Melancholie, zu der man tanzen kann
Mit Abghenkt haben Manuel Stahlberger und seine Band ein Meisterwerk des Mundartpop eingespielt.
Schönes Wetter heute. Wanderwetter, hat es geheissen, und darum ist die Stadt leer und die Bergbahn voll. Nur der Sänger ist zurückgeblieben und reimt «Tödi» auf «nöd i» und «Pizol» auf «hohl». Und es ist nicht das einzige Lied, in dem er keinen Anteil nimmt an der neuen Heimatlust und überhaupt der Busperkeit des Lebens. Er hat «abghenkt», und darum heisst auch diese Platte so.
Abghenkt, das zweite Album von Stahlberger aus St. Gallen, ist eine überragende Platte im Schweizer Mundartpop der vergangenen Jahre. Sie wäre es aber nicht, würde Manuel Stahlberger hier nur ein Lebensgefühl breittreten, das wohl auch ein wenig sein eigenes ist; nämlich dieses diffuse Fremdheitsgefühl, das uns auch unter unseresgleichen mitunter beschleicht. Was die Lieder des Mittdreissigers vom üblichen Befindlichkeitspop unterscheidet, das sind der skurrile Wortwitz und der präzise Dialekt. Und das ist neuerdings auch die klubtaugliche Musik, das sind die federnden Grooves und gut gestretchten Bässe der fünfköpfigen Band.
So ein schnittiges Popkleid ist neu für Manuel Stahlberger. Der Mann blickt schliesslich auf eine fünfzehnjährige Karriere auf Kleinkunstbühnen zurück. Er war die eine Hälfte von Mölä & Stahli, deren musikalisches Kabarett 2001 mit dem Prix Walo ausgezeichnet wurde. Seit 2003 tritt er als Stahlbergerheuss zusammen mit Stefan Heuss auf, dem gern gesehenen Bastler bei «Giacobbo/ Müller». Vor zwei Jahren erhielt Stahlberger, dieser «Fixstern der Ostschweizer Kleinkunst», mit dem Salzburger Stier dann den wichtigsten Preis seiner Zunft. Aber da hatte er schon seine erste Popband gegründet.
Auf Rägebogesiedlig, dem ersten Album von Stahlberger (2009), fielen zwei Dinge auf. Erstens waren da kaum mehr «die absonderlichsten Geschichten» zu hören, für die Manuel Stahlberger in der Laudatio zum Salzburger Stier eben noch gelobt worden war. Vielmehr fand man sich in alltäglichen Szenen in der Hochhaussiedlung, im Bummelzug oder am Tag der offenen Tür bei der Baggervermietung, die Stahlberger trockenen Worts ins Sonderbare kippen liess. Und zweitens war die Musik zu häufig noch eine begleitende Tonspur und zu selten ein zeitgemässer und selbstbewusster Pop.
«Ich wehre mich überhaupt nicht gegen die Kleinkunst», sagt Manuel Stahlberger: «Aber mit dieser Band war und ist es natürlich ein Thema, eher davon wegzukommen und mehr in den Musikklubs zu spielen.» Tatsächlich ist die Band auf der letzten Tournee mit rund 60 Konzerten zu einem potenten, agilen Ensemble gereift. Und die Texte sind auf «Abghenkt» so gut wie nie mehr auf eine Pointe gedrechselt. «Was dies betrifft, ist die Band eine riesige Erleichterung», sagt Stahlberger: «Für die Kabarettbühne musste ich ein Bild oder eine Beobachtung in eine Geschichte einpassen, damit es funktionierte. Jetzt kann ich es auch einfach mal stehen lassen und darauf vertrauen, dass zusammen mit der Musik ein stimmiger, dichter Song entsteht. Das ist für mich ein neues, aber ein sehr gutes Gefühl.»
