Pipa-Spielen in der Schweiz
Yang Jing ist mit ihrer Laute Pipa in der ganzen Welt aufgetreten. Heute lebt sie in Aarburg. Im Gespräch redet sie über die Unterschiede zwischen einem Leben als Musikerin in der Schweiz und in China.
Hintergründe zum Podcast
Schon mit dreizehn Jahren spielte Yang Jing im Orchester der Henan Oper, studierte am Konservatorium in Schanghai Pipa und Komposition und avancierte 1986 zur Solistin im chinesischen Nationalorchester, dem sie zwölf Jahre treu blieb.
Ihre Konzerttourneen führten sie unter anderen in die Carnegie Hall in New York, die Suntory Hall in Tokyo, den Goldenen Saal des Musikvereins Wien und die Barbican Hall in London. Die Pipakonzerte, die sie mit Orchestern wie dem Tokyo Metropolitan Symphonie Orchester unter Naoto Ohtomo (CD: Minoru Miki: Pipa Concerto. Camerata Tokyo 2004), dem Yomiuri Nippon Symphonie Orchester unter Kurt Masur, dem BBC Symphonie Orchester von Wales unter Grant Llewellyn, der Honolulu Symphonie unter Alastair Willis, dem Boston Newton Symphonie Orchester unter Jeffrey Rink, der China Philharmonie unter Yang Yang oder dem Zürcher Kammerorchester unter Martin Lukas aufführte, wurden von Komponisten wie Minoru Miki, Julian Philips oder Mo Fan speziell für sie geschrieben.
Ihre Offenheit erlaubt ihr, mit verschiedensten Ensembles zu spielen: Sie gründete 1996 «Qing Mei Jing Yue», das erste chinesische Konzert-Quartett mit weiblichen Solistinnen, spärer kamen andere Formationen dazu: seit 2002 ist sie die musikalische Leiterin des «Asia Ensemble» in Tokyo und tritt regelmässig mit dem «Yui Ensemble» auf. Seit vielen Jahren kreiert sie mit dem Schweizer Perkussionisten Pierre Favre, mit dem sie die CDs Moments und Two in One (Intakt CD 114, 2006) produzierte, immer wieder neue Klangwelten. Die Verbindung der chinesischen mit den kreativen wie den traditionellen Formen der westlichen Musik übt einen besonderen Reiz auf sie aus.
Im September 2006 demonstrierte sie in Seminaren und Workshops an der Musikhochschule Zürich, wie nah die klassische chinesische Musik der kontemporären westlichen ist. Den Abschlussbeweis lieferte das Schlusskonzert der Studienwoche in der Tonhalle Zürich, wo sie mit dem Collegium Novum die Komposition des Wahlgenfers Wen Deqing «Spring, River and Flowers on a Moonlit Night» zur Premiere brachte.
Ihr grosses Verdienst aber ist es, der Pipa den gebührenden Platz unter den Soloinstrumenten wiederzugeben, den dieses Instrument schon vor tausend Jahren in China hatte.
Yang Jings Musik wurzelt, wie die Pipa selbst, in den chromatischen Harmonien der Tang Dynastie vor über tausend Jahren. Das Studium der ältesten Manuskripte aus dieser Blütezeit der chinesischen Kultur schufen in ihr ein Musikverständnis für die Gegenwart, mit deren neueren Harmonien sie sich in ihren Kompositionen ständig auseinandersetzt. So schafft sie musikalische Ausdrucksformen, die die Grenzen der klassischen Musik in jedem Sinne überschreiten. Dass diesen Errungenschaften ihre musikalische wie technische Virtuosität zugrunde liegt, bezeugen Kritiker und Publikum gleichermassen.
Im Gespräch mit Thomas Burkhalter erzählt Yang Jing von ihren Erfahrungen als Musikerin in der Schweiz.
