Mit seiner Ngoni-Laute hat sich der malische Musiker Bassekou Kouyaté aufgemacht, das Repertoire seines Grossvaters Bazoumana Sissoko, neu zu vertonen. Jama Ko heisst sein neues, drittes Album. Aufgenommen wurde es im März 2012 in Bamako, während vor dem Studio das Militär gegen die malische Regierung putschte. Gewehrschüsse fielen, und Bassekou Kouyaté war auf einen Schlag nicht mehr «bloss» Musiker.
Der Titel von Track 1 ist Programm: «Jama Ko», «Zusammenkunft» auf Deutsch. «Zu Festen, Taufen oder Hochzeiten kommen in Mali immer alle zusammen: Christen und Muslime, Peul, Bamana, Tuareg und andere Bevölkerungsgruppen», erzählt Bassekou Kouyaté beim Interview in Bern. «Islamisten wollen jetzt aber einen Keil zwischen uns schieben. ‹Jama Ko› soll uns alle daran erinnern, dass Mali demokratisch bleiben soll. Lasst uns nicht mit Gewehren aufeinander schiessen, sondern die Zukunft Malis zusammen angehen.»
Bassekou Kouyaté hat vor ein paar Jahren eine kleine musikalische Revolution gestartet. Er nahm die traditionelle Laute Ngoni und gründete Ngoni Ba, das erste Ngoni-Orchester überhaupt, bestehend aus zwei kleinen 7-saitigen Ngoni, einer Ngoni Ba für die mittleren Höhen und einer selbstgebauten Bass-Ngoni. Auf seinem Debütalbum «Segu Blue» setzte Kouyaté 2007 das traditionelle Repertoire seiner Heimatregion Segu neu um (Siehe Norient-Reportage und Podcast). Auf dem Nachfolger «I speak Fula» (2009) war die Band eingespielt, musizierte auf höchstem Niveau, und die CD wurde für einen Grammy-Award in der Kategorie «Best Traditional World Music» nominiert. «Jama Ko», das neue Album, klingt weltläufiger und poppiger als seine Vorgänger. Mit lateinamerikanischen Rhythmen, Basslinien à la Bob Marley und prägnanten Ohrwürmern scheint Bassekou Kouyaté nun endgültig die Weltmusik-Welt erobern zu wollen – dabei wäre bereits im Studio fast alles schief gelaufen. ...
Gewehrschüsse vor dem Studio
«Am 12. März 2012 nahmen wir im Studio Bogolan in Bamako unser Album auf», erzählt Kouyaté: «Wir hatten gerade die Tür zugemacht, als wir draussen Schüsse hörten. Das Militär putschte gegen die malische Regierung. Ich dachte: Das ist das Ende Malis. Das war ein Schock.» Bassekou Kouyaté liess sich nichts anmerken. Er beruhigte die internationalen Gäste, seinen Produzenten und Labelchef Jay Rutledge aus München und den angereisten Fotografen. Aufs Musizieren allerdings konnte er sich nur schwer konzentrieren, erzählt er rückblickend: «Ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich spielte den Coolen, hatte aber riesige Angst. Wenn wir wirklich in Form gewesen wären, würde das Album heute noch viel besser klingen.»
Der Grossvater als Vorbild
Wenn Bassekou Kouyaté voll in seiner Musik drin ist, dann denkt er an seinen blinden Großvater Bazoumana Sissoko. «Le Vieux Lion» (der alte Löwe), wie der Grossvater mit Spitznamen hiess, singt auf seinen raren Schallplatten mit heiserer Stimme und grösster rhythmischer Freiheit und begleitet sich dabei auf einer erdigen, verstimmten Ngoni-Laute. Viele der Lieder auf «Jama Ko», hat der Großvater bereits gespielt: Sie sind jetzt aber kompakt arrangiert, und ziehen virtuos mit viel Zug vorwärts. Kouyaté phrasiert klar strukturiert, greift kräftig in die Saiten und spielt ekstatische Bluessoli.
«Taj Mahal ist mein Bruder»
Auf der neuen CD ist auch die US-amerikanische Blueslegende Taj Mahal mit dabei. «Taj Mahal ist mein Bruder», betont Kouyaté. «Ich habe ihn vor ein paar Jahren in Tennessee kennengelernt, wo er mir sagte, wie sehr er meine Musik liebe. Er heisse jetzt Mamadou Daddy Kouyaté, wir seien von derselben Familie, sähen gleich aus und hätten denselben Sound. Ich wollte schon lange ein Stück mit ihm einspielen. Für dieses Album hat das jetzt endlich geklappt.»
Lieder für Minenbesitzer
Die Texte zu den teils alten Stücken sind neu, bleiben aber in der Tradition der Griots, den Geschichtenerzählern Westafrikas verankert. Amy Sacko, Kouyatés Ehefrau, singt in schrillen Kolorierungen – wie Bazoumana Sissoko. Sie preist reiche Geschäftsmänner, die Arbeitsplätze schaffen oder Medikamente spenden für lokale Krankenhäuser.
«Djadje» handelt von einem malischen Geschäftsmann, wie Kouyaté sagt: «Djadje Sangare hat in Niafunké 1000 Arbeitsplätze für Minenarbeiter geschaffen. Ich habe dieses Lied für ihn geschrieben, um ihm zu danken. Er gibt den Menschen in dieser unwirtlichen Gegend eine Arbeit, dank der sie ihre Frauen und Familien ernähren können.»
Kritiker der Islamisten
Ganz Griot ist Bassekou Kouyaté auch im Interview. Er spricht sich aus für einen multi-ethnischen Staat Mali, und er preist das Einrücken Frankreichs in Mali öffentlich: «Ich bin kein Politiker, aber ein Griot. Als Griot ist es meine Pflicht, auf Missstände hinzuweisen». Er spricht Klartext über die Islamisten, die derzeit das Musizieren verbieten wollen in Mali. Eine alte Leier: Musik lenke von der Religion ab, behaupten einige islamische Geistliche seit Jahrhunderten: «Das ist kompletter Unsinn. Der Prophet Mohammad hat das Musizieren nie verboten. Es steht im Koran: Er hat Feste gefeiert, mit Musik. Das sind Rassisten, Terroristen, Kriminelle, die heute was anderes behaupten. Sie streben nach Geld und Macht und wollen alles stoppen, was sie aufhalten könnte: Musik, Fernsehen, Telefon, einfach alles.» Angst hat Kouyaté keine: «Das ist meine Arbeit. Angst habe ich nicht. Wenn ich sterbe, ist das Schicksal. Ich werde die Wahrheit sagen.»
Es ist eine brisante Packung, die Bassekou Kouyaté mit seinem Album «Jama Ko» präsentiert: Lokal verankerte Themen und Geschichten, regionale Politik - und weltmusikalischer Aufbruch.