photo: George Hodan/PublicDomainPictures

Der Rapper der Revolution

In der Rubrik Future Academics stellt Norient Bachelor- und Masterarbeiten von Studierenden der Musikwissenschaft, Musikethnologie und der Popularmusikwissenschaft vor und fördert so den wissenschaftlichen Nachwuchs. Für die zweite Folge analysiert Felix Wiedemann vom Institut für Orientalistik der Otto-Friedrich-Universität Bamberg in seiner Bachelorarbeit Songtexte des tunesischen Rappers El Général im Hinblick auf die Darstellung von dessen Identität (PDF der Arbeit hier).

Der Rapper El Général im Prisma der Identitätsproblematik

«Tunisia arrests blogger and rapper» titelte Al Jazeera am 7. Januar 2011, kurz nach Ausbruch des «Arabischen Frühlings» in Tunesien. In dem Artikel wird über die Verhaftung des Rappers El Général berichtet, der kurz zuvor den Song «Rayes lebled» veröffentlicht hatte. Weshalb schätzte das Regime Ben Alis den Rapper als so gefährlich ein, dass es notwendig erschien, ihn zu verhaften? Um zu verstehen, warum El Général, der sich als patriotischer Tunesier und gläubiger Muslim inszeniert, auch in anderen arabischen Ländern als Symbol des Widerstands wahrgenommen wird, beschäftigte ich mich in meiner Bachelorarbeit unter dem Titel «Der Rapper El Général im Prisma der Identitätsproblematik» mit diesen und ähnlichen Fragestellungen.

Nationale und internationale Verbreitung

El Général wird 1990 in Sfax, Tunesien, in einer mittelständischen und religiösen Familie geboren. Er studiert Pharmazie, sieht allerdings wegen der herrschenden Korruption und Arbeitslosigkeit keine Perspektiven und versucht, illegal nach Europa zu gelangen. Als er daran scheitert, wendet er sich dem Rap zu und veröffentlicht die ersten Songs. Er orientiert sich an Tupac, Eminem, dem Algerier Lotfi Double Kanon und dem Franzosen Kery James. Rasch wird seine Konzentration auf politische Themen und die Verteidigung des seiner Meinung nach angegriffenen Islams deutlich.

Noch vor der Selbstverbrennung des tunesischen Gemüsehändlers Muḥammad Bouazizi, die die tunesische Revolution auslöst, postet El Général «Rayes lebled» auf Facebook. Das Lied wird in einer tunesischen Onlinezeitung und bei al-Jazeera vorgestellt und findet sowohl national als auch international Verbreitung. Daraufhin wird das Regime auf ihn aufmerksam, verbietet «Rayes lebled» und sperrt El Générals MySpace- und Facebookseiten. Nachdem der Rapper mit «Tounes bledna» ein weiteres systemkritisches Lied veröffentlicht, stehen am 6. Januar 2011 dreissig Polizisten vor seiner Türe und schaffen ihn ins Innenministerium in Tunis.

Mittlerweile ist El Générals Anhängerschaft aber so gross, dass es zu Demonstrationen kommt, auf welchen seine Freilassung gefordert wird. Das Regime gibt dem Druck der Strasse drei Tage später nach. Inzwischen sind El Générals Songs auch in anderen arabischen Ländern zu Hymnen der Protestbewegungen geworden. Wenig später löst Ben Ali die tunesische Regierung auf und setzt sich nach Saudi-Arabien ab.

Das Sprachrohr Tunesiens

In El Générals Liedern lassen sich unterschiedliche «Identitätsbausteine» ausmachen. El Général ist gleichzeitig Muslim, Rapper, Tunesier, Araber, junger Erwachsener, Rebell und Mann. Durch Betonung verschiedener Aspekte seiner Identität gelingt es ihm, unterschiedliche Personengruppen anzusprechen und Gemeinsamkeiten zu diesen herzustellen. In «Tahya Tounes» betont der Rapper etwa stark das Wir-Gefühl unter Tunesiern, welche sich «Hand in Hand» für ihr Land einsetzen sollen. Weiter spricht er davon, dass er Tunesien «verteidigen» wird, lässt die Märtyrer der Revolution hochleben. Dabei betont er, dass er «im Namen des tyrannisierten Volkes» spreche (Die Rolle des Sprachrohrs einer Gemeinde ist typisch für das Genre des Conscious Rap.)

Seine Identität als Muslim bekräftigt El Général durch Verwendung von islamischem Vokabular. Er vermeidet Vulgärsprache, kritisiert Moralverfall und plädiert für einen Rückbezug zum Glauben. Dieser solle Nationen übergreifend stattfinden und somit zur Wiedervereinigung der Umma, der islamischen Gemeinde, führen. Mehrfach wird Bezug auf Märtyrer und den Kampf für den Glauben genommen.