Auszüge aus dem Gespräch
«Bei chinesischer Musik denken die Leute meistens: Pentatonik – Fünftonreihen. Bei meinen Recherchen zu alter chinesischer Musik habe ich eine ganz andere chinesische Musik gefunden. Zum Beispiel Pipa-Musik, die vor mehr als 1000 Jahren geschrieben worden ist. Da findest Du die ungewöhnlichsten Skalen. Genau mit denen experimentiere ich heute. Die Skalen in meinem Stück ‹Disclosure› zum Beispiel. Sie sind ähnlich wie die der zeitgenössischen europäischen Musik – nur sind sie viel älter. An den Hochschulen in China wurde ich immer kritisiert: ‹Du bist so konservativ. Du solltest weltoffen sein! Warum interessierst Du Dich für diese uralte chinesische Musik?› Als modern galt bei meinen Lehrern zum Beispiel John Cages Komposition ‹4’33› – dieses Stück besteht nur aus Stille. Der chinesische Philosoph Lao-Tse aber redete schon im 6. Jahrhundert von der Stille! Was ist der grösste Klang, fragte er. Die Stille.»
«Diese Flut von Informationen, der ich in der Schweiz ausgesetzt bin, ist wunderbar, aber auch gefährlich. Du kannst Dich sehr schnell verlieren darin. Damals in China, da habe ich ständig nach Informationen gesucht – weil sie nicht erhältlich war. Hier habe ich 200 Fernsehkanäle und keine Zeit, sie alle anzuschauen. Man kann seine Zeit vergeuden, mit diesem Konsum. Wir müssen uns entscheiden: Was brauchen wir wirklich? Wir haben alle Freiheiten – alles ist erhältlich. Was aber stellen wir mit dieser Freiheit an? Die Mentalitäten in China und der Schweiz sind extrem anders: In China arbeiten die Menschen hart. Der Wettbewerb ist riesig, und die Leute verbrauchen all ihre Energie. Meine Schweizer Studenten und viele Kollegen hingegen sind oft so entspannt. Sie könnten alles erreichen, wenn sie nur möchten. Alle Türen stehen ihnen offen. Viele nutzen ihre Chancen aber nicht. Was machen wir aus unserem Leben? Wir müssen uns entscheiden. Wenn Du nur etwas besonders gut machst, dann ist das schon viel. Denn es gibt ja so viele Menschen auf unserem Planeten.»
«Das Gemeinsame eines Lebens als Musikerin der Schweiz und in China ist: Musiker haben es nirgendwo einfach auf die Welt. Immer und überall müssen wir uns motivieren, stark zu sein und den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Es gibt aber auch Unterschiede: Ich finde hier in der Schweiz die Zeit, mich selber zu hören. Ich bin der Natur so nahe – hier in meinem Haus am Waldrand. Im alten China galt das als höchstes Ziel überhaupt: In Einklang zu leben mit der Natur. Heute aber findest Du in China mehr Menschen als Bäume! In der Schweiz kann ich jetzt also nach östlichen Idealvorstellungen leben. Das ist ein Geschenk. Ich finde die nötige Ruhe und Distanz zu meinem Schaffen. Ich kann nachdenken: Was tue ich eigentlich? Und was ist wirklich wichtig?»
«Die Schweizer interessieren sich immer mehr für die chinesische Musik und Kultur. Trotz gewisser Schwierigkeiten habe ich hier also auch Vorteile. Etwas irritiert mich aber hier. Die Schweizer wollen keine Stars. In China hatte ich einen guten Agenten, ich wurde gut bezahlt für Konzerte. Hinter der Bühne gab es jeweils saubere Handtücher, Blumen und Tee. Hier in der Schweiz gibt es oft nicht einmal einen Backstage-Bereich. Für mich hängt das aber alles zusammen: Die Ruhe hinter der Bühne, Tee, und die Musik. Die Schweizer sehen das irgendwie anders. Mein Agent in China sagt jeweils: ‹Sag den Leuten nie, dass Du aus einer armen Familie stammst. Das Publikum will zu Dir hochschauen. Du musst Dich gut kleiden.› Das hat mich damals etwas müde gemacht. Hier in der Schweiz fällt das weg – das ist nun wieder positiv. Und das ändert sich jetzt auch in China. Die Zeiten ändern sich: Im Westen und im Osten.»
Dieses Gespräch fand im Rahmen des Norient Projektes Sonic Traces: From Switzerland statt. Am Fr. 25.2 erschienen Auszüge aus diesem Gespräch in der Radio-Reportage «Die Schweiz, mal anders. 5 Portraits» auf Schweizer Radio DRS2.
Biography
Published on February 25, 2011
Last updated on April 09, 2024
Topics
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