photo: Gurdeep Pandher

Bhangra von A bis Z

Wir schreiben das Jahr 2005. Bhangra beherrscht die weltweiten Tanzflächen. Niemand kann sich dem entziehen. Doch was steckt hinter diesem Sound? Was für Künstler gibt es neben dem mittlerweile auch hierzulande bekannten Panjabi MC?

Zu den Anfängen

Bhangra blickt auf eine jahrhundertealte Kultur zurück. Der Stil entwickelte sich aus einer traditionellen Musik des Punjabs. Es wird davon ausgegangen, dass vor zirka 500 Jahren Bauern während der Arbeit auf ihren Feldern zur Abwechslung gesungen und getanzt haben. Dieser Tanz- bzw. Musikstil entwickelte sich zum festen Bestandteil des grossen Kulturfestivals Bhaisakhi (13. April) und breitete sich daraufhin auch in andern Schichten der Gesellschaft aus, die Bhangra bis heute ebenfalls mit grosser Freude zelebrieren. Mittlerweile ist die Musik ein wichtiger Bestandteil bei indischen Hochzeiten, Neujahrspartys und anderen wichtigen Festlichkeiten.

Durch den Chartbreaker von Punjabi MC im Jahr 2003 «Mundian to bach ke», was soviel heisst wie «Nimm dich vor den Jungs in acht», fragten sich viele, worum es in den Liedern eigentlich geht. In anderen Bhangra-Liedern von indischen Künstlern geht es meist um Liebe, Alkohol, Tanzen und um die Ehe. Ausserdem widmen die Sänger ihre Lieder grossen Helden der indischen Geschichte wie Udham Singh und Bhagat Singh oder singen über schöne Frauen mit farbenprächtigen Kleidern. Typische Partylaute wie «Hey Hey hey», «Balle Balle» oder «Hey Aripa» sollen das Publikum anheizen.

Die Instrumente

Die Musik fesselt durch ihre enorme Energie. Wenn ein DJ in irgendeinem Club dieser Welt «Mundian To Bach Ke» auflegt, dann steht niemand still. Das liegt nicht zuletzt an den verschiedenen und zahlreichen Bhangra-Instrumenten. Das wichtigste Instrument, die sehr grosse Dhol-Trommel mit zwei Fellen, wird vor dem Bauch getragen und mit zwei Stöcken gespielt.

Neben diesem Instrument gibt es noch Saiteninstrumente: die einseitige Tumbi, ausserdem Sarangi, Sapera, Supp und Chimta. Dhad, Dafli, Dholki gelten als Schlaggeräte. Die Tumbi, vom berühmten Punjabi-Sänger Amar Singh Chamkila kreiert, hat einen hohen Ton und ist ein einsaitiges Geigeninstrument. Man hört sie sehr deutlich im Lied «Mundian to Bach ke» im Hintergrund.

Der Tanz

Bhangra-Tanzgruppe im Punjab-Gebiet. (photo: Wikipedia)

Bhangra ist ein fröhlicher, temperamentvoller Tanz mit meist erhobenen Armen, rhythmischen Schulterakzenten von oben nach unten, erdigen Schritten und Sprüngen. Geübte Bhangra-Gruppen fügen noch Formations- und Akrobatikelemente hinzu, bei denen zum Beispiel ein Tänzer auf die Schultern eines anderen klettert.

Giddha ist der Tanz der Frauen, der zu Hochzeiten und anderen Familienfeiern im Punjab gehört. Die Teilnehmenden bilden einen Kreis (einen Halbkreis bei Vorführungen) und eine von ihnen beginnt einen Sprechgesang, Boli genannt.

Ausserdem gibt es in England, Amerika und Kanada Tanzwettbewerbe, wo sich verschiedene Teams miteinander messen und Bhangra-Schritte gerne mit westlichen Elementen vermischen, wie etwa Breakdance.

Späte 60er und 70er

Der Sänger Kuldip Manak gilt als Legende in der Geschichte des Bhangra, wie Malkit Singh, einer der grössten Bhangra-Künstler derzeit meint: «Kuldip Manak war schon während meiner Kindheit ein grosses Idol.» Er repräsentiert die Kultur des Punjab wie kein zweiter. Manak wuchs in einer musikalischen Familie auf, sein Vater war ein singender Priester in verschiedenen Sikh-Gurudwaras (Tempeln). Kuldip Manaks erstes Lied nahm er 1968 mit gerade 14 Jahren auf. Bis dato hat er hunderte von Liedern gesungen, die bis heute gecovert und geremixed werden.

Kuldip Manak

A.S. Kang ist ein weiterer Star der Szene, der schon sehr lange aktiv ist. Nach über 20 Jahren Erfahrung wird er liebevoll als «Big Daddy» des Bhangra bezeichnet. Seine Musik passte sich den Veränderungen stets an. So kombinierte er die traditionellen Bhangra-Gesänge mit Swing, Techno und anderer (westlicher) Tanzmusik.

Auch Bhujangy, Asa Singh Mastana, Surinder Kaur und Parkash Kaur, Lalchand Yamla Jat, K. Deep und Jagmohan Kaur, Alam Lohar und Chamikla zählten zu den Stars der damaligen Bhangraszene.

