«Beijing Bubbles».

Beijing Bubbles – I just Want to Sing, Drink and Fuck

Susanne Messmer und George Lindt besuchen in ihrem Film Beijing Bubbles fünf Bands in Chinas Hauptstadt. Entstanden sind intime Porträts von individualistischen Musikerinnen und Musikern und ihren Träumen.

«People are strange. But most of the people in the world are strange. But in China strange people are more», erzählt Bian Yuan, Sänger der Pekinger Punkband Joyside, und nimmt uns mit auf einen Trip durch die wilde Rock’n’roll-Welt in Chinas Hauptstadt. Susanne Messmer und George Lindt besuchen in ihrem Film Beijing Bubbles fünf Bands in der sich rasant wandelnden Metropole. Entstanden sind intime Porträts von individualistischen Musikerinnen und Musikern und ihren Träumen.

«Mit Beijing Bubbles wollten wir Träume ausdrücken. Ja, auch die Sehnsucht nach etwas, was nicht fassbar ist oder noch nicht ist oder vielleicht niemals werden wird. Wir reden aber hier von der Zeit, als Beijing Bubbles gedreht wurde. Die Szene hat sich sehr vergrössert seitdem. Aber mit Musik kann man in China kein Geld verdienen, sich damit kaum finanziell über Wasser halten…noch weniger mit Musik, die nicht dem allgemeinen Mainstream entspricht», erklärt der Berliner Regisseur George Lindt, der neben dem Filmemachen auch noch Romane schreibt und das Indie-Plattenlabel Lieblingslied Records führt. 2004 drehten Lindt und Messmer gemeinsam mit dem Kameramann und Cutter Lucian Busse.

«Beijing Bubbles ist der erste Film, der über diese Szene gedreht wurde. Seit der Film international für so viel Aufsehen gesorgt hat und dann sogar ins Museum of Modern Art in New York eingeladen wurde, gibt es auf einmal ganz viele Filmteams, die über diese Szene einen Film gemacht haben. Vielleicht war unser Film so etwas wie eine Initialzündung. Mit Sicherheit hat der Film einigen Bands, aber bestimmt der ganzen Szene geholfen, internationale Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich möchte nicht behaupten, unser Film wäre genial, aber er lässt den Protagonisten viel Zeit und lässt sie selbst erzählen, es gibt keinen Kommentar und damit auch keine Wertung, die wir vorgenommen haben. Unser Film hatte auch keine finanzielle Förderung von irgendeinem TV-Sender oder Filmfördergesellschaft, damit hatten wir auch keine Möglichkeit, den Film ‹glossy› zu machen. Heute denke ich, es ist auch der Charme, den der Film hat: er ist roh, ehrlich und geradlinig. Die Filme, die ich danach über die Szene gesehen habe, sind oft auf Effekthascherei aus. Am Schlimmsten finde ich aber den Film von den australischen Filmemachern, der schlicht fast nur in China lebende Amerikaner zu der Szene befragt hat und die Bands selbst eigentlich kaum zu Wort kommen lässt. Insgesamt finde ich aber schön, dass Beijing Bubbles so viel ausgelöst hat. Einzig und allein schade finde ich, das Marietta Slomka vom ZDF unseren Film für ihre Chinareportagen fast eins zu eins kopiert und damit auch noch Ruhm erlangt und Geld verdient hat.»

Geld verdienen können die Punk-Rocker oft nicht, dafür aber gewisse Clubbetreiber. In Punk-Bars kostet das Bier oft den halben Tageslohn eines Wanderarbeiters und es kommt vor, dass es neben der Pogo-Tanzfläche Sofas gibt, für deren Gebrauch man eine V.I.P.-Gebühr von 100 Dollar bezahlen muss. «Sicherlich sind Punk und Rock auch schon in China mehrere Schritte der Gentrifizierung entgegen gegangen», meint Lindt. «Die Clubs, die in Beijing Bubbles zu sehen sind, existieren zum grössten Teil gar nicht mehr. Das liegt nicht an den Clubbetreibern, sondern daran, dass sich in China alles rasant entwickelt. Das D-22 [ein Club in einem Pekinger Studentenviertel] hat einen Teil der ‹echten› Szene aufgefangen. Am schlimmsten sind aber die Expats die versuchen, die Szene zu Geld zu machen. Aber das ist mit Punk in den USA und Europa auch so passiert…»