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Demzufolge sind in El Générals Texten nicht nur nationale Themen erkennbar. Immer wieder argumentiert der Rapper auch auf einer transnationalen Ebene, wenn er sich für die angesprochene Einheit der arabischen Länder ausspricht und dafür plädiert, den Nahostkonflikt im vereinten Kampf zu lösen. Diese Dimension wird insbesondere in «Direction Filastin» deutlich.

Ausdruck von Männlichkeit

Die nun ausgebreiteten, unterschiedlichsten Identitätsbausteine lassen sich zu einem Ganzen zusammenfügen. Eine mögliche Interpretation wäre dahingehend zu versuchen, El Générals Sozialkritik, die offensiv geäußerte Religiosität, die Wahl des Raps als Medium und die Selbstdarstellung als Revolutionär und Kämpfer für das tunesische Volk als «crisis in masculinity» (Ela Greenberg, Making Men Through Hip Hop in Jerusalem's Shu'afat Refugee Camp, 2011) zu betrachten: Durch seine gesellschaftliche Position fühlt sich El Général in seiner Männlichkeit angegriffen. Selbst eine gute Ausbildung würde ihm durch die herrschende Korruption und Vetternwirtschaft in Tunesien nicht garantieren, dass er später eine Familie ernähren kann. Die männliche Versorgerrolle ist dadurch gefährdet.

Hinzu kommt, dass ein Protest gegen die herrschenden Verhältnisse kaum möglich ist, ohne drastische Strafen durch das Regime zu befürchten. Der Beweis von Männlichkeit durch den kämpfenden Einsatz für eine Sache, wird somit verhindert. El Général wählt den Rap als Ausdrucksform, um sich seiner eigenen Männlichkeit zu versichern. Dadurch kann er sich als Widerstandskämpfer inszenieren, ohne selbst zu viel zu riskieren (Die Reaktionen des Regimes wurden erst dann drastisch, als seine Bekanntheit stark angestiegen ist).

Der Rap erlaubt El Général durch die Verwendung von Dialekt und Strassensprache eine Darstellung «männlicher Härte», welche ihm traditionelle Musikgenres so nicht ermöglichen würden. Das wirkliche Kämpfen als Glaubenskrieger, wird im Rap durch die Selbstdarstellung als solcher, als Muǧāhid, ersetzt. Die dabei vorgespielte islamistische Einstellung ist nicht wortwörtlich zu betrachten, sondern dient der Konstruktion von «männlicher Gefährlichkeit», die bei anderen Rappern durch das Bild des Gangsters erreicht wird. Letzteres würde im tunesischen Kontext jedoch nicht authentisch wirken.

Viel Forschungsbedarf

Wie gelang es El Général, seine tunesischen Landsleute in diesem Masse zu motivieren, dass diese unter Einsatz ihres Lebens für die Freilassung des Rappers eintraten? Was machte seine Lieder zum Symbol des nationalen Widerstands, mit dem sich auch Araber anderer Nationalitäten identifizieren konnten? Liegt in El Générals Selbstdarstellung als muslimischer Rapper ein Widerspruch? Wie sind aggressiv-islamistische Textzeilen einzuordnen? Was motivierte letztendlich den jungen Ḥamada Ibn ʿAmr dazu, sich in El Général zu verwandeln und rappend seine Unzufriedenheit mit dem Status quo auszudrücken? In meiner Bachelorarbeit versuchte ich Antworten auf diese Fragen zu finden.

Der arabische Rap ist insgesamt ein noch kaum erforschtes Feld. Es mangelt an musikwissenschaftlichen Arbeiten, Intertextualität wurde bisher kaum betrachtet und im Bereich Rapvideos besteht ebenso Forschungsbedarf. Diese Arbeit will einen kleinen Beitrag dazu leisten, den arabischen Rap greifbarer zu machen.

Biography

Nach dem Abitur entschloss sich Felix Wiedemann dazu, einen 18-monatigen Ersatzdienst im marokkanischen Fès bei der Association des Initiatives pour la Protection des Droits des Femmes zu absolvieren. Seine dort angefachte Begeisterung für die arabische Sprache bewog ihn anschliessend, sich in Bamberg für ein Studium des Islamischen Orients einzuschreiben. Seitdem studierte und arbeitete er in Syrien, Frankreich, den Palästinensischen Autonomiegebieten, Ägypten und Iran. Derzeit befindet er sich im ersten Fachsemester des Masters Arabistik der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Published on June 25, 2013

Last updated on July 29, 2020

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