Die Welt der Musikgenres ist eine vielfältige, bunte und manchmal unfreiwillig komische. In dieser Serie sollen Genres zum Zuge kommen, von denen Sie bis anhin vielleicht (zu recht) noch nie gehört haben. Norient publiziert die auf dem Blog KulturStattBern erscheinende Serie von Gisela Feuz.
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7. Glitch
Stellen Sie sich vor, Ihr CD-Player hat einen Aussetzer und kann ihren Lieblingssilberling aus dem Jahr 1989 nicht mehr richtig lesen, versucht es aber immer und immer wieder. «Wfuiiitsch, wfuiiitsch … wfuiiitsch», so klingt das ungefähr. Wenn Sie dieses Geräusch nun aufnehmen und weiterverarbeiten, dann machen Sie Glitch.
Es ist eine Ästhetik der elektronischen Fehlfunktion, welche bei Glitch im Zentrum steht. Dazu werden Geräusche verwendet, welche der Computer oder ein technisches Audiogerät von sich gibt, wenn es mit irgendetwas nicht einverstanden ist. Einige Glitch-Musiker gehen sogar so weit, dass sie elektronische Geräte so lange beschädigen, bis diesen nur noch knapp ein Ton entlockt werden kann. Damit wird dann eine Art Melodie kreiert, die wiederum von anderen Störgeräuschen unterbrochen wird; Brummtöne, Rauschen, Verzerrung, Bit-Rate-Reduktion, Hardware-Geräusche oder Geräusche von Software-Warnungen oder System Errors lassen dabei das Herz jedes Glitchers höher schlagen.
Als selbständige Bewegung lässt sich Glitch erstmal im Deutschland der 90er-Jahre festmachen, allerdings finden sich Ideen zu dieser Fehlfunktion-Ästhetik bereits in The Art of Noises aus dem Jahre 1913, dem Manifest des italienischen Futuristen Luigi Russolo zu Noise-Musik.
8. Visual Kei
Falls Sie Visual Kei nicht kennen sollten, freuen Sie sich, denn hier gibts gleich zünftig eins aufs Auge. Jawohl, aufs Auge, denn Visual-Kei-Bands sind weniger für ihre Musik, sondern vielmehr für ihre ausgefallenen Bühnenoutfits bekannt. Visual Kei ist vor allem ein japanisches Phänomen, wobei die Vorbilder in den 80er-Jahren der westlichen Musikszene zu finden sind. Die modische Aufmachung von David Bowie, Souxsie and the Banshees, Twisted Sisters und anderen Bands aus der Glam-Rock- oder Gothic-Ecke haben einige japanische MusikerInnen offenbar dazu inspiriert, sich nach westlichem Vorbild zu kleiden und schminken, wobei in Punkto (Renaissance-)Grellheit gerne noch eines oben drauf gesetzt wird.
Es ist nicht gänzlich geklärt, welche japanische Band zuerst im Visual-Kei-Stil auftrat. Als möglicher Vorreiter wird die Band X Japan genannt, obwohl die Truppe selber sich nie dahingehend geäussert hat, sondern sich vielmehr als reine Metal-Band verstand. Musikalisch lassen sich die VK-Bands nicht auf einen Nenner bringen, denn von Pop über Glam Rock bis Heavy Metal ist alles vertreten. Hauptsache schön toupiert, viel Haarspray und ordentlich Farbe auf den Augendeckeln.
9. Wizard Rock
Zu den führende Vertreter von Wizard-Rock-Bands (Wizard = Zauberer, Hexenmeister) gehören Harry and The Potters und «Draco and The Malfoys, womit denn auch bereits klar wäre, welches die Kernelemente dieses Genres sind. Gerne wird hier die Perspektive eines zauberstabschwingenden Jünglings eingenommen und obwohl die Zauberwelt da doch so einige Charaktere zu bieten hätte, wird der blasse Potter mit seiner John-Lennon-Brille bevorzugt behandelt.
Verbrochen haben Wizard Rock die beiden amerikanischen Brüder De George, welche um 2003 herum dermassen von den Büchern der J.K. Rowling begeistert waren, dass sie sich zu Harry and the Potters zusammentaten und in Bibliotheken (!) zu spielen begannen. Dabei bediente der damals 18-jährige Joe De George das Keyboard und gab den Harry im vierten Zauberlehrjahr, während sein um acht Jahre älterer Bruder Gesang und Gitarre beisteuerte und den offenbar ein paar mal sitzen geblieben Harry im siebten Zauberlehrjahr darstellte. Die Songs sind voller Anspielungen auf den Hogwarts- und Muggle-Kosmos und tragen Titel wie «Luna Loveggod is OK», «Phoenix Song» oder «Save Ginny Weasley». Harry sei halt schon ziemlich punk, erklärte einer der De George-Brüder die eigene Faszination für den bleichen Zauberschüler. Nun ja. Über die Definition von «punk» lässt sich bekanntich streiten. Nun aber Video ab – exklusiv für Sie mit Text zum Mitsingen, werte Leser und Leserinnen. «Expecto Patronum!!»
