerne an den harmonischen Klängen aus den goldenen Epochen des Pop. Ein paar Beispiele.

Sie sind toter als auch schon. Jimi Hendrix, erstickt am 18. September 1970 an seinem eigenen Erbrochenen, und Janis Joplin, gestorben zwei Wochen später an zu viel Heroin, waren zwei der prominentesten Gesichter der Rockrevolution. Doch während die Welt jetzt ihre runden Todestage begeht, fällt auf, dass die Erinnerung an die Ikonen der späten Sechzigerjahre langsam verblasst. Nicht bei ihren Fans und nicht bei ihren Vermarktern. Aber sehr wohl in der aktuellen Popmusik.

Stöbert man nämlich durch einige der beeindruckendsten Platten der letzten zwei Jahre, stösst man auf Einflüsse, die jünger und älter sind als der Rock der klassischen Ära. Immer wieder hört man etwa den kühlen Spätpunk von Joy Division heraus, aber auch den kugelrunden, durch Gesangsharmonien schaumgekrönten Pop der frühen Sechziger: die Girl Groups und den Doo Wop, den Soulpop des Motown-Labels und die frühen Beach Boys. Ein grosses Shalala geht derzeit durch die Popmusik.

Die Welt anpacken

Fragt man die jungen Musiker, warum sie sich am Erbe der Hitfabriken von vor fünfzig Jahren delektieren, erfährt man wenig mehr, als dass das halt gute Musik sei. «Ich kann nicht erklären, warum mich diese alten Platten inspirieren», sagt etwa Matt Ward, der mit She & Him soeben ein sonnig-sentimentales Pastiche jener Popära herausgebracht hat. Etwas präziser wird Brian Burton (Danger Mouse). Auch er hat diese alte Musik wie einen fernen Traum in Szene gesetzt. In den Songs seiner Broken Bells wie auch im Interview outet er sich als obsessiver Bewunderer davon, wie dieser frühe Pop geklungen hat.

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Der «warme Sound» ist auch das Äusserste, auf das sich die Schauspielerin Zooey Deschanel festlegen will, Partnerin von Matt Ward bei She & Him. Und gar nichts sagt Nathan Williams, dessen Wavves gerade «King of the Beach» in den Läden haben, auf dem strahlende Chöre über hart gekantete Rockgitarren surfen. Hören wir uns also die Musik an. «Take On the World» etwa, einen der besten Songs der Wavves. Die Melodie ist süchtig, die Chöre gehen nieder wie gebündelte Sonnenstrahlen. Doch bevor man in Euphorie ausbricht, achtet man besser auf den Text: «To take on the world would be something» («Das wär schon was, die Welt anzupacken»). Der Refrain wiederholt die Zeile ein paar Mal, aber mehr ist da nicht. Kein Zweifel: Dieser junge Mann wird die Welt so schnell nicht anpacken.

«Wir wollen die Welt, und wir wollen sie jetzt»

Das klingt offensichtlich nach dem Gegenteil von 1968. Nicht nach Janis Joplin, die «Get It While You Can» sang. Nicht nach Jimi Hendrix, der mit seiner Gitarre nach den Sternen griff und sie vom Himmel pflückte, als sei dies das Einfachste der Welt. Und auch nicht nach Jim Morrison von den Doors, der erst 39 Jahre tot ist, an dessen Satz hier aber trotzdem erinnert sein soll: «Wir wollen die Welt, und wir wollen sie jetzt.» Bei Nathan Williams von den Wavves, 23 Jahre alt und wie Jim Morrison ein Kalifornier, ist die Welt nichts mehr, das man haben möchte.

Rock hat vielleicht die Welt erobert, aber das hat weder den Rock noch die Welt unbedingt besser gemacht. Im Gegenteil: Der Musikhistoriker Elijah Wald hat darauf hingewiesen, wie sich die Rockmusik ab 1965 als weisses Genre etablierte, während das schwarze Amerika auf Soul und Funk auswich. Wenn sich die Popszene in den USA unter dem ersten afroamerikanischen Präsidenten jetzt an den Klang der frühen Sechzigerjahre erinnert, könnte man darin das zarte neue Blühen einer alten Utopie hören: Wie 1964 in der T.A.M.I.-Show erklingen die Beach Boys und Gerry & the Pacemakers wieder in seliger Eintracht mit Marvin Gaye und den Supremes – als geeinter Pop im geeinten Land.