Heimelige Alltäglichkeit
So ist «Stausee», einer der stärksten Songs auf dem neuen Album, mehr ein Zustand als eine Geschichte: Erzählt wird lediglich, wie ein Plastiksack langsam in ein Dorf hinabsinkt, das vor langer Zeit in einem Stausee ertrunken ist. Die Musik ist ein verwaschener, trüber Elektro. In «Baron» hat die Zeit, nun zu sprudliger Discomusik, ebenfalls in einem einzigen Bild angehalten: Im Kostümfest einer seltsamen Avantgarde, verlocht und vergessen bis in alle Ewigkeit in einer illegalen Bar.
Diese Lieder erschliessen sich nicht restlos, und aus ihnen spricht eine Befangenheit, die den Teufel tut, sich in einer Pointe aufzulösen. «Mier läsed ime Buech vomene Schwiizer Autor», heisst es im ersten Stück: «Aber mir verlüüred üs uf jedere Site / I de Buechstabe, und mir wöred gern zahle bitte.» Das Lied heisst «Heimat», und es schafft das Kunststück, jeden Begriff von Heimat aufzulösen – und doch mit vielen Details ganz konkret anzuheimeln.
Tatsächlich hört man im Mundartpop von Stahlberger keine internationalen Pop-Plattitüden, halt umgetopft ins bluemete Trögli des Dialekts. Von der Schweiz wird hier in fein beobachteten Szenen erzählt. Die Menschen trinken eine Stange, sagen «Merci» und «Gsundheit», fahren ins Tessin und essen im Zugabteil ihre Rohkost. Heimelig ist das vor allem in seiner Alltäglichkeit und Langeweile, und spätestens, wenn man das merkt, sind einem diese Lieder auch etwas unheimlich geworden. Auch, weil Manuel Stahlberger sie in einem leise erstaunten Sprechgesang vorträgt, so, als sei er von seiner Umgebung und seinen Landsleuten tatsächlich «abghenkt» – aber nicht aus Überlegenheit. Vielmehr aus Befremdung.
Er habe schon sein ganzes Leben lang die Dinge genau beobachtet, erzählt Manuel Stahlberger, der nicht nur Musiker und Kabarettist ist, sondern auch Comic-Zeichner. Er habe so gut wie sein ganzes Leben in St. Gallen verbracht. Die Heimat, an die er sich in all diesen Jahren gewöhnt hat, beschreibt er als eine sehr beschützte: «Aber weil die grossen Probleme woanders sind, pflegt man in der Deutschschweiz die kleinen. So werden sie schnell gross, und dann weist man sie weg. Diese Hutzelpunks in St. Gallen zum Beispiel, die sind ja das Gegenteil von gefährlich.»
Verzweifeln an der Regenhaube
Vielleicht ist es darum das Talent einiger der grössten Schweizer Künstler, Nichtigkeiten so lange weiterzudenken, bis sie von existenzieller Tragweite sind. Mani Matter konnte das wie kein anderer, aber auch der Kabarettist Joachim Rittmeyer (den Stahlberger sehr schätzt) lässt seine Figuren an einer Regenhaube verzweifeln oder an einem Trennstab an der Migros-Kasse. Zu diesen melancholischen Humoristen hiesiger Beschaulichkeit gesellt sich mit Abghenkt auch Manuel Stahlberger. Dass man bei ihm tanzen kann, macht sein Album noch besser.
«Es ist ja schön, beschützt zu leben», sagt Stahlberger, «aber irgendwann merkt man, dass das nicht reicht, und dann wird einem die eigene Umgebung fremd.» Vielleicht auf diese Weise reift diese typische Schweizer Melancholie, bei der man nie so genau weiss, warum man eigentlich traurig ist. Aber die Alternative ist bestimmt nicht besser: «Andere finden irgendeinen äusseren Feind, der daran schuld ist, dass sie innerlich nicht zur Ruhe kommen.» Oder sie suchen sich eine Ersatzheimat im Mundartpop, am Schwingfest und in den Bergen. Vorausgesetzt natürlich, es herrscht Wanderwetter.
Biography
Published on April 08, 2011
Last updated on April 09, 2024
Topic
From the political implications of human voice to its potential of un-making sense.