Die 80er-Jahre

Bhangra-Künstler verbinden seit den 80er-Jahren Bhangra mit anderen Musikrichtungen wie z.B. Hip Hop, Reggae und House. Das veranlasste Südasiaten in der Diaspora als erste Generation, Bhangra in die Clubs zu bringen.

Malkit Singh, auch bekannt als «Die goldene Stimme des Punjab» und seine Gruppe Golden Star veröffentlichten 1984 ihr erstes Album «Nach Gidhe Wich». Es war weit über den Punjab hinaus erfolgreich. Nach dem Erscheinen des Debütalbums ging Singh mit seiner Band nach England, um die Arbeit dort fortzuführen. Bis heute hat er 16 Alben veröffentlicht und ist mit seiner Show durch 27 Länder getourt.

Gurdaas Maan, ein wichtiger Bhangra-Künstler der 80er-Jahre.

Als weiterer wichtiger Künstler der 80er-Jahre gilt Gurdaas Maan. Er begann seine Karriere 1982 mit dem Album «Dil Da Mamla». Er ist nicht nur als Musiker, sondern auch als Schauspieler ein Idol. Maan spielte im Punjabi-Film «Long Da Lishkara» und sang dazu den Filmhit «Challa» (diesen Track hat Punjabi MC geremixed). Seit 1982 hat Maan mehrere erfolgreiche Alben veröffentlicht. Seine Touren, die ihn um die ganze Welt brachten, waren meist ausverkauft.

Weiterhin war zu dieser Zeit die Band Heera sehr populär, die sich mit dem Album «Diamonds» etablieren konnte. Es gilt als erstes Album, auf dem westliche Beats mit Bhangra verschmolzen werden.

Ausserdem spielten damals die Gruppen Apna (aus Birmingham) und die Bhujungy Band eine grosse Rolle. Apna hatte mit «Mera Yaar Vajavey Dhol» einen Hit und tourt immer noch. Sie gilt bis heute als eine der besten Live-Acts des Bhangra.

Die 90er-Jahre

Die 90er-Jahre stellen für Bhangra die Zeit des Durchbruchs auf internationaler Ebene dar. Zu Beginn des Jahrzehnts gingen viele der Künstler zurück zu den Wurzeln der Musik und verwendeten wieder verstärkt Dhol und Tumbi für ihre Beats. Es war auch die Zeit junger Sänger. Jazzy B aus Kanada (ursprünglich aus Namasher im Punjab) debütierte 1992 und avancierte zum beliebtesten Bhangra-Künstler. Sein zweites Album «Folk & Funky» verkaufte sich über 55'000 mal. Obwohl der Gesangsstil von Jazzy Bains (wie er mit bürgerlichen Namen heisst) an Kuldip Manak erinnert und aus puren Punjabi-Beats besteht, verkörpert er den Prototyp des modernen und coolen Punjabi-Künstlers.

Jazzy B.

Weiterhin sorgten in den 1990er-Jahren folgende Künstler für Furore: Surinda Shinda (bekannt durch den Song «Putt Jattan Da»), Harbhajan Mann, Manmohan Waris, Sarbjit Cheema, Hans Raj Hans, Sardool Sikander, Geet the Mega Band, Anakhi, Sat Rang, XLNC, B21, Shaktee, Intermix, Sahara, Paaras, PDM, DCS, Bally Sagoo, Amar Group, Sangeet Group and Bombay Talkie, Bhindar Jatt und Balwinder Safri.

Gegenwart und Zukunft

Im Jahr 2003 wurde Bhangra zur Neuentdeckung des «Mainstream-Marktes» auch in Deutschland. Die Bhangra-Industrie hat sich in den letzen drei Jahren stark verändert, denn Labels wie Moviebox, envy/roma oder Untouchables UK und viele weitere britisch-asiatische Labels agieren sehr professionell und haben gewinnbringende Netzwerke geknüpft. Sie vertreiben ihre Musik nach wie vor in indischen Geschäften, aber auch im Internet. Sie lassen ihre Handzettel und Plakate von sogenannten «Street Teams» verteilen.

Wöchentlich gibt es in englischen Städten mehrere «Desi Partys". Dort präsentieren dann die einzelnen Künstler/Gruppen ihre Songs live. Ausserdem flimmern die Videoclips von Panjabi MC & Co auf den indischen Fernsehsendern ZeeTV oder B4U. Aktuelle Songs sind ein fester Bestandteil im Radio. Die BBC hat schon früh das grosse Potential der britisch-asiatischen Community entdeckt und unterstützt die sehr erfolgreiche Radiosendung von Bobby & Nihal auf Radio 1 und von der Panjabi Hit Squad auf BBC 1xtra.

Panjabi MC. (photo: zvg)

Wie der Erfolg der Musik in Europa und den USA verdeutlicht, ist Bhangra Ausdruck der asiatisch-britischen Kultur, die sich nicht mehr nur auf Curry reduzieren lässt. Es passiert sehr viel innerhalb der Szene, die zu neuen Ufern aufbricht.

Beispielsweise hat die Panjabi Hit Squad einen Vertrag bei Def Jam bekommen, einem der grössten Hip-Hop-Labels der Welt. Der indische Sänger Jay Sean schaffte es mit seinem Lied «Dance with you» direkt auf Platz zwölf in die englische Charts einzusteigen. Künstler wie Jay Z oder Timbaland machen Bhangra Tracks und US-Rapper covern indische Musik.

Published on October 26, 2011

Last updated on October 08, 2020

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