Aber das ist nur ein dünnes Echo. Denn die Welt und die Musik sind nicht darnach, und was will man mit alten Utopien, wenn die Jobs fehlen und das Land in neue Kriege verstrickt ist. Die Euphorie, die in den Songs der Wavves angedeutet ist, schärft nur die Hoffnungslosigkeit und den Selbsthass, der aus den Texten spricht: «I hate myself, man, but who’s to blame?», heisst es in «Take On the World», und die Zeile mündet in einen bitteren Reim: «I hate my music, it’s all the same.» 

Ekstase war einmal

Bei den Wavves ist es also der Grunge von Kurt Cobain, der den Strand überrollt, an dem sich die Beach Boys fläzen. Bei den Drums aus New York oder bei Glasvegas aus Glasgow ist es der britische Postpunk, der als fahle und triste Kulisse dient, in denen das zuckrige Shalala herumirrt wie bestellt und nicht abgeholt. Bei all diesen Bands funktionieren die catchy Melodien und süssen Harmonien als Folie für den Spass, von dem erwartet wird, dass man ihn als junger Mensch hat. «I go surfin’ in my mind», singen die Wavves.

«Als Teenager fühlt man Freude und Traurigkeit so intensiv und pur wie nie mehr in seinem Leben», sagt Matt Ward von She & Him: «Und diese Reinheit wurde nie besser eingefangen als im Teenage Pop der frühen Sechziger.» Wenn die heutigen Bands auf diese fünfzigjährige Musik zurückgreifen, dann wie auf ein altes Versprechen, das sich längst als falsch erwiesen hat, an das einen aber jedes verführerische Klingeln der Gitarre erinnert.

Der Kokon des dichten Gruppensounds

Man hört diesen sehnsüchtigen Rückwärtssalto überall. Im Teenage Pop der Drums und Wavves, im Techno von Matthew Dear, im späten Britpop von Glasvegas oder im avancierten Pop von Grizzly Bear. Und er macht klar, warum Genies wie Hendrix, Joplin und Morrison, die einem in dramatischen Gesten die Welt besorgen, derzeit nicht hoch im Kurs stehen. Die Welt kann und will nicht mehr erobert sein, wo sich der Popstar nicht mehr als züngelnder «Lizard King» stilisiert, sondern lieber als «Idiot» (Wavves), der sich in den Kokon eines dichten Gruppensounds zurückzieht. Wo die Musik nicht mehr Ekstase sucht, sondern Ernüchterung vertont.

Und wo sogar das Drama nicht mehr ist als ein weiterer Grund zur Melancholie. Denn es gibt ihn ja zum Beispiel noch, den Flirt mit dem schnellen Tod. Aber seit die Handyfilmchen über Amy Winehouse oder Pete Doherty zeigen, wie schäbig er aussieht, lohnt es sich kaum mehr, darüber zu singen. Oder der Krieg: Während die Alten wie Bruce Springsteen gegen die Invasion des Irak ansangen, münzten sie die Jüngeren zu traurigen Bildern: «We made love on the living room floor / With the noise in the background of a televised war», harmonierten Conor Oberst und Emmylou Harris im «Land Locked Blues».

Anklickbare Glücksdateien

Make love, not war? Es geht auch beides gleichzeitig, wie man seit den Beatles weiss, einer Band, die gerade wieder sehr modern klingt. Aber das höchste Gefühl, das sich so erreichen lässt, ist nicht die Ekstase. Sondern der Zustand der glücklichen Verwirrung. Man erreicht ihn mit den besten Songs der Beatles oder der späten Beach Boys ebenso wie mit dem post-psychedelischen, aus tausend Versatzstücken gebauten Pop von Animal Collective aus New York. Hier surfen Beach-Boys-Chöre als jederzeit anklickbare Glücksdatei durch die Matrix. Öffnet man sie, taucht er auf, der Leitsatz des neuen Eskapismus: denkt an Surfbretter, nicht an den Krieg.

Dieser Text erschien im Tagesanzeiger am 18.9.2010.

Biography

Christoph Fellmann (* 1970), lebt in Luzern, arbeitet in einem Teilzeitpensum als Musikredaktor beim Tages Anzeiger in Zürich. Daneben arbeitet er als freier Journalist und Texter. Follow him on Instagram.

Published on October 06, 2010

Last updated on October 11, 2019

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