Der Film besucht nicht nur die Punk-Clubs, sondern gibt auch Einblick ins Privatleben der Musikerinnen und Musiker. Der anfangs erwähnte Punker Bian Yuan wohnt in einem Zelt, das er in einem Abbruchhaus aufgestellt hat. Andere Musiker führen das Filmteam zu ihren Eltern, welche oft das brotlose Leben eines Rock’n’Rollers finanzieren. Besonders stark ist eine Szene, bei welcher die Musiker der Gruppe Sha Zi auf die Ereignisse von 1989 auf dem Tiananmen Platz angesprochen werden. Ein Thema, über das sich in China kaum jemand wagt, öffentlich zu sprechen. «Die Szene auf dem Tiananmen Platz wurde mit versteckter Kamera gedreht. Vielleicht kommt da in dem Augenblick aus dem Interview inhaltlich nicht so viel, aber man spürt die Macht und Präsenz des Unwohlseins sehr stark in dieser Szene. Diese Dominanz der Macht und der Angst darzustellen, war uns da wichtig. Es fallen keine grossen Worte in dem Augenblick, aber jeder, der etwas über dieses Massaker weiss, spürt die Anwesenheit des Ganzen… später im Interview im Club ist die Stimmung wesentlich entspannter», erzählt Lindt über den Moment, als die Bandmitglieder auf einmal sehr offen über die eigenen Erlebnisse während dem Massaker in 1989 sprechen. «Auch dieser Kontrast ist wichtig für uns gewesen. Vieles in Beijing Bubbles erschliesst sich auch erst nach einem zweiten Mal. Je mehr man über die Situation weiss, desto mehr Ebenen tun sich im Film auf.»

Dass die Musikszene von Peking nicht nur Punk-Rock nach westlichem Vorbild macht, zeigt die Gruppe T9, welche mongolische Instrumente in ihren Rock-Sound integriert. Ein Muster, das in der westlichen exotik-liebenden Musikwelt sehr erfolgreich sein könnte. Lindt meint dazu: «Ich glaube, dass wir dort immer nach was speziell Chinesischem in der Musik suchen, ist eine sehr eurozentristische Herangehensweise. Die meisten Bands aus Deutschland, der Schweiz oder aus Österreich verarbeiten ja auch nicht ständig Mozart, Bach oder Wagner. Ich glaube, dass es bestimmt irgendwann auch internationale Musikstars aus China geben wird. Vermutlich wird das mit Rockmusik in seinen zahlreichen Spielarten noch etwas dauern… aber es muss ja auch nicht immer gleich der Weltruhm sein. Wir haben mehrfach Bands nach Europa geholt. Wir hatten Shazi, Carsick Cars, Hanggai Band und auch zweimal die Band Joyside hier. Über die letzte Tournee von Joyside ist auch ein Film entstanden mit dem Namen The Joyside of Europe, welcher der neuen CD der Band beiliegt, die in Europa erschienen ist. Wir haben mit www.asia-music-shop.com den Bands auch eine Möglichkeit gegeben, ihre CDs auch in Europa erhältlich zu machen. Hier kann man viele Originale finden, die es nicht offiziell zu kaufen gibt. Das Problem bei Tourneen ist immer der finanzielle Aufwand mit Flügen und die enormen VISA-Probleme. Aber wir werden es weiter versuchen…» Und der Rock’n’roll im chinesischen Untergrund ist sicher nicht tot zu kriegen, wenn alle nach dem Motto von Bian Yuan handeln werden: «I want to sing, drink and fuck.»

Biography

Michael Spahr (VJ Rhaps) is a historian MA, journalist, and media artist. He was on the board of Norient from 2008 until 2014. He developed the website norient.com. He was the co-founder and co-director (2009–2014) of the Norient Musikfilm Festival. He contributed with his video art to the audio-visual scientific media performances of Norient. He was the host and DJ of Norients monthly radio show Sonic Traces on Radio RaBe. He works as a freelance artist, film maker, and journalist in Bern (Switzerland). Follow him on his Website.

Published on January 03, 2010

Last updated on June 27, 2022

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