Frank Hentschel: «Töne der Angst. Die Musik im Horrorfilm», Bertz + Fischer 2011.

Töne der Angst: Musik im Horrorfilm

In Töne der Angst. Die Musik im Horrorfilm geht Frank Hentschel dem Sound des wissenschaftlich wenig wahrgenommenen Filmgenres auf den Grund. Es lohnt sich genau hinzuhören: Die emotionsverstärkenden Klänge sind alles andere als nur Untermalung und bewegen sich von brausenden Kettensägenmotoren oder einem scheinbar harmlosen Kinderlied bis zu avantgardistischer Neuer Musik in ihrer ganzen Komplexität. Im Podcast interviewt Aileen Pinkert den Berliner Autoren und Musikwissenschaftler, im Artikel bespricht Didi Neidhardt sein Ende 2011 bei Bertz & Fischer erschienenes Buch.

Podcast: Interview mit Frank Hentschel [24'] 

Psychotronic Revisited oder Was macht die Musik im Horrorfilm?

Auch wenn obskure Horrorfilm-Soundtracks ja schon lange zu den begehrten Sampling-Quellen gehören (und last year's model Witchhouse ist da nur ein Beispiel), gab es doch bis jetzt so gut wie keine genaueren Untersuchungen dazu, welche genauen Funktionen dem Sonischen der Tonspur bei Horrorfilmen eigentlich zugeteilt sind. Dem Musikwissenschaftler Frank Hentschel ist es zu verdanken, dass diese Fragen nun endlich gestellt und - soweit möglich - auch beantwortet werden. Dabei verzichtet er bei Töne der Angst. Die Musik im Horrorfilm erfreulicherweise explizit auf Psychologisierungen, legt dem Buch jedoch eine DVD mit 43 Kurzbeispielen bei, anhand derer seine Aussagen auch gleich überprüft werden können.

Neue Musik ist zum Gruseln

Hentschel konzentriert sich aus gutem Grund auf den Horrorfilm der 1970er. Zwar hat sich die Häufigkeit mit der im Horrorkino die Tonspuren mit sonischen Ungewöhnlichkeiten besetzt sind schon in den 1960ern herausgebildet, aber erst in den 1970ern wurden diese «Klänge der Angst» zum Merkmal. Wobei auch die Gleichzeitigkeit der «Herausbildung einer genretypischen Musik und die Politisierung» des Genres von Interesse ist. Für Henschel ist das kein Zufall. Es geht um eine Welt aus den Fugen. So nähern sich schon allein auf der Tonspur erneut das Horrorkino und der Avantgardefilm. Auch das Kino erhält dadurch, als popkultureller Ort wo Eingangskanäle zu etwas ganz anderem offen liegen, eine neue Funktion. Nehmen wir nur die Neue Musik (Penderecki, Nono, Ligeti), die via Exorzist oder Shining vielleicht nicht nur Grusel evozierte, sondern eventuell auch Interesse an der Musik an sich wachrüttelte. Aber welchen Sinn, welche Funktion haben «ungewöhnliche Klänge»? Für Hentschel geht es dabei um eine «Atmosphäre der Kälte, des Schaurigen und Fremdartigen», des Unwohlfühlens, «des Unbekannten, Bedrohlichen, Unheimlichen, ‹Krankhaften›». Die »Normalität wird musikalisch aufgehoben».

Etwas zu kurz kommt dabei jedoch die Frage, ob all diese atonale, dissonante Musik nicht selber als Teil eines «negativen Kontextes» dargestellt wird. Zwar waren Regisseure wie Friedkin und Kubrick durchaus Fans neuer Töne, aber so ganz genau wird nicht klar, inwieweit Neue Musik hier selber als ›abartig‹ diffamiert wird (wenn auch nie so platt wie es der Heimatfilm mit dem Jazz anstellt). Hinter dieser Musik stand ja auch die Utopie einer Freiheit und einer Befreiung von eben jener Normalität, die in den Filmbeispielen aus dem Ruder läuft und zu der es in vielen Fällen auch keine Rückkehr mehr gibt. Henschel streift jedoch auch diese Aspekte wenn es um «Atonalität, Geräusch und Elektronik vor 1970» geht. Gerade hier, bei den «Momenten des Surrealen und Unheimlichen» und den «außergewöhnliche Schallquellen» bei Thriller, Film noir und Sci-Fi, tun sich Felder auf, die regelrecht nach weiteren Untersuchungen schreien.

Szene aus The Bad Seed.