10. Cuddlecore
Die Bezeichnung Cuddlecore (cuddle = kuscheln) wurde anfänglich für die kanadischen Bands Cub oder Bunnygrunt verwendet. Diese verstanden sich in den frühen 90er-Jahren als Gegenpol zu der Riot-Grrrl-Bewegung, in welcher (Frauen-)Bands wie L7, Hole oder The Muffs rotzigen Alternative-Rock oder Punk produzierten. Der Begriff Cuddlecore wird seitdem für Bands verwendet, die oft, wenn auch nicht immer, nur aus Frauen bestehen und eine eher pop- und harmonieorientierte Art von Punk oder Rock spielen. Während die Riot Grrls in schönster Teenager-Manier mit zerrissenen Strümpfen, schwarzumrandeten Augen und gestrecktem Mittelfingern der Welt einen Tritt in den Hintern zu verpassen gedenken, sind Cuddlecore-Mädchen quasi die kleinen Zahnspangen-Schwestern, die höchstens mit Stofftieren um sich werfen und sich anschliessend dann auch noch dafür entschuldigen.
11. Splitter
Innerhalb der Gattung Speedcore – also der extrem schnellen Variante von Hardcore Techno – wird Splitter als die schnellste Variante überhaupt gehandelt, ist also quasi der Usain Bolt des Techno. Anfang der 90er-Jahre wurde im Bereich der Techno-Musik viel ausprobiert, alles war neu und entsprechend ungezwungen ging man an Experimente heran. Im damaligen Untergrund gab es auch die Speedfreaks, denen es nicht schnell genug sein konnte und die sich im aufstrebenden Internet zusammentaten und austauschten, wobei die Speedcore-Szene vor allem ein europäisches Phänomen war und blieb.
Der Ursprung dieser schnellstmöglichen Version von Techno liegt in der Benutzung von Drumcomputern und Perkussionssampels; aufkommende Computerprogramme wie «Tracker» unterstützen und vereinfachten die Bearbeitung. Bald einmal gab es in Bezug auf die Geschwindigkeit keine Obergrenze mehr, so erreichen die schnellsten Splitter-Stücke aberwitzigen 15’000 BPM. Grundsätzlich wird ab 600 BPM, also 10 Beats pro Sekunde, von Splitter gesprochen. Oft sind die Beats dermassen schnell, dass die ursprünglichen Bässe nach anderen homogenen Geräuschen zu klingen beginnen. Entsprechend steht bei Splitter auch nicht der einzelne Beat, sondern der Gesamtklang im Vordergrund. In Passagen mit vielen hohen Frequenzen klingt dies zum Teil wie zersplitterndes Glas – von da hat diese Stilrichtung auch ihren Namen. Nun aber Video ab. Und falls Sie sich gerade zum Tanzen animiert fühlen sollten, werte Leser und Leserinnen: Man muss also nicht zwingend jeden Takt einhalten, jeder 139. reicht auch.
12. Black Midi
Gehören Sie auch zu den Menschen, die auf eine abverreckte Klavierkarriere zurückschauen können? Schrecken Sie zwischendurch immer noch aus dem Schlaf auf, weil sie gerade geträumt haben, sie sitzen vor den schwarz-weissen Tasten, und zwar unter dem gestrengen Blick von Frau Thöni, die sie ausschimpft, weil sie wieder mal nicht geübt haben? Black Midi ist die elektronische Rache an allen Frau Thönis dieser Welt.
Grundsätzlich ist Black Midi ein Sub-Genre von Dubstep und wird zur Zeit in Asien als das nächste Grosse Ding abgefeiert. Die Notation von Black-Midi-Stücken sieht auf den ersten Blick gar nicht so anders aus als diejenige von klassischen Klavierstücken. Wäre da nicht die ungeheure Anzahl an Noten. Normalerweise werden bei einem Black-Midi-Stück abertausende elektronisch generierte 1/32 oder noch kürzere Noten verwendet, so dass eine fertige Komposition aussieht, als habe man auf einem linierten Blatt Papier einen ganzen Ameisenstaat plattgemacht. Das «Black» in Black Midi bezieht sich denn auch auf dieses Phänomen. Also auf die Schwärze, nicht die Ameisen. Eat this, Frau Thöni!
[…] dritte und letzte Teil der Serie „Bizarre Musikgenres“. Die ersten beiden Kapitel sind hier und hier zu […]
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