Ohren der Angst

Wobei es Henschel bei seinen Analysen von «Bodysounds» (Herzlaute, Stöhnen, Atmen, Flüstern), geistlicher Musik (etwa der narrativen Funktion der Orgelmusik bei Carnival of Lost Souls), Spieluhren und Kinderliedern (exemplarisch dargestellt am Beispiel The Bad Seed, wo sich während des Films ein und dasselbe Klavierstück vom «Symbol kindlicher Unschuld» über das der «Tarnung» bis hin zum «Symbol des Horrors» verwandelt) aber hauptsächlich geht, ist die Frage nach den möglichen Gemeinsamkeiten dieser «musikalischen, visuellen und semantischen Schichten», mit deren Hilfe es nicht zuletzt auch darum geht herkömmliche Genrekonstruktionen, Kanonisierungen und Stereotypisierungen zu hinterfragen. Kurz: Was ich nicht sehen kann, muss ich hören. Nehmen wir nur das Sounddesign von The Texas Chainsaw Massacre, «bei dem es sich um die unerbittlichste Filmmusik des Genres überhaupt handeln dürfte», so Hentschel eindringlich. Eingespielt nach dem Motto «Let's just do a rumble» funktioniert der Soundtrack als «Bedrohung überall» auch ohne Film. Die in prädigitalen Zeiten, als auch Videorekorder noch nicht zur selbstverständlichen Wohnungsgrundausstattung gehörten, in einem Kino via Walkman mitgeschnittene Audiokassette wurde dann auch wie selbstverständlich im Regal zu Throbbing Gristle gesteckt.

Pop tötet Horror

So findet Henschel im Horrorfilm nach 1980 die «Entschärfung des filmischen Horrors» auch auf der Tonspur und stellt implizit die Frage, wie sehr die «Erfahrung des Grauens» gerade durch die nun in den Horrorfilmen verwendete Popmusik abgemildert wurde. Kann es sein, dass Pop sich zuerst durch Horror-Soundtracks verschärft hat, um anschliessend den Horror auf der Leinwand zu entschärfen? Fungiert Popmusik nicht bei all den Horror-Remakes der letzten Jahre nicht als Teil jener Uminterpretationen von denen auch Kim Newman in seinem gerade neu aufgelegten Klassiker «Nightmare Movies» spricht, wenn er den Unterschied zwischen den 1970ern und heute wie folgt zusammenfasst: damals wurde gezeigt, «that there was something wrong with society, but the message of the twenty-first century is that other people are shit.»

Auch wenn musikaffine Regisseure wie Argento, Carpenter fehlen, so schliesst Henschel mit seinem Buch nicht nur eine, sondern gleich mehrere Lücken. Einerseits zeigt er akribisch genau «dass auch die Musik einen Schlüssel zum Verständnis von Horror bereitstellt« (was jederzeit auch auf andere Genres übertragen werden kann), zweitens gelingt im dadurch eine Genealogie von Horror entlang spezifischer Musiken, die sich bei der Fixierung auf den Horrorfilm der 1970er eben nicht in eine Retrofalle begibt, sondern ganz klar sagen kann, was damals anders war, und warum deshalb (und nicht aus Nostalgie) immer wieder darauf Bezug genommen wird.

Dieser Review ist zuerst erschienen auf skug.at - Journal für Musik

Biography

Didi Neidhardt, geboren 1963, wohnhaft in Salzburg, Chefredakteur von «skug – Journal für Musik» (A), Artikel u.a. für testcard (D), versorgerin (A), Vorträge und Lectures in Galerien, Museen, Kunstakademien, Fachhochschulen, Bars, Weinkellern, Clubs und Gärten, div. Katalog- und Buchbeiträge (u.a. «Michaela Melián – Triangel», 2004), Beteiligungen bei Festivals und Ausstellungen (u.a. «Just Do It! Copyleft & Copywrong», Lentos/Linz, 2003, «Popfeminismus – Lost & Found», Shedhalle/Zürich & lothringer13/laden/München, 2007 & 2008, «Protest & Eigensinn im Widerstand der Kunst», Galerie 5020/Salzburg, 2008, «No Sound of Music», Kunstverein Salzburg, 2009), Promo & Booklet-Texte für div. Acts (u.a. Cherry Sunkist, Crazy Bitch In A Cave, F.S.K.) DJ und Musiker (dis*ka/München, Discozma, App-O-Negative/Wien)

Biography

Aileen Pinkert hat Medienkultur an der Bauhaus-Universität Weimar und Media Studies an der Universiteit Utrecht studiert. Sie arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin für unterschiedliche Film- und Fernsehproduktionsfirmen in Hessen. Seit dreieinhalb Jahren ist sie ehrenamtliche Redakteurin bei Radio F.R.E.I. Erfurt.

Published on February 08, 2012

Last updated on April 09, 